Gemischte Gefühle: Der Fall Lana del Rey

Am 16. Mai startet die Neuverfilmung von F. Scott Fitzgeralds Romanklassiker Der große Gatsby in den deutschen Kinos. Regisseur ist Baz Luhrmann, der 2001 für seinen Musicalfilm Moulin Rouge Stars wie Nicole Kidman und Ewan McGregor zu enervierenden Gesangsdarbietungen animiert hatte. Auch im Großen Gatsby gibt es Musik, aber die scheint insgesamt etwas gelungener zu sein. Auf dem Soundtrack finden sich so coole Namen wie Jack White, The xx, Emeli Sandé und … Lana del Rey.

Lana del Rey? Da war doch was. Für die einen gehört die junge Amerikanerin zu den aufregendsten Popstars momentan, für die anderen ist sie der enttäuschendste Hype der letzten Jahre. Im Sommer 2011 hatte Lana del Rey via Internet massiv auf sich aufmerksam gemacht – mit schwermütigen Songs, einer auffällig tiefen Stimme, einem glamourösen 40er-/50er-Jahre-Styling und nostalgischen Videos, die größtenteils aus alten oder auf alt getrimmten Privatvideo- und Nachrichtenschnipseln bestanden.

Das internationale Feuilleton und fast das gesamte Spektrum der Lifestyle-, Rock- und Pop-Medien waren begeistert: Hier schien so etwas wie ein Konsensstar aufzusteigen – eine superintegre Künstlerpersönlichkeit, die in der Lage war, Kenner und Normalhörer, den kulturellen Mainstream, Alternativeszenen und Undergroundzirkel gleichermaßen zu überzeugen, ach was, zu begeistern.

„Lana“, das erinnert an Hollywood-Diven wie Lana Turner, und der „del Rey“ war einst ein von Ford produziertes Automodell. Schon der Künstlername der als Elizabeth Grant geborenen Sängerin lässt auf etwas Unechtes, Konstruiertes schließen. Nun sind Artifizielles und Manipulation etwas ganz Alltägliches im Showgeschäft und an sich kein Grund, sich von einem Star abzuwenden. Die entscheidenden Fragen aber lauten: Wie viel an Künstlichkeit ist noch akzeptabel? Könnte hinter der Medien-Persona ein halbwegs vernünftiger Mensch stecken? Und: Verbindet sich mit der Konstruktion eine ernstzunehmende Haltung, eine gewichtige, gesellschaftlich relevante Aussage?

Im Falle Lana del Rays schlug die anfängliche Bewunderung der Alternativekreise und Undergroundzirkel nach und nach in Ablehnung um: weil sich die entsprechende Kunstfigur als allzu kühl kalkuliert erwies und das morbid-nostalgische Flair ihrer Songs bald nur noch wie eine „Masche“ wirkte. Ein ernstzunehmender Gegenentwurf zu konventionellen Rollenbildern, eine zukunftsträchtige musikalische Alternative zur Charts-Musik der Zeit sah letztendlich anders aus und hörte sich auch anders an als das Produkt „Lana del Rey“.

Zusammen mit dem Song Video Games und den geschmackvollen Vintage-Videoclips war zunächst eine taffe Künstlerbiografie kolportiert worden, die Lizzy Grant eine Herkunft aus armen Verhältnissen und Kontakte zur Hip-Hop-Kultur bescheinigte. Songs und Videos sollten alle von Lana del Rey selbst konzipiert und produziert worden sein. Das klang interessant und weckte Erwartungen an eine gewichtige künstlerische Aussage, die das Musikmagazin „Rolling Stone“ stellvertretend für viele so umschrieb: „In den düster und schwül aufgeladenen Szenarios bündelt sich das Lebensgefühl einer von Abstiegsängsten und Selbstmitleid gequälten urbanen Mittelschicht.“ Unter solchen Vorzeichen verwunderte es auch niemanden, dass es die Künstlerin – wenn auch von der Redaktion skeptisch beleuchtet – bis aufs Cover der renommierten Szenezeitschrift „SPEX“ schaffte.

Doch schon die Tatsache, dass ihr CD-Debüt ausgerechnet beim Weltkonzern Universal erschien und in Zusammenarbeit mit Starproduzenten wie Guy Chambers (Robbie Williams) oder Eg White (Adele) entstanden war, stieß einigen Kritikern unangenehm auf. Hinzu kamen Zweifel an den in Umlauf gebrachten biografischen Fakten („Ist sie nicht eigentlich Millionärstochter?“), aber auch die verstörende Vermutung, die so sinnlich anmutenden Lippen der Interpretin könnten das Ergebnis einer Schönheits-OP sein. Und solche Schönheits-OPs sind ja eher in gelangweilten High-Society-Kreisen angesagt – in „der Szene“ geht so was ja gar nicht! Immer offensichtlicher erschien Lana del Rey als zurechtgestyltes Püppchen und teils auch als kaputt gemachtes Opfer einer nur an Megaumsätzen interessierten Musikindustrie. „Dauerte es vor einigen Jahrzehnten (oder noch vor einigen Jahren) zumindest noch mehrere Alben, bis aus hoffnungsvollen Nachwuchskünstlern öde Mainstreamveteranen geworden waren, sind die Tage dieser Internet-Hypes – genauso wie ihrer Leidensgenossen, der Castingstars – schon vor dem Erscheinen ihres Debüts gezählt“, schrieb etwa Tara Hillam 29. Januar 2012 auf tageswoche.ch/de: „Es sind im wörtlichen Sinne Totgeburten, ‚Born to Die‘, wie ironischerweise auch der Albumstitel des neusten Hype-Opfers namens Lana del Rey lautet. (…) Als die Zuschauerzahl von ‚Video Games‘ die Millionengrenze überschritt, krallte man sich das Mädchen mit den verdächtig vollen Lippen und schickte sie ins Studio, um ihre Songs zu veredeln. Und: so bald wie möglich auf den Markt zu werfen, bevor der nächste Hype die sensationell somnabule Göre wieder in vergessenheit geraten lassen könnte. (…) Doch damit verwechseln sie (die Musikkonzerne) ihre eigene Marketingmasche mit der Realität, versuchen sie ihre auf dem Reißbrett entstandenen Frankenstein-Konstrukte als ‚lebendige Subkulturvertrter‘ zu verkaufen.“

„Lana del Rey gilt zur Zeit als das größte Versprechen der Popmusik. Nun erscheint ihr Debütalbum“, schrieb Jens-Christian Rabe im Januar 2012 auf sueddeutsche.de, um gleich drauf ein ähnlich vernichtendes Fazit zu ziehen: „Doch es ist auch eine erzkonservative Männerphantasie, der ziemlich schnell die Luft ausgeht.“ Rabe sprach pointiert von der „Banalität des Dösens“, und was genau er unter einer erzkonservativen Männefantasie verstand, erklärte er so: „Wir sehen: ein Exemplar aus dem Menschenzoo. Wir hören: eine starke Frau, die so weit sediert wurde, dass sie ihrem Mann nicht mehr gefährlich werden kann.“

Auffällig ist, mit welcher Leidenschaft einige Kritikerinnen und Kritiker die Lana-de-Rey-CD Born to Die verrissen. Das war nicht einfach nüchternes Urteilen oder genüssliches Niedermachen, sondern Ausdruck eines tiefen Verletztseins. All diese Kritikerinnen und Kritiker waren zutiefst enttäuscht, dass man ihnen eine große Verheißung genommen hatte – und wütend auf sich selbst, weil sie einem enormen Hype aufgesessen waren. Fast schon anrührend ist die ellenlange Kritik eines Users im Intenetforum der Zeitschrift „Metal Hammer“ Ende Januar 2012. Der arme Mann beschreibt seine widersprüchlichen Gefühle während des Kaufs der CD bei einem „großen Elektronikfachhändler“ und versucht, in Worte zu fassen, was Lana del Rey und das ganze Bohei um sie ausmacht. Beinahe unter Tränen beschreibt er eine „mediale Tragödie“, die ihn regelrecht fertiggemacht hat.

Ab Frühjahr 2012 stieg Lana del Rey, die selbstverständlich nebenbei modelte, auch noch zum Fashion-Idol auf, und die schlimmsten Kritikerbefürchtungen wurden bestätigt. Unter anderem widmete das britische Modelabel Mulberry der Sängerin eine Damentasche. „Die ‚Del Rey‘, mittlere Größe und kurze Henkel“, vermeldete die Frauenzeitschrift „Amica“ begeistert, „wird es ab Mai unter anderem in Weiß zu kaufen geben.“ Dann machte die schwedische Modekette H&M Lana del Rey zum prominenten Gesicht ihrer Herbst-Winter-Kollektion 2012 und verbreitete die Kampagnenbilder großzügig auf Werbeflächen in ganz Deutschland. Zu guter Letzt warb die geschäftstüchtige Interpretin auch noch für ein neues Modell des Luxuswagenherstellers Jaguar, trat bei der Produktpräsentation auf und steuerte den Song Burning Desire zur Werbekampagne bei. leider wahr: „Lebensgefühl einer von Abstiegsängsten und Selbstmitleid gequälten urbanen Mittelschicht“ geht anders.

Aber mal ehrlich: Verdenken kann man es der cleveren Endzwanzigerin nicht: Sie hat schlichtweg ihre Chance ergriffen und eine Menge Geld verdient. Nur: Als selbstbewusstes Role Model unangepasster junger Frauen, als eigenständige Künstlerin, die einen abgründigen Gegenentwurf zum schönen Schein der Mainstreamkultur liefert und sich selbstbestimmt den Mechanismen einer globalisierten Wirtschaft widersetzt, war Lana del Rey verbrannt. Ein gewichtiger Teil der Kritiker, nämlich der, der über Credibility wacht, war nun endgültig enttäuscht. Inzwischen ist Lana del Rey tatsächlich nur noch ein ganz gewöhnlicher Superstar, eine weitere Stilikone mit netten Songs im Gepäck und lukrativen Werbeverträgen im Visier – ein Mainstreamprodukt zurechtgestylt für eine möglichst breite Masse. Als in Trauer und Melancholie versinkender Hollywood-Vamp mit hohem Nostalgiefaktor funktioniert Elizabeth Grant letztlich nicht anders als Hans Rolf Rippert alias Ivan Rebroff damals mit seiner Kosakenmasche. Und als düster-morbides Mewdienkonstrukt, hinter dem sich letztlich ein gut gelauntes Jetset-Girl verbirgt, ist sie einfach nur die Umkehrung des Prinzips von Künstlern wie Rex Gildo, Roy Black oder Britney Spears, hinter deren „Aufregende heile Welt“-Songs und -Performances sich haltlose, depressive Privatpersonen verbargen.

Und so hielt Jan Wigger im September 2012 auf SPIEGEL Online in einer Besprechung der CD Blackbird von Andrea Schroeder kurz und schmerzlos fest: „‚Blackberry Wine’ ist der düstere Cousin von Lee Hazlewoods ‚Summer Wine’ – und löst in gewisser Weise das Versprechen ein, das Lana del Rey gab und nicht halten konnte.“ Etwa zur selben Zeit begannen User auf der offiziellen Facebook-Seite von H&M, satirische Bilder von sich in den gleichen Posen wie Lana Del Rey hochzuladen – mit dicken Lippen und verpennten Augen, die gelangweilt in die Kamera blicken. Unfeiner kann man als Künstlerin kaum behandelt beziehungsweise entlarvt werden. Auch wenn zu vermuten steht, dass das Elizabeth Grant selbst am allerwenigsten kratzt. Warten wir also ab, was das gerade entstehende nächste Album bringt. Immerhin rücken Credibility-Gurus wie Jack White und Jay-Z nicht wirklich von ihr ab, und auf dem Soundtrack zum neuen Gatsby-Film, der von Selbstbetrug, Verbohrtheit und einer hohlen Luxusscheinwelt erzählt, macht sie sich erst mal nicht schlecht.

Frühlingsgefühle

Die Stimmung steigt, die Natur explodiert, und beim einen oder der anderen spielen die Hormone verrückt. Klarer Fall: Es wird Frühling! Der Sommer wirft seine Schatten voraus und lässt Blogger im Überschwang der Gefühle zu den abgedroschensten Phrasen greifen. Egal – Wald, Wiesen und der Garten rufen, die Sonne will genossen, die Blumenpracht gegossen, das Gemüse gepflanzt werden.

Gibt es eigentlich Frühlings-, Sommer-, Garten- und Pflanzensongs? Na klar gibt es die, und zwar in Hülle und Fülle. Man denke nur an Summer Wine, Boys of Summer, Suddenly It’s Spring, Octopus‘ Garden, In-A-Gadda-Da-Vida, Every Rose Has Its Thorn

Weil man endlich wieder keine Jacke mehr braucht und weil’s einfach Spaß macht, hier noch ein paar weitere Songbeispiele, mal mehr, mal weniger offensichtlich. Los geht’s mit dem amerikanischen Kinderlied The Garden Song, sehr nett in der Version von Country-Onkel John Denver. Zum Hingucker wird das Ganze, weil Mr. Denver – angekündigt als „one of the good guys in contemporary music“ – in der „Muppets Show“ gastiert:

Wer es etwas skurriler mag, schaut sich diesen schratigen Gitarren-Freak im Sonnenblumenmeer an – der Sunflower Song, ein kleines Instrumental- und Video-Juwel. Ganz am Ende singt er dann doch noch und begrüßt die Sonne:

Auch nicht schlecht: Der King of Rock’n’Roll, Elvis Presley, mit Spring Fever, hier in einer Szene aus dem Musikfilm Girl Happy. Nett: eine Gruppe autofahrender Jungs und drei autofahrende Mädels im Schnitt-Gegenschnitt-Verfahren. Alle sind im Frühlingsfieber – aber kriegen sie sich auch?

Dass man auch als sogenannter Diskursrocker Spaß an Gartenarbeit haben kann, unterstrichen Blumfeld einst mit Der Apfelmann – zur komletten Verwirrung zahlreicher Kritiker und Fans. „Ein Happysong für die dunklen Tage“, wie Herr Distelmeyer hier auf der Livebühne behauptet? Oder einfach nur die totale Verarschung?

Wieder in normalere Gefilde geht es mit dem Summer Dream von Electric Light Orchestra, auch das eine Liveversion. Immer noch ein toller Song:

Und wenn wir schon beim Sommer sind, dann darf ein aktuellerer Gassenhauer nicht fehlen: Summertime Sadness von Lana del Rey. Ok, die anfänglichen Hoffnungen der Hipstergemeinde hat die junge Amerikanerin längst enttäuscht, nicht zuletzt weil sie für Edelmarken modelt und Songs zu Autowerbespots beisteuert… Aber geht Summertime Sadness nicht trotzdem unter die Haut?

Morbide Sommergefühle wurden auch schon mit typisch britischem Touch besungen, und zwar von den Eurythmics. English Summer hießt der Titel, zu finden auf der kaum bekannten, aber wirklich starken ersten Eurythmics-LP In the Garden. Wiederntdecken lohnt sich. Das offizielle Video zu English Summer ist nicht verfügbar, aber es gibt zumindest den Song bei Youtube:

Zurück zum Frühling – hier kommt die letztes Jahr verstorbene Donna Summer(!) mit Spring Affair, einer Frühlingsliebe im Discogewand. Auch dieses Video ist nicht verfügbar, aber reinhören kann man unter:

Der Vater und die Mutter aller Gärten ist natürlich der Garten Eden – und den sollten wir weder durch Krieg noch Umweltverschmutzung zerstören, finden die New Riders of the Purple Sage. Recht haben sie ja… Garden of Eden findet sich bei Youtube als Liveversion mit zu vernachlässigendem Gesang, aber einer tollen Steel Guitar:

Gerne würde ich den Magic Garden von Dusty Springfield, Watch the Flowers Grow von den Four Seasons oder Kew Gardens von Ralph McTell anspielen, aber dazu findet sich kaum etwas Anschauliches auf den Videoportalen. Stattdessen stößt man auf Exzentriker wie Blixa Bargeld, der einst mit den Einstürzenden Neubauten ebenfalls einen Gartensong einspielte. Wer hätte das gedacht? Wichige Textzeile, frei übersetzt: Du findest mich im Garten, wenn es nicht in Strömen regent. Ah ja…  Interessant, aber sicher nicht jedermanns Geschmack:

Das ließe sich endlos fortführen, muss aber nicht sein. Deshalb zum Schluss drei Songs außer Konkurrenz: Robert PLANT(!), Big Log (wunderschöne Stimmung), Boomerang von BLÜMCHEN(!) – hier schließt sich der Kreis zur Autoszene mit Elvis Presley – und Rose GARDEN(!) von Lynn Anderson: gruselige US-TV-Ästhetik aus der Steinzeit. Aber Lynn hat uns ja schließlich auch keinen Rosengarten versprochen…

Werber in der analen Phase

Songs werden gern als Allzweckwaffen missbraucht. Besonders gern nehmen Marketingleute sie zur Untermalung von Werbespots. Aus einem klassischen Lovesong wird dann eine Hommage an ein bestimmtes Automodell, aus einer Ode an die Jugend die Hymne für eine Anti-Aging-Creme. Okay… Aber manche Songs werden derart unglücklich eingesetzt, dass der Spot eigentlich nach hinten losgehen müsste. Nehmen wir Unbelievable, den supereingängigen Dancerock-Track der britischen Gruppe EMF aus dem Jahr 1990. Der Refrain mit dem Ausruf „Unglaublich!“, „Unbelievable!“, soll in dem Werbeclip, den er untermalt, einen schicken Sportwagen charakterisieren, natürlich im positiven Sinne. Dabei meint der Ausruf im deprimierenden Songkontext genau das Gegenteil, etwa im Sinne von: „Du bist so mies zu mir, es ist einfach unglaublich!“ Wer’s nicht glaubt, der höre selber nach.

Ganz anders lag der Fall bei Ring of Fire, einem der größten Hits des amerikanischen Countrysängers Johnny Cash. Hier wollten Werber den Text ganz bewusst in einen provokanten neuen Kontext stellen. Aber von vorn: Der 1962 erschienene Song handelt ganz offensichtlich von einer Liebesbeziehung. Ein Liebender bekundet seine leidenschaftliche Zuneigung, die er in das Bild eines lodernden Feuers kleidet. So heißt es in der zweiten Strophe: „The taste of love is sweet / When hearts like ours meet / I fell for you like a child / Oh, but the fire ran wild.“ – Übersetzt etwa: „Liebe schmeckt süß, / wenn zwei Herzen wie die unseren aufeinandertreffen. / Ich verfiel dir wie ein Kind, / oh, aber das Feuer loderte wild.“ Der Refrain, den auch heute noch fast jeder mitsingen kann, lautet: „I fell into a burnin’ ring of fire / I went down, down, down / And the flames went higher / And it burns, burns, burns, / The ring of fire, the ring of fire.“ Also: „Ich fiel in einen brennenden Ring aus Feuer. / Ich ging in die Knie, / und die Flammen schlugen höher. / Und er brennt, brennt, brennt, / der Ring aus Feuer, der Ring aus Feuer.“ Man kann nach autobiografischen Bezügen im Leben Johnny Cashs suchen oder einen spirituellen Gehalt in den Versen entdecken. Man kann das Feuer einfach als Leidenschaft deuten, aber auch im Sinne der Qualen, die Liebende zu durchleiden haben. Dass „Ring of Fire“ sowohl der geografische Begriff für einen Vulkangürtel im Pazifik als auch der Name eines Trinkspiels ist, das mit Karten gespielt wird, mag dabei jeweils zur Deutung der Metaphorik herangezogen werden. Stets aber beschreibt der Song eine äußerst innige Beziehung zwischen dem Ich und dem angesprochenen Du.

Dennoch war sich die amerikanische Texterin Sula Miller im Jahr 2004 nicht zu blöd, Ring of Fire ausgerechnet als Untermalung eines Werbespots für ein Medikament gegen Hämorrhoiden ins Visier zu nehmen. Den in den Versen besungenen Ring aus Feuer in vollster Absicht als entzündeten Schließmuskel zu interpretieren, das ging allerdings der Familie des ein Jahr zuvor verstorbenen Sängers zu weit. „Die Hinterbliebenen der Country-Ikone haben sich jedenfalls festgelegt, was die Interpretation des Songtextes betrifft“, schrieb SPIEGEL Online damals in einem Artikel über den Fall. „Es gehe um die gestalterische Kraft der Liebe. Etwas anderes werde er für die Familie niemals bedeuten.“ Weshalb der Welt die Umsetzung dieser hirnrissigen Idee letztlich erspart blieb. Eine Songmisshandlung der übleren Sorte bleibt die Attacke von Sula Miller trotzdem – zumal sie dem Klassiker noch heute unangenehm anhaftet und mitverantwortlich sein könnte für die Verbreitung einer weiteren Schwachsinnsthese: Nach wie vor stößt man im Internet auf Songportalen und in Chatforen auf die Mutmaßung, Ring of Fire handele von Analsex.

Diese und weitere Songmisshandlungen in meiner Essayreihe „What have they done to my song?“ auf Faustkultur

Birdy gibt den Cherry Ghost

Läuft zurzeit immer öfter im Radio: People Help The People, ein wunderschöner Schmachtfetzen, gesungen von der Britin Birdy, die im Mai gerade mal 17 wird.

Birdy steht für Coverversionen von Songs nicht ganz so offensichtlicher Künstler. Während andere aufstrebende Stars gerne irgendwelche Welthits neu verwursten, um auf sich aufmerksam zu machen, wählt Birdy – Hut ab! – bevorzugt In- und Kenner-Material für ihre Single-Veröffentlichungen aus. So hatte sie ihre ersten großen Erfolge mit Songs von Bon Iver (Skinny Love) und The xx (Shelter). Auch People Help The People stammt nicht von Birdy selbst, sondern von der wunderbaren britischen Band Cherry Ghost, für die ich neulich schon mal in diesem Blog geschwärmt hatte.

Die Lyrics wirken auf den ersten Blick recht simpel, erweisen sich aber bei genauerem Hinhören als ganz schön vertrackt. Sicher liegt man nicht falsch, wenn man im hymnischen Refrain die einfache, klare Kernaussage vernimmt: Menschen sollten einander helfen. „People help the people / And if you’re homesick, give me your hand and I’ll hold it / People help the people / And nothing will drag you down.“ Zu Deutsch: „Menschen helfen den Menschen (oder: Menschen, helft den Menschen!) / Und wenn du Heimweh hast, gib mir deine Hand, und ich werde sie halten. / Wenn Menschen den Menschen helfen, / wird nichts dich runterziehen…“

In den Strophen aber werden lauter Menschen angesprochen, die verschlossen oder von inneren Dämonen getrieben sind, die etwas für sich behalten, sich zudröhnen und andere Menschen verletzen – sowie Menschen, die von anderen Menschen enttäuscht werden. So heißt es in der ersten Strophe ziemlich bilderreich: „God knows what is hiding in that weak and drunken heart / I guess you kissed the girls and made them cry / Those hard-faced queens of misadventure“, und: „God knows what is hiding in those weak and sunken eyes / A fiery throng of muted angels giving love and getting nothing back.“ Also: „Weiß Gott, was sich in diesem schwachen, trunkenen Herz verbirgt… / Ich schätze, du hast die Mädchen geküsst und sie unglücklich gemacht, / diese Königinnen des Missgeschicks mit den steinernen Gesichtszügen. / Weiß Gott, was sich in diesen (deren?) schwachen, eingefallenen Augen verbirgt… / Ein flammendes Gedränge stummer Engel, die Liebe geben und nichts zurückbekommen…“

Bezeichnend sind auch die den Refrain abschliependen widersprüchlichen Verse: „Oh, and if I had a brain I’d be cold as a stone and rich as the fool / That turned all those good hearts away…“ – „Oh, und hätte ich ein Hirn, dann wäre ich einfach kalt wie Stein und so reich wie der Dummkopf, der all diese guten Herzen weggeschickt hat…“ Das klingt, als sei es womöglich schlauer, eiskalt durchs Leben zu gehen und nur nichts an sich heranzulassen, um ja keine Verletzungen zu erleiden – und gleichzeitig wird diese Haltung als letztlich „dumm“ charakterisiert. Auch im weiteren Verlauf des Songs geht es um dunkle Dinge, die sich hinter Tränen und in Lebenslügen verbergen, um die Einsamkeit, die die Menschen umschlosse hält.

Ein existenzialistisches Statement? Der Einzelne hilflos zurückgeworfen auf sich selbst und seine Abgründe, obwohl er doch in komplexen Beziehungen mit vielen anderen Menschen lebt? Ein solches Statement kann man ebenso heraushören wie den einfachen Appell an Aufrichtigkeit, Mitmenschlichkeit, Empathie. Vertrackt wirkt der Songtext, weil nicht immer klar ist, auf wen sich was bezieht – etwa das flammende Gedränge stummer Engel in der ersten Strophe – und weil sich das Song-Ich nur schwer festmachen, kaum identifizieren lässt. Über weite Strecken scheint der Sprecher von außen auf die Welt und das deprimierende Mit- bzw. Gegeneinander der Menschen zu blicken. Ist er wirklich in der Lage, zu helfen, eine Hand zu reichen, wenn es jemandem schlecht geht?

Aber vielleicht haben wir es hier auch gar nicht mit einem durchgehenden Ich-Sprecher zu tun, der seine Gedanken über die Welt und die Menschen äußert, sondern nur mit als O-Tönen in Ichform wiedergegebenen Haltungen einzelner Menschen. Oder mit möglichen Haltungen. „Wie schön wäre es, wenn die Menschen einander helfen würden“, mag sich mancher denken, „wenn du Heimweh oder andere Schwierigkeiten hättest, dann würde ich dir einfach meine Hand hinhalten.“ Während sich jemand anders vielleicht sagt: „Könnte ich doch nur gefühl- und herzlos sein, dann hätte ich weniger Probleme, so dumm das auch wäre.“ „No one needs to be alone, oh, save me“, heißt es an einer anderen Stelle, also: „Niemand muss einsam sein, oh, außer mir“, worin sich wiederum eine weitverbreitete Haltung des Selbstmitleids andeuten könnte.

Ob Montage von Haltungen und Beobachtungen oder Gedankengang eines einheitlichen Ich-Sprechers – People Help The People ist auf jeden Fall ein Song, über den man herzhaft nachdenken kann. Und den man sich unbedingt auch im (natürlich tausend Mal besseren) Original von Cherry Ghost anhören sollte!

frei.wild oder: Das fiese Handwerk des Falsch-verstanden-Werdens

Als Song- und Lyrics-Freund muss ich manchmal leiden. Es sind jedoch nicht 08/15-Songs und Klischeetexte, die mich leiden lassen – die gehören einfach dazu und haben oft sogar einen gewissen Trash- oder anderen Unterhaltungswert; nein, es sind Songs und Lyrics, die miese Assoziationen wecken, die vom Hörer verlangen, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob ihre Urheber Frauen- oder Schwulenfeinde, Antisemiten oder Neonazis sind.

Das letzte Mal habe ich wegen Xavas gelitten: Ihr selten dämlicher Song Wo sind sie? hatte kaum belegbare „Ritualmorde an Kindern“ (ein echtes Nicht-Thema) angeprangert und dabei unnötigerweise Antifaschisten sowie Lesben- und Schwulenorganisationen auf den Plan gerufen, die jede Menge Unkorrektes herausgehört haben wollten. Meine genauere Analyse mündete dann in eine Verteidigung des Künstlerduos, allerdings in eine schlechtgelaunte. Wie blöd kann man nur sein?, hätte ich Xavier Naidoo und Kool Savas am liebsten zugerufen.

Aktuell lässt mich frei.wild leiden, jene Band, wegen der sich Kraftklub und Mia von der Echo-Nominiertenliste streichen ließen. Und diesmal springt nicht mal eine schlechtgelaunte Verteidigung dabei heraus. Denn die Südtiroler „Deutschrocker“ kotzen mich einfach nachhaltig an. Seit Jahren schon streiten sie eine rechtsradikale Gesinnung ab, äußern sich sogar in Songtexten gegen Neonazis – und tun doch alles, um diese leidige Diskussion immer wieder zu befeuern, unter klammheimlichem Beifall von Teilen der rechten Szene.

Da sind Widersprüche – etwa wenn die Band einerseits behauptet, unpolitisch zu sein, und andererseits anprangert, dass Südtirol zu Italien gehört. Da ist ein widerwärtiger Jargon, der nicht nur allen Ernstes und im Brustton der Überzeugung mit Ewiggestrigen-Vokabular wie „Heimat“, „Ahnen“ und „Brauchtum“ um sich wirft, sondern auch voller Drohgebärden gegen Andersdenkende steckt, bis hin zur Thematisierung körperlicher Gewalt. Und da ist die abstoßende Selbststilisierung der Bandmitglieder zu Märtyrern, die allen Anfeindungen von Heuchlern und Moralaposteln zum Trotz ihren Weg gehen.

frei.wild fordern ein, dass man genau hinhört – aber je genauer ich hinhöre, je mehr Songs und Videos ich im Internet anspiele, desto abgetörnter bin ich. Es ist eine Band, die nicht in der Lage ist, aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen angemessen, ernst oder humorvoll zu reflektieren und sich stattdessen vor allem übers Nicht- oder Falsch-verstanden-Werden und übers verbale Zurückschlagen definiert. Beides bedingt und ergänzt sich gegenseitig: eine armselige Masche – und eine miefige Nische, in der es sich frei.wild auf ärgerliche Weise bequem gemacht haben. Wer nichts mit Extremismus, Nationalismus, Faschismus, Drohungen und Gewalt am Hut hat, braucht einfach nicht davon zu singen und hat es auch nicht nötig, sich ständig selbstverliebt zu rechtfertigen. So einfach ist das.

Ansonsten verweise ich auf die gelungene Analyse, die Christoph Twickel vor ein paar Tagen für SPIEGEL Online geschrieben hat: Für Twickel transportiert frei.wild ganz klar die Botschaft: „Offensiv vor sich hergetragener Patriotismus ist okay“. Die Band vertrete konservative Werte, verkaufe „ihre Positionen als Tabubrüche“, „als ‚Gegenkultur’ zu einer vermeintlich verlogenen Mehrheitsgesellschaft“ und äußere „Gewaltphantasien und Verwünschungen gegen die anonymen Gegner“. In Twickels Analyse kommt auch ein Aussteiger aus der Nazi-Szene zu Wort. Für ihn „ist die Band genau wegen des angeblich unpolitischen Patriotismus ‚furchtbar gefährlich’: ‚Was sie auf jeden Fall tun: Sie relativieren Rechtsextremismus.’“

Dem ist nichts hinzuzufügen – außer dem beunruhigenden Hinweis, dass frei.wild nicht etwa ein Randgruppenphänomen mit unerheblichen Verkaufszahlen darstellen, sondern regelmäßig Top-Ten-Platzierungen in den Charts erreichen. Deshalb waren sie ja auch zunächst für den Echo nominiert. Das vor allem lässt mich leiden, nicht nur als Song- und Lyrics-Freund.