EverGREENs

Gibt es nachhaltige Songs? Wird die Musikbranche irgendwann grün? Und welche Überraschungen halten Umweltsong-Listen bereit?

Mein Kopf ist voller Musik. Mein Kopf ist ein unvollständiges, waberndes Songarchiv. Und nicht ständig, aber doch erschreckend oft greift mein innerer Media-Player irgendwelche Tracks heraus, um sie gnadenlos durch mein Bewusstsein zu schicken. Unaufgefordert. Ohne Rücksicht auf Verluste. Es sind Lieblingssongs aus meiner Jugend, aktuelle Hits oder längst vergessene One-Hit-Wonders, auf die ich durch Zufall wieder gestoßen bin. Aber manchmal auch grässliche Ohrwürmer, die ich einfach nicht mehr loswerde. Linear und komplett, von Anfang bis Ende, spielt mein innerer Media Player diese Songs nur selten ab. Meist ist es immer derselbe Strophenteil, immer dasselbe Intro, derselbe Refrain oder derselbe Instrumentalteil, wieder und wieder, mal kombiniert mit anderen Teilen desselben Songs, mal auch mit Teilen ganz anderer Songs, die plötzlich ins Spiel kommen, weil mein Bewusstsein ähnliche Harmonien und Melodiebögen assoziativ verknüpft. Gedankliche Mash-ups sozusagen. Die Songs, die durch meinen Kopf gehen, begleiten und treiben mich durch den Tag. Ja, sie spenden mir Energie. Und als Songs, die nicht wirklich erklingen, keinen CO2-Fußabdruck in der Welt hinterlassen, aber trotzdem solch eine Energie erzeugen, sind die Songs in meinem Kopf nachhaltig im besten Sinne.

Ich mag den Gedanken – er lässt den Begriff des Evergreens eine ganz neue Bedeutung entfalten. Und doch ist dieser Gedanke völlig unsinnig. Denn irgendwann sind die Songs in meinem Kopf ja tatsächlich erklungen, sie erklingen womöglich auch zukünftig immer wieder. Und, viel gewichtiger: Irgendwann wurden auch diese Songs in einem Tonstudio produziert, über Stunden, Tage, manchmal Wochen und Monate hinweg. Dabei wurde, oje, Strom ohne Ende verbraucht, während Heerscharen von Künstlern, Tonmeistern und Plattenfirmenleuten Müll aller Art produzierten, von zerbeulten Bierdosen und Plastikgeschirr bis zu den Kunststoffverpackungen der Fast-Food-Bringdienste. Chemieträchtige Press- und Brennwerke liefen heiß, um die musikalischen Kunstwerke technisch zu reproduzieren, Papier und Tinte für Plattencover und Booklets wurden verbraucht, Abermillionen Folien für Vinylveröffentlichungen und CD-Hüllen aus Plastik verwendet. Ganz zu schweigen von den CO2-Emissionen, die das anhaltende Streamen dieser Songs verursachte und täglich neu verursacht. Tatsächlich brauchte ich einen Moment, um zu kapieren, warum das Streamen von Musik, von Filmen und Serien so umweltbelastend sein kann. Es ist, na klar, der gewaltige Energieverbrauch, der mit der Verbreitung von Kunstwerken in digitaler Form über gigantische Server einhergeht.

Das Umweltbewusstsein in der Musikbranche steigt

Soll deswegen weniger Musik produziert und noch weniger Musik gehört werden? Um Himmels willen, nein! Wir brauchen Musik, wir brauchen jede Form von Kunst, sie ist ein wichtiges Lebens- und Demokratie-Elexier. Aber die Musikwelt mit allem, was dazugehört – von der Produktion, Veröffentlichung und Verbreitung von Songs über das Veranstalten von Konzert-Events bis hin zu unserem Fanverhalten – könnte noch viel nachhaltiger ausgerichtet sein. Vielversprechende Ansätze sind natürlich längst zu erkennen. Wer zum Beispiel die Schlagwörter „nachhaltige Tonstudios“ in Internetsuchmaschinen eingibt, findet schon einige Adressen von Musikproduktionsstätten, die ihre Räumlichkeiten mit nachhaltigen Materialien ausgestaltet haben, Ökostrom beziehen, ihre Geschäfte in Zusammenarbeit mit Nachhaltigkeitsbanken abwickeln oder nicht vermeidbare Emissionen durch die Unterstützung von Klimaprojekten kompensieren. Die Superstars von Coldplay wiederum haben Ende letzten Jahres angekündigt, vorerst auf eine Welttournee verzichten zu wollen – und zwar so lange, bis sie eine solche Tournee nachhaltig aufstellen können.

Das ehrt Coldplay ungemein, aber vielleicht hätte die Band sich auch jetzt schon Rat holen können von der Green Music Initiative. Die in Berlin gestartete Organisation aus Künstlern, Umweltverbänden, Forschungsinstituten und Business-Entscheidern veröffentlicht erschreckende Zahlen zu den Treibhausgas-Emissionen der Branche und arbeitet schon seit einem Jahrzehnt daran, das klingende Geschäft grüner zu machen. Die Nutzung erneuerbarer Energien, nachhaltige Verpackungen, der Verzicht auf papierlastige PR-Arbeit, elektronisches Ticketing, regionales Catering, Abfallreduktionsstrategien, nachhaltiges Merchandising und clevere Mobilitätskonzepte für die Reisen von Bands sowie für die An- und Abfahrt von Fans bei Konzerten sind nur einige der vielen Aspekte, die die Green Music Initiative über Kooperationen, Projekte und Informationskampagnen propagiert, um die CO2-Emissionen der Musikbranche deutlich zu reduzieren. Einige legendäre Festivals, von Roskilde bis Wacken, orientieren sich bereits an Nachhaltigkeitskriterien und lassen sich dabei von Initiativen und Agenturen mit dem notwendigen Know-how unterstützen.

Grüne Musikproduktion: Zum Beispiel Fré

Auch Künstler helfen tatkräftig mit. Neben Coldplay gibt es weitere engagierte Acts, die versuchen, ihr musikalisches Schaffen auf ein grünes Fundament zu stellen. Außergewöhnliche Akzente setzt hier zum Beispiel Fré: Das niederländisch-deutsche Art-Pop-Jazz-Quartett produzierte sein 2017 erschienenes Debütalbum Nature’s Songs so umweltfreundlich wie möglich in den Osnabrücker Fattoria-Musica-Studios und achtete bei der Verpackung auf Recycle-Materialien. Auch die Titel des Albums – Grains of Sand, Trees, Bees, The Moon, The Sea, Raindrops oder Ice – kreisten um die Schönheiten und Eigenwilligkeiten der Natur. Die Idee, gemeinsam mit dem „Green Office“ der niederländischen Wageningen University im Rahmen eines Master-Kurses ein nachhaltiges Musikprodukt zu entwickeln, konnte leider nicht realisiert werden. Dennoch setzten die vier ihren Weg fort. „Für unser neues Album WE RISE When We Lift Each Other Up haben wir die Dinge selbst in die Hand genommen und diverse Entscheidungen getroffen, um unseren ökologischen Fußabdruck zu verringern und trotzdem Teil der Musikindustrie zu sein“, sagt Frederike Berendsen, Songwriterin, Sängerin und Multiinstrumentalistin der Band. Gemeint ist etwa „ein Artwork aus 100 Prozent recyceltem Papier, das einen Download-Code enthält statt einer CD oder einer Vinylplatte. So vollziehen wir den Wandel hin zum Digitalen, ohne die Schönheit und Sinnlichkeit eines greifbaren Artworks komplett über den Haufen zu werfen.“ Nur eine kleine Auflage an „physischen Tonträgern“ wird produziert, um das Aufkommen an Plastikverpackungen deutlich zu reduzieren. Merchandising-Artikel werden aus biologisch abbaubaren oder recycelbaren Materialien und nach Fair-Trade-Kriterien produziert – und vieles mehr „Es ist“, so Frederike, „unser persönlicher Ansatz, ein Bewusstsein zu schaffen und verantwortlich in unserer Branche zu agieren.“ Bei so viel ökologischem Engagement sollte natürlich nicht in den Hintergrund geraten, dass Fré tatsächlich fantastische Musik machen.

Von Fré stammt auch der Hinweis auf das spannende „Green Vinyl Records“-Projekt, einen Zusammenschluss von acht holländischen Unternehmen, die ein Verfahren zur Produktion von vinylähnlichen Schallplatten entwickeln – nur dass es sich nicht um Vinyl, sondern um umweltfreundlichere Materialien handelt und dass der auf Injektion beruhende Herstellungsprozess deutlich weniger Energie verbraucht. Nicht nur Fré finden den Ansatz vielversprechend und wünschen ihm viel Erfolg in der Zukunft.

CO2-Fußabdrücke auf der Erde,
motivierende Fußabdrücke auf den Hintern der Fans

Dass Künstler, Veranstalter und sogar Branchenmanager das eigene Tun reflektieren, ist relativ neu – eine Entwicklung erst der letzten Jahre. Ihr Bewusstsein für Umweltthemen aber bringen vor allem Songwriter aus Rock, Pop, Soul und Jazz schon seit Jahrzehnten zu Gehör. Und so haben Tausende von Songs neben einem satten CO2-Fußabdruck auf unserem Planeten auch kräftige motivierende Fußabdrücke auf den Hintern der Fans hinterlassen. Frei nach dem Motto: Arsch huh, tut was gegen die Umweltverschmutzung! Rettet den Planeten! Steht auf gegen Ölbohrungen und das Abholzen des Regenwalds, gegen Fracking, Bergbau, überhaupt den Raubbau an natürlichen Ressourcen, gegen Atomkraft und Plastikmüll, den sauren Regen, die Verunreinigung der Meere!

„Umweltsongs“, „climate change songs“, „Earth Day Songs“ oder „Environmental Playlist“ – die Stichworte, unter denen man sie findet, sind vielfältig: Best-of- und Beinahe-Anspruch-auf-Vollständigkeits-Auflistungen von Songs, die sich mit Umwelt- und Nachhaltigkeitsthemen beschäftigen oder beschäftigen sollen. Manchmal sind diese Songs nicht ganz eindeutig, vermischen Öko-Themen mit Sozialkritik und einer allgemeinen Tirade gegen den Kapitalismus und die Gier des Menschen. Oft aber formieren sie simple Appelle wie Save the Planet (Edgar Winter’s White Trash, 1971) oder konzentrieren sich auf ein konkretes Umweltthema (Crosby and Nash, To the Last Whale, 1975).

Hier ein paar Besonderheiten, die mir beim Durchstöbern solcher Listen aufgefallen sind:

Frühe Umweltsongs im Popkontext finden sich bereits 1927 im Blues, etwa bei Bessie Smith (Backwater Blues) und Blind Lemon Jefferson (Rising High Water Blues). Sie beklagen, was passiert, wenn der Mississippi nach heftigen Regenfällen über seine Ufer tritt und viele Menschen, vor allem Arme, heimatlos macht. Südstaaten-Blues-Interpreten der 1920er bis -40er Jahre besingen außerdem den Baumwollkapselkäfer („boll weevil“), der als Schädling damals zur regelrechten Plage wurde und große wirtschaftliche Krisen verursachte. 

Eine feine Anekdote rankt sich um Motown-Labelboss Berry Gordy, der Mery Mercy Me (The Ecology), einen Song des Soul-Superstars Marvin Gaye aus dem Jahr 1971, für nicht vermarktbar hielt. Die Bedeutung des Wortes Ecology musste man Gordy erst noch mühsam erklären. Mercy Mercy Me (The Ecology) wurde allen Unkenrufen zum Trotz einer von Marvin Gayes größten Erfolgen.

Künstler, von denen man „environmental songs“ eher nicht erwartet hätte, sind die Surf-Ikonen The Beach Boys (Don’t Go Near the Water, 1971), Schwermetaller Ozzy Osbourne (Revelation/Mother Earth, 1980) oder Pop-Prinzessin Miley Cyrus (Wake Up America, 2008).

Mehrfachtäter in Sachen Umweltsongwriting sind Pete Seeger, Bob Dylan, The Kinks, Adrian Belew, Bruce Cockburn, Midnight Oil oder Neil Young, um nur die bekanntesten zu nennen.

Zu den skurrilsten Umweltsongs gehört ganz sicher The Return of the Giant Hogweed. Der Song der britischen Art-Rock-Band Genesis, einmal mehr aus dem Jahr 1971, erzählt vom Riesenbärenklau (alternativer Name: Herkulesstaude), einer Pflanzenart, die ein viktorianischer Forscher aus Russland nach England mitgebracht haben soll, wo sie alles überwucherte und die einheimische Flora und Fauna bedrohte. In bester britischer Gothic-Sonderlingtradition machen Genesis aus der „Ökoschäden durch eingeschleppte Arten“-Story eine auch musikalisch ausufernde Rache- und Gruselmär.

Vielleicht das umfangreichste Subgenre der Umweltsongs und fast schon ein ganz eigenes Genre bilden die Anti-Atomkraft-Songs, die von den Auswirkungen der Atomenergie bis hin zu der Gefahr und den Folgen eines Atomkriegs erzählen. Das groteske Stück Burli, 1987 veröffentlicht von der österreichischen Satire-Band Erste Allgemeine Verunsicherung, kreist um einen behinderten Jungen, dessen Missbildungen aus der Nähe seines Wohnorts zu einem Atomkraftwerk resultieren. In Red Skies Over Paradise beschreibt die britische Band Fischer Z 1981 den Ausbruch eines Atomkriegs. Zwei von vielen Beispielen aus dem „No Nukes“-Universum.

Ein peinliches Lieblingsstück unter den Umweltsongs ist Karl der Käfer, 1983 veröffentlicht von Gänsehaut. Die Band entsprang der Kölner Deutschrock-Formation Satin Whale, ihre Protagonisten, die wie progressiv-bewegte Studienräte anmuteten, waren Musikredakteure. Vom Schreiben hatten sie also durchaus Ahnung. Und doch wirken Zeilen wie diese etwas ungelenk, erst recht aus heutiger Sicht: „Karl ist schon längst nicht mehr hier / Einen Platz für Tiere gibt’s da nicht mehr / Dort, wo Karl einmal zu Hause war / Fahren jetzt Käfer aus Blech und Stahl / Karl der Käfer wurde nicht gefragt / Man hat ihn einfach fortgejagt.“

Zu den visionärsten Umweltsongs gehört … Karl der Käfer von Gänsehaut! Von allen bedrohten Tierarten rückte die Band 1983 ausgerechnet den Käfer in den Fokus ihrer Betrachtung. Heute, fast 40 Jahre später, ist vom großen Insektensterben die Rede.

Ein Umweltsong, über den man streiten kann, ist Love Song to the Earth aus dem Jahr 2015. Zur Pariser Klimakonferenz veröffentlicht, versammelt er Superstars wie Paul McCartney, Sheryl Crow, Bon Jovi, Natasha Bedingfield, Fergie und Leona Lewis, die im Rahmen einer eingängigen Powerballade die Schönheit der Natur besingen. Ein paar der Stars posieren im dazugehörigen Hochglanzvideo in weißer Kleidung (Weiß = Frieden?) an Traumstränden und in idyllischen Naturkulissen – die Einnahmen gingen an die UN-Stiftung und an Friends of the Earth. Was die einen als gelungene Ansprache eines Mainstreampublikums feierten, fanden andere arg schnulzig und nur ansatzweise glaubwürdig. Fragt man heute im Freundeskreis herum, wer den Song noch kennt, erntet man eher Stirnrunzeln und Achselzucken als Nicken und strahlende Augen.

Umweltsongs, die man immer ganz anders verstanden hatte, sind Vamos a la playa (1983) von Righeira und The Future’s So Bright (1986) von Timbuk 3. In Vamos … wird nicht etwa eine entspannte Urlaubsstimmung gefeiert, sondern ein Atomkriegsszenario am Strand beschworen; und The Future’s So Bright beschreibt mitnichten rosige Aussichten, sondern eine atomar verstrahlte Zukunft, in der man nicht nur die Augen schützen muss („The future’s so bright I gotta wear shades“).

Den unmittelbarsten Bogen zur „Fridays for Future“-Bewegung schlugen 2019 die Indierocker von The 1975: Im gleichnamigen Track (The 1975) unterlegten sie einen aufrüttelnden Monolog von Klima-Aktivistin Greta Thunberg mit hypnotischen Ambient-Sounds und versprachen, die Einnahmen aus dem Song an die Organisation Extinction Rebellion zu spenden. Es war schon reichlich kontraproduktiv, dass deren Mitgründer Roger Hallam die Anhänger der auf zivilen Ungehorsam setzenden Bewegung zuletzt durch die Relativierung des Holocausts und andere radikale Ansichten schockte.

Das Umfunktionieren bekannter Lieder zu Umweltsongs geht gern mal in die Hose. Das alte Partisanen- und Antifa-Lied Bella ciao musste schon einige Songmisshandlungen über sich ergehen lassen, zuletzt die sinnfreie Wiederaufbereitung als Dancefloor-Kracher für ein urbanes Partypublikum. Die 2012 mit Menschen aus 180 belgischen Städten realisierte Klimaschutzversion Do It Now – Sing for the Climate verlieh der Melodie zwar etwas mehr Ernsthaftigkeit, wirkte aber arg offensichtlich und trug in seiner kollektiven Gefühlsduseligkeit Züge von Massenmanipulation. Als vor allem im Kita-Kontext vermarkteter Umweltsong Etwas tun schließlich hinterlässt Bella ciao so manchen Musikfan endgültig ratlos: Ist das wirklich noch pädagogisch wertvolle Aufklärungsarbeit oder schon eiskalt kalkuliertes, seelenloses Geschäft?

Ganz fatal wirkte sich das Umtexten des Kinderliedklassikers Meine Oma fährt im Hühnerstall Motorrad im Rahmen einer Produktion mit dem WDR-Kinderchor aus. Aus der patenten Oma des Song-Originals, die mit den witzigsten und schlausten Erfindungen glänzt, vor allem aber zum unbeschwerten Mitsingen einlädt, machte das WDR-Team Ende letzten Jahres mir nichts, dir nichts eine „Umweltsau“. Satirisch sollte das Ganze sein – ob auf eine vermeintlich beratungsresistente ältere Generation gemünzt oder sogar auf die jugendliche „Fridays for Future“-Bewegung, die sich ihrerseits unglücklich abschätzig über eben jene ältere Generation geäußert hatte, war leider nicht ersichtlich. Das völlig missglückte Liedprojekt brachte nachvollziehbar gekränkte Senioren, aber auch rechtsgesinnte Wutbürger und Propagandisten gegen den WDR auf, der sich prompt von dem Song und von eigenen Mitarbeitern distanzierte, was wiederum massive Kritik von Medienexperten nach sich zog. Ein Kommunikations-GAU erster Güte.

Wie cool und selbstverständlich nimmt sich dagegen das britische Grundschulprojekt aus, bei dem im Sommer 2019 ein Lehrer aus West Suffolk gemeinsam mit seinen Schülerinnen und Schülern einen um das Thema Nachhaltigkeit kreisenden neuen Text zu Gil Scott-Herons Protestsongklassiker The Revolution Will Not Be Televised erarbeitete. Das Original, ein vertontes Gedicht aus der Zeit um 1970, ruft Afroamerikaner dazu auf, gegen eine von Weißen dominierte Konsum- und Medienwelt zu rebellieren. Das Schulprojekt übertrug die Grundgedanken auf Themen wie Erderwärmung, billigproduzierende Textilunternehmen, Plastikmüll, Artensterben und Politikverdrossenheit – das alles im Kontext der sozialen Medien. Von dem Ergebnis, The Extinction Will Not Be Televised, zeigte sich sogar der berühmte Tierfilmer und Naturforscher Sir David Attenborough begeistert.

Umweltsongs, die – genau gehört – gar keine Umweltsongs sind, tauchen auch in den feinsten Listen auf. Am prominentesten sticht in diesem Zusammenhang Michael Jacksons Earth Song heraus: Der Text kreist zwar um eine weinende Erde („crying earth“), aber die Gründe dafür sind Schlachtfelder und Gräuelstätten („killing fields“), Blutvergießen („the blood we shed“) und im Krieg gestorbene Kinder („children dead from war“). Es geht um die Apathie, die im Meer versinkt („apathy drowning in the seas“), und das Gelobte Land, das man nicht erreichen wird. Das klingt doch eher nach einem Antikriegslied als nach einem Umweltsong.

Auch Doctor, My Eyes von Jackson Browne wird gern genannt, doch auch hier muss man nach einem konkreten Bezug zu Klimaschutzthemen suchen. Im Text des 1972 veröffentlichten Songs geht es sehr allgemein um einen verzweifelten Menschen, der sich einem Arzt anvertraut, weil er zu viele schlimme Dinge in seinem Leben gesehen hat. Kurz: ein Song über das Gefühl des totalen Ausgebranntseins. Von Umweltzerstörung keine Spur.

Godzilla heißt ein Hit der US-Rocker Blue Öyster Cult aus dem Jahr 1977. Klar, im Text heißt es: „History shows again and again / How nature points up the folly of man“, doch das ist eher dem Godzilla-Mythos geschuldet, der das Monster als atomare Mutation charakterisiert. Im Wesentlichen beschreiben Blue Öyster Cult lustvoll, wie die Riesenechse in den Straßen von Tokio wütet, und huldigen bestens gelaunt einer Fantasyfilm-Ikone. Den Musikern hier ein Klimaschutz-Engagement zu unterstellen wäre – bei allem Respekt vor ihren vielen großartigen Songs – ein bisschen zu viel der Ehre.

Achten Sie auf den Menschen im Spiegel!

Apropos Michael Jackson und vermeintliche Umweltsongs: Auch Man in the Mirror, der 1988 veröffentlichte Hit des „King of Pop“, taucht gern in „environmental playlists“ auf. Dabei geht es gar nicht um Klimaschutz, sondern konkret um humanitäres Engagement – um den Einsatz für die Armen und die Hungernden der Welt, die Obdachlosen in den Straßen der Großstädte. Das Video dazu erweitert den Themenkreis um Rassismus und Diktatur. Trotzdem formuliert der Song eine Message, die sich ohne weiteres auch auf die Klimaproblematik übertragen lässt: „I’m gonna make a change … I’m starting with the man in the mirror.“ Will heißen: Engagement bedeutet nicht, auf andere zu zeigen oder nur die Politik zum Handeln zu bewegen. Nein, Engagement bedeutet, im Kleinen, bei sich selbst anzufangen. Kurz: bei dem Menschen, den man jeden Tag im Spiegel sieht.