Kreierst du noch, oder klaust du schon? Erfreuliches und Seltsames aus dem Universum der Plagiatsvorwürfe

„Nur Liebe, nur Liebe“, soll Sara Bareilles kommentiert haben. Drei Monate vor Katy Perrys Hit Roar hatte sie ihren Song Brave veröffentlicht, den man auch mit wenig Fantasie als Vorlage für Roar interpretieren könnte.

Doch während sich Fans aus aller Welt ereiferten, Katy Perry sei eine Plagiatorin, blieb Sara Bareilles einfach cool. Und freute sich darüber, dass der Erfolg von Roar ihren Song letztlich noch beflügelt hätte. Das nennt man positives Denken.

Auch der Hip-Hopper Left Boy verzichtete auf eine Klage, obwohl er nicht gerade begeistert war, dass Cro sich von dessen Stück Your Song für seinen eigenen Hit Du hatte inspirieren lassen. Left Boys Argument: Er wolle sich nicht an Cros Erfolg hochziehen. Das nennt man Stolz.

Zwei unterschiedliche Arten, mit möglichen Plagiaten der eigenen Arbeit umzugehen. In meinen Augen auch die plausibelsten in einem Bereich, der seit jeher aus der kreativen Verwurstung, Weiterführung oder auch Dekonstruktion von Bekanntem einiges an Energie entwickelt.

Viele Songs basieren in Teilen auf denselben Akkordfolgen, auf ähnlichen Grooves, der gleichen Struktur. In seinem aktuellen Buch „Warum Hits Hits werden. Erfolgsfaktoren der Popmusik“ filtert Volker Kramarz regelrechte Formeln für erfolgreiche Songs heraus. Für ihn ist es „klar, dass die Hörer aus der Fülle des Liedangebots immer etwas heraussuchen, das stets auf diesen gleichen Konstruktionsprinzipien beruht“, wie er im Interview mit der „Berliner Zeitung“ erklärt. Nicht umsonst hätten „die großen Urheberrechtsorganisationen schon vor über 40 Jahren aufgegeben, eine Harmonieabfolge für schützenswert zu erklären. Es hat sie einfach irgendwann schon in tausendfacher Form gegeben“.

Umso überraschter war ich über die jüngste Meldung, dass Robin Thicke und Pharrell Williams den Prozess um den angeblichen Diebstahl ihres Superhits Blurred Lines von Marvin Gayes Got to Give It Up verloren haben. Für mich sind eher der Groove und die Atmosphäre beider Stücke ähnlich, aber harmonisch und melodisch nehmen sie doch völlig unterschiedliche Entwicklungen. Bei einer derart strengen Rechtsprechung in Amerika steht zu befürchten, dass auch der lächerliche Streit um das kurze Intro von Led Zeppelins Klassiker Stairway to Heaven zuungunsten der britischen Heavyrocker ausgehen wird (vgl. Blogeintrag vom 21. Oktober 2014).

Natürlich kann es nicht darum gehen, alle Anklänge an früher veröffentlichte Songs unwidersprochen durchgehen zu lassen, aber man sollte doch genauer klären, wo die Schwelle von der Inspiration zum Diebstahl wirklich überschritten wird. Insofern wäre es interessant gewesen zu sehen, wie ein Rechtsstreit in Sachen Helene Fischer und Atemlos ausgegangen wäre. Es war meine liebe Tante, die hier die Medien aufmerksam verfolgt und mich auf die frappierenden Ähnlichkeiten des Songs mit zwei älteren Hits hingewiesen hat. So scheinen Teile des Strophe an den von Jack White geschriebenen und seinerzeit von Jürgen Marcus interpretierten Schlager Ein Festival der Liebe angelehnt – der Refrain wiederum erinnert sehr verdächtig an die zentrale Melodie von Rosanna Cashs Land of Dreams.

Nichts gegen Helene Fischer – ihr von Kristina Bach geschriebener Hit hat nicht zuletzt in Zeiten der Fußball-Weltmeisterschaft 2014 großen Spaß gemacht. Aber Originalität und ein kreativer Umgang mit den Vorlagen sehen anders aus. Jack White hat trotz dreier Gutachten, von denen zwei gute Chancen für einen Prozess ergaben, auf eine Klage verzichtet. Mal das Beinchen gehoben, klar, aber ach, das ist ja auch ok. Und von Rosanna Cash, die sich immerhin mal wegen der Ähnlichkeiten zwischen Atemlos und Land of Dreams gemeldet haben soll, scheint ebenfalls nichts mehr zu kommen. Souverän bleiben, lautet offenbar die Devise. Und Geld scheint Frau Cash nicht dringend zu benötigen. Glück für Kristina Bach und Helene Fischer also – und am Ende ja vielleicht für die Chartsmusik, die auch in Zukunft von der Neuaufbereitung bewährten Materials leben wird.

Absurder Rechtsstreit um Led Zeppelins „Stairway to Heaven“

Kopie! Diebstahl! Plagiat! Es ist immer wieder ein Fest für Fans und Medien, wenn Ähnlichkeiten zwischen zwei Songs zum Gegenstand gerichtlicher Auseinandersetzungen werden. In der Regel stehen sich glühende Verehrer des Originals und entrüstete Verteidiger der als Diebe beschuldigten Künstler unversöhnlich gegenüber – was letztlich beiden Songs einen Aufmerksamkeitsschub und im Idealfall steigende Verkaufszahlen beschert. Dem Kläger winkt, wenn er durchkommt mit seiner Klage, ein nettes Zusatzsümmchen.

Vor allem zwei Fragen sind es, die ein Gericht in so einem Fall klären muss: Wie leicht hatte der vermeintliche Kopist Zugang zu einem Original? Und wie groß ist die Ähnlichkeit zwischen beiden Stücken? Je geringer die Möglichkeit, dass der mutmaßliche Plagiator das Original kannte, desto weniger relevant sind die eventuellen Ähnlichkeiten zwischen beiden Kompositionen. So kamen in dem berühmten Fall von George Harrisons My Sweet Lord, das große Ähnlichkeiten mit dem Titel He’s So Fine von The Chiffons aufweist, die Richter nach vielem Hin und Her zu dem Schluss, dass es sich um ein unbeabsichtigtes Plagiat gehandelt habe. Je größer allerdings die Wahrscheinlichkeit, dass der vermeintliche Kopist das Original gekannt hat, desto weniger akribisch muss der Vergleich der Kompositionen ausfallen.

Das Ganze ist eine knifflige Angelegenheit – wie auch der aktuelle Streit um den Rockklassiker Stairway to Heaven zeigt. Dessen Urheber, die Mitglieder der britischen Band Led Zeppelin, wurden im Sommer 2014 hochoffiziell beschuldigt, das berühmte Gitarrenintro des Songs vor rund 40 Jahren vom Stück Taurus der amerikanischen Band Spirit geklaut zu haben. Der Komponist von Taurus, der inzwischen verstorbene Spirit-Gitarrist Randy California, hatte sich schon zu Lebzeiten über das angebliche Plagiat beschwert – die Band habe aber seinerzeit aus Geldmangel nicht geklagt. Dass es die Erben von Randy California gerade jetzt doch versuchen, ist der Tatsache geschuldet, dass Led Zeppelin zurzeit Remastered-Versionen ihrer früheren Alben veröffentlichen, wodurch Stairway to Heaven erneut in den Fokus rückt.

Können Led Zeppelin das wenige Jahre vor Stairway to Heaven entstandene Spirit-Stück Taurus gekannt haben? Oh ja! Denn beide Bands spielten im relevanten Zeitraum eine Reihe von Konzerten zusammen, bei denen Spirit auch Taurus zum Besten gaben. Was wohl auch ein Grund dafür gewesen sein dürfte, dass Led Zeppelin mit einem Antrag auf Abweisung der Klage aktuell gescheitert sind. Die California-Erben dürfen also weiterhin gerichtlich gegen die britische Rocklegende vorgehen. Ist das Intro von Stairway to Heaven ein Taurus-Plagat? Rechtfertigt es gar die Forderung, dass Randy California in den Songcredits als Miturheber genannt wird?

Ich kann hier natürlich nur meine ganz persönliche Meinung äußern. Und die lautet auf beide Fragen: Nein! Spirit habe ich mal vor langer Zeit in einer unvergesslichen „Rockpalast“-Nacht gesehen. Ich hatte vorher noch nie etwas von ihnen gehört, aber was da live an Sounds und Bildern aus dem Fernseher kam, erschien mir wie pure Magie. In der Folge habe ich mir eine LP zugelegt und erst kürzlich noch den einen oder anderen alten Song im Internet erworben. Womit ich sagen will, dass ich durchaus Sympathien für diese ungewöhnliche Band hege. Die Energie und Wucht aber, die kreative Kontinuität, die Bands wie Led Zeppelin auszeichneten, haben Spirit auf ihren Studioalben leider nicht entfaltet. Und so werde ich den Eindruck nicht los, dass die aktuelle Klage gegen Led Zeppelin auch dem Frust über die ausgebliebene eigene Megakarriere geschuldet ist.

Stairway to Heaven kennen selbst Menschen, die sich nicht großartig für Rockmusik interessieren – da erübrigt sich ein Videolink an dieser Stelle. Und Taurus hätte ich gerne an dieser Stelle eingeklinkt, aber es ist aus ominösen Gründen nirgends im Internet verfügbar. Seltsam – würde man doch vielen Fans die Möglichkeit geben, sich selbst ein Urteil zu bilden, und obendrein noch den Verkauf ankurbeln. Immerhin kann man sich die entscheidenden Passagen von Taurus über die Pre-Listening-Funktion einzelner Songs bei den großen OnlineMusikanbietern anhören. Tatsächlich sind Tempo, fallende Akkordfolge und Grundstimmung in den beiden zur Diskussion stehenden Songpassagen ähnlich. Das war es dann aber auch schon. Die Gegenargumente wiegen für mich stärker: Taurus ist ein reines Instrumentalstück und noch nicht einmal drei Minuten lang, das Corpus delicti ist eine lediglich wenige Sekunden lange Sequenz – basierend auf einer alles andere als ungewöhnlichen harmonischen Bewegung. Led Zeppelin bauen die Akkordfolge aus, führen sie ganz anders weiter und legen außerdem eine eigenständige Gesangsmelodie mit eigenständigen Lyrics darüber. Auch innerhalb der betreffenden Sequenz setzen die Gitarren in beiden Stücken unterschiedliche Akzente. In meinen Ohren lässt Stairway to Heaven den Spirit-Song – ob bewusst oder unbewusst – lediglich kurz anklingen und nimmt dann einen völlig anderen Lauf, hin zu einem achtminütigen mehrteiligen Rockepos, von dessen Dynamik und Ideenreichtum Randy California und Kollegen noch nicht mal hätten träumen können. Den Spirit-Gitarristen aufgrund einer kurzen ähnlichen Sequenz als Koautor des gesamten Songs Stairway to Heaven auszuweisen, wäre an Peinlicjhkeit nicht zu überbieten. Das wäre so, als wollte man Koautor eines 30 Strophen umfassenden Bob-DylanGedichts sein, nur weil eineinhalb Verse der ersten Strophe an Verse aus einem eigenen Gedicht erinnern.

Ich gönne den Erben Randy Californias und den ehemaligen Spirit-Musikern jeden Dollar, jeden Euro, den sie mit ihren Songs von damals verdienen können. Aber diesen Klage-Schachzug kann ich nicht nachvollziehen, ich finde ihn billig. Und ich finde es richtig, dass sich Led Zeppelin, denen eine entsprechende Entschädigungszahlung wohl kaum besonders wehtun würde, hier zur Wehr setzen. Ihre unbestreitbare kompositorische Eigen- und Gesamtleistung bei Stairway to Heaven steht auf dem Spiel, und ich frage mich, warum nicht – wenn man schon unbedingt den Spirit-Song ins Spiel bringen will – im Sinne einer künstlerischen Strategie mit Begriffen wie „Anklang“, „Assoziation“ oder „Zitat“ gearbeitet wird. Was nicht ausschließt, dass die Richter der Spirit-Klage am Ende tatsächlich stattgeben. Es verspricht ja doch ein regelrechtes Spektakel und Publicity, gegen einen millionenschweren Rocksaurier wie Led Zeppelin anzugehen. Und vielleicht finden sich noch irgendwelche Musikologen, deren kühle Analysen der Band Spirit recht geben – auch wenn sie dem gesunden Menschenverstand widersprechen.