Tja, Cascada und Deutschland, das war wohl nix beim Eurovision Song Contest in Malmö. Natürlich bleibe ich dabei, dass der ESC eine Musikveranstaltung aus einem Paralleluniversum ist und „unser“ Song Glorious etwas ESC-Prototypisches hatte, aber zwei Wettbewerbe hintereinander dieselbe „Euphoric Dancefloor“-Formel, das hat am Ende doch nicht funktioniert. So wie es seinerzeit ein Irrglaube war, Europa zwei Mal hintereinander Lena Meyer-Landrut verkaufen zu können.
Gewonnen hat statt Cascada Emmelie de Forest, und die zog mit Only Teardrops geschickt eine andere ESC-Erfolgskarte, ich nenne es mal die „Melancholischer Folkpop im foxtrottigen Wiegerhythmus“-Karte. Mit der hatte beispielsweise 2009 schon Alexander Rybak den Sieg eingefahren: Sein Song damals hieß Fairytale und machte Norwegen glücklich.
Emmelie de Forest startete für Dänemark, und das ist der eigentliche Grund für diesen kleinen Blogeintrag. Denn aus Dänemark kamen in den letzten Jahren gleich mehrere Bands, die in träumerischen und bisweilen abgründigen Rocksongs das Schwelgerische, Melancholische kultivieren. Steht Emmelie de Forest für die gezähmte, ESC-kompatible Light-Variante dieser wohligen Traurigkeit, sorgen Kashmir, Efterklang, I Got You On Tape oder Lars and The Hand of Light mit ihren freien Kompositionen für schillernde originäre Versionen.
Auf I Got You On Tape und Lars and the Hands of Light – schon die Bandnamen sind von bizarrer Schönheit – hat mich mein Freund Uwe aufmerksam gemacht. Erstere werden von der Fachpresse für ihre grüblerischen düsteren Hymnen gelobt, Sänger Jacob Bellens hat eine schöne, volle Stimme mit hohem Wiedererkennungswert. I Got You On Tape bevorzugen langsamere Songs, in Church of the Real, dem starken Titelsong ihres aktuellen Albums, ziehen sie das Tempo ein klein wenig an.
Lars and the Hands of Light zelebrieren die verspieltere, leichtfüßigere Variante der spezifisch dänischen Songmelancholie. Ihre Markenzeichen sind neben überraschenden Harmonie- und Stimmungswechseln die Gesangsstimmen von Jeppe Ostergaard und Lars Vognstrup. Das gilt auch für den Song End of Summer aus dem neuen Album Baby, We Could Die Tomorrow.
Versponnener, teils experimenteller kommen Efterklang daher. Im September 2012 erschien ihr aktuelles Album Piramida, für das die Band zunächst im Studio die Basic Tracks aufnahm. Diese wurden anschließend durch Sound-Aufnahmen in einer verlassenen russischen Bergarbeiterstadt in der Arktis ergänzt. Ein Youtube-Trailer gibt einen kurzen Einblick in die Vor-Ort-Aufnahmen und fängt etwas von der geisterhaften Stimmung des Albums ein.
Kashmir sind schon recht lange im Geschäft und klangen früher etwas rockiger, auf dem neuen Album E.A.R. dagegen driften sie gelegentlich ins Sphärische ab, wie der Youtube-Live-Mitschnitt des Songs Milk for the Blackhearted zeigt.
Weißt du, es ist Zeit, dich mal richtig gehen zu lassen. Warum lassen wir’s nicht einfach raus? Sag mir, worauf du wartest. Denn ich, ich will leben, bevor ich sterbe. Abstürzen und brennen und den Verstand verlieren. Wir können die Welt in Flammen setzen. Heut Nacht können wir glorreich sein. Wir sind jung im Herzen, und wir sind frei. Die Welt gehört uns, ich kann die Musik in mir fühlen. Glorreich, ich habe eine Liebe gefunden, die Augen nicht sehen können, bin außer mir, oh oh oh… Ich glaube, das kleine Kind in mir kann meine Bestimmung offenbaren, und eines Tages werde ich mich befreien. Die Zeit ist gekommen, wir bewegen uns mit Lichtgeschwindigkeit. Ich werde dich auf der anderen Seite treffen – jedes Mal, wenn ich die Augen schließe.
So lautet frei übersetzt der Text des deutschen Songbeitrags zum Eurovision Song Contest, Glorious von Cascada. Es ist ein Song über Lethargie, Schüchtern- und Verklemmtheit, oder? Denn befreit man die Lyrics mal von all den Klischees über Feuer, Freiheit, kindliche Unbefangenheit und Kontrollverlust, die 95 Prozent ihres Gehalts ausmachen, dann sorgen 3 Zeilen für Irritation: „And one day I’ll be breaking free“, „I’ll meet you on the other side / Every time I close my eyes.“ Ja, wir KÖNNEN mal richtig die Sau rauslassen, wir KÖNNEN glorreich sein. Aber wir WARTEN, wir tun es nicht wirklich. EINES TAGES – also nicht jetzt – werde ich mich befreien. Ich werde dich auf der anderen Seite treffen, jedes Mal, wenn ich die Augen schliesse. Die wortreich beschriebene Befreiung, die Ekstase wird auf den Sanktnimmerleinstag verschoben, sie findet lediglich in der Fantasie statt…
Ich weiß, meiner Deutung einer belanglosen Dancefloor-Nummer, die wahrscheinlich einfach nur ein bisschen jugendlichen Ausgehspaß vermitteln will, wohnt ein gewisses Maß an boshafter Unterstellung inne. Aber in eben diesem Sinne ist Glorious von Cascada für mich ungewollt die Hymne des jüngeren ESC-Historie. Denn nirgendwo sonst geht es so offensichtlich darum, letztlich hohle, wertlose „Glorreich“-Punkte fürs eigene Land zu erringen – hohl auch deswegen, weil viele der verantwortlich zeichnenden Songwriter, die bei diesem Wettbewerb eigentlich im Zentrum stehen sollten, gar nicht aus dem Land stammen, für das sie den Beitrag geschrieben haben. Und nirgendwo wird so viel versprochen, aber nicht gehalten, so viel Glamour, so viel Freizügigkeit und Ekstase suggeriert, aber letztlich vertagt beziehungsweise familientauglich im Zaum gehalten.
Das Gezähmte der Veranstaltung offenbart sich schon in den Teilnahmebedingungen, die unter anderem besagen, dass die Songbeiträge keine politischen Botschaften enthalten dürfen. Das engt die „Relevanz“ dieses Wettbewerbs von vornherein deutlich ein und dürfte zu einem gewissen Maß an Selbstzensur bei vielen Songwritern führen, nach dem Motto: Bevor diese Textzeile falsch verstanden und mein Beitrag abgelehnt wird, schmeiß ich sie lieber raus. Liebeslieder, „Balladen“, Euphorie-Bretter und sogenannte „Novelty-Songs“, die um irgendeinen textlichen Gag oder musikalischen Gimmick kreisen, sind denn auch die beliebtesten Genres im Wettbewerb. Das Gezähmte zeigt sich weiter in der Beschränkung der Songs auf 3 Minuten Länge, was regelmäßig zu „Beschneidungen“ führt, sowie in den endlosen Vorentscheiden und Bewertungsmarathons: Sie lassen erwachsene Künstler wie Schuljungs und -mädels aussehen und sorgen dafür, dass das Publikum jedes Jahr dieselben nach vermeintlichen Erfolgsrezepten zusammenkonfektionierten Songs zu hören bekommt. Und es endet bei den teils unfassbar peinlichen Kostümen und Choreographien, die noch immer wie in einer Zeitschleife gefangen wirken, mit 70er-Jahre-Fernsehballett-Ästhetik und Eighties-Styling-Mutationen. Ein paar Paradiesvögel sind auch jedes Jahr dabei – sie wirken dann erst recht wie die gruseligen, seltenen und kuriosen Objekte, die Fürsten einst in ihren „Wunderkammern“ sammelten und zur Schau stellten. Entfesselung, Sinnlichkeit, Sex und Andersartigkeit lösen sich in bizarren Verkleidungen, kitschigen Trockeneisnebeln und merkwürdigen Verrenkungen auf, in den hysterischen Tränen der geschlauchten Sieger und im Frust der Letztplatzierten, in kühlen Länderplatzierungsstatistiken.
Das Wettstreiten liegt im Natur des Menschen, und gegen Song-Contests an sich ist nichts einzuwenden – im Grunde haben Hip-Hopper einst ihre Rivalitäten auf der Straße in diese friedliche Form der Auseinandersetzung kanalisiert. Aber ob man Kreativität derart einzwängen und zweckentfremden sollte wie beim ESC? Ich bin mir nicht sicher. Lustigerweise steht „ESC“ auf der Computertastatur für „Escape“, für „Ausstieg“. Aber das muss keine Handlungsaufforderung für den Eurovision Song Contest sein. Immerhin leisten sich die Final-Shows immer wieder spannende Ausreißer, als Ausnahmen, die die Regel bestätigen – in diesem Jahr etwa die schon betagtere Roma-Sängerin Esma Redzepova, die für Mazedonien antritt. Auch sind die Shows in den letzten Jahren so flott und humorvoll gemacht, dass man sie sich gut mal anschauen kann. Und der Cascada-Song, der einfach nur ein Genrestück und mitnichten ein Plagiat des Vorjahrssiegers Euphoria ist, erweist sich bei mehrmaligem Hören als harmonisch gar nicht mal so unfein collagiert. Weshalb es mich nicht wundern würde, wenn dieser hierzulande so gescholtene ESC-Prototyp am Ende doch auf den vorderen Plätzen landet.
Am 16. Mai startet die Neuverfilmung von F. Scott Fitzgeralds Romanklassiker Der große Gatsby in den deutschen Kinos. Regisseur ist Baz Luhrmann, der 2001 für seinen Musicalfilm Moulin Rouge Stars wie Nicole Kidman und Ewan McGregor zu enervierenden Gesangsdarbietungen animiert hatte. Auch im Großen Gatsby gibt es Musik, aber die scheint insgesamt etwas gelungener zu sein. Auf dem Soundtrack finden sich so coole Namen wie Jack White, The xx, Emeli Sandé und … Lana del Rey.
Lana del Rey? Da war doch was. Für die einen gehört die junge Amerikanerin zu den aufregendsten Popstars momentan, für die anderen ist sie der enttäuschendste Hype der letzten Jahre. Im Sommer 2011 hatte Lana del Rey via Internet massiv auf sich aufmerksam gemacht – mit schwermütigen Songs, einer auffällig tiefen Stimme, einem glamourösen 40er-/50er-Jahre-Styling und nostalgischen Videos, die größtenteils aus alten oder auf alt getrimmten Privatvideo- und Nachrichtenschnipseln bestanden.
Das internationale Feuilleton und fast das gesamte Spektrum der Lifestyle-, Rock- und Pop-Medien waren begeistert: Hier schien so etwas wie ein Konsensstar aufzusteigen – eine superintegre Künstlerpersönlichkeit, die in der Lage war, Kenner und Normalhörer, den kulturellen Mainstream, Alternativeszenen und Undergroundzirkel gleichermaßen zu überzeugen, ach was, zu begeistern.
„Lana“, das erinnert an Hollywood-Diven wie Lana Turner, und der „del Rey“ war einst ein von Ford produziertes Automodell. Schon der Künstlername der als Elizabeth Grant geborenen Sängerin lässt auf etwas Unechtes, Konstruiertes schließen. Nun sind Artifizielles und Manipulation etwas ganz Alltägliches im Showgeschäft und an sich kein Grund, sich von einem Star abzuwenden. Die entscheidenden Fragen aber lauten: Wie viel an Künstlichkeit ist noch akzeptabel? Könnte hinter der Medien-Persona ein halbwegs vernünftiger Mensch stecken? Und: Verbindet sich mit der Konstruktion eine ernstzunehmende Haltung, eine gewichtige, gesellschaftlich relevante Aussage?
Im Falle Lana del Rays schlug die anfängliche Bewunderung der Alternativekreise und Undergroundzirkel nach und nach in Ablehnung um: weil sich die entsprechende Kunstfigur als allzu kühl kalkuliert erwies und das morbid-nostalgische Flair ihrer Songs bald nur noch wie eine „Masche“ wirkte. Ein ernstzunehmender Gegenentwurf zu konventionellen Rollenbildern, eine zukunftsträchtige musikalische Alternative zur Charts-Musik der Zeit sah letztendlich anders aus und hörte sich auch anders an als das Produkt „Lana del Rey“.
Zusammen mit dem Song Video Games und den geschmackvollen Vintage-Videoclips war zunächst eine taffe Künstlerbiografie kolportiert worden, die Lizzy Grant eine Herkunft aus armen Verhältnissen und Kontakte zur Hip-Hop-Kultur bescheinigte. Songs und Videos sollten alle von Lana del Rey selbst konzipiert und produziert worden sein. Das klang interessant und weckte Erwartungen an eine gewichtige künstlerische Aussage, die das Musikmagazin „Rolling Stone“ stellvertretend für viele so umschrieb: „In den düster und schwül aufgeladenen Szenarios bündelt sich das Lebensgefühl einer von Abstiegsängsten und Selbstmitleid gequälten urbanen Mittelschicht.“ Unter solchen Vorzeichen verwunderte es auch niemanden, dass es die Künstlerin – wenn auch von der Redaktion skeptisch beleuchtet – bis aufs Cover der renommierten Szenezeitschrift „SPEX“ schaffte.
Doch schon die Tatsache, dass ihr CD-Debüt ausgerechnet beim Weltkonzern Universal erschien und in Zusammenarbeit mit Starproduzenten wie Guy Chambers (Robbie Williams) oder Eg White (Adele) entstanden war, stieß einigen Kritikern unangenehm auf. Hinzu kamen Zweifel an den in Umlauf gebrachten biografischen Fakten („Ist sie nicht eigentlich Millionärstochter?“), aber auch die verstörende Vermutung, die so sinnlich anmutenden Lippen der Interpretin könnten das Ergebnis einer Schönheits-OP sein. Und solche Schönheits-OPs sind ja eher in gelangweilten High-Society-Kreisen angesagt – in „der Szene“ geht so was ja gar nicht! Immer offensichtlicher erschien Lana del Rey als zurechtgestyltes Püppchen und teils auch als kaputt gemachtes Opfer einer nur an Megaumsätzen interessierten Musikindustrie. „Dauerte es vor einigen Jahrzehnten (oder noch vor einigen Jahren) zumindest noch mehrere Alben, bis aus hoffnungsvollen Nachwuchskünstlern öde Mainstreamveteranen geworden waren, sind die Tage dieser Internet-Hypes – genauso wie ihrer Leidensgenossen, der Castingstars – schon vor dem Erscheinen ihres Debüts gezählt“, schrieb etwa Tara Hillam 29. Januar 2012 auf tageswoche.ch/de: „Es sind im wörtlichen Sinne Totgeburten, ‚Born to Die‘, wie ironischerweise auch der Albumstitel des neusten Hype-Opfers namens Lana del Rey lautet. (…) Als die Zuschauerzahl von ‚Video Games‘ die Millionengrenze überschritt, krallte man sich das Mädchen mit den verdächtig vollen Lippen und schickte sie ins Studio, um ihre Songs zu veredeln. Und: so bald wie möglich auf den Markt zu werfen, bevor der nächste Hype die sensationell somnabule Göre wieder in vergessenheit geraten lassen könnte. (…) Doch damit verwechseln sie (die Musikkonzerne) ihre eigene Marketingmasche mit der Realität, versuchen sie ihre auf dem Reißbrett entstandenen Frankenstein-Konstrukte als ‚lebendige Subkulturvertrter‘ zu verkaufen.“
„Lana del Rey gilt zur Zeit als das größte Versprechen der Popmusik. Nun erscheint ihr Debütalbum“, schrieb Jens-Christian Rabe im Januar 2012 auf sueddeutsche.de, um gleich drauf ein ähnlich vernichtendes Fazit zu ziehen: „Doch es ist auch eine erzkonservative Männerphantasie, der ziemlich schnell die Luft ausgeht.“ Rabe sprach pointiert von der „Banalität des Dösens“, und was genau er unter einer erzkonservativen Männefantasie verstand, erklärte er so: „Wir sehen: ein Exemplar aus dem Menschenzoo. Wir hören: eine starke Frau, die so weit sediert wurde, dass sie ihrem Mann nicht mehr gefährlich werden kann.“
Auffällig ist, mit welcher Leidenschaft einige Kritikerinnen und Kritiker die Lana-de-Rey-CD Born to Die verrissen. Das war nicht einfach nüchternes Urteilen oder genüssliches Niedermachen, sondern Ausdruck eines tiefen Verletztseins. All diese Kritikerinnen und Kritiker waren zutiefst enttäuscht, dass man ihnen eine große Verheißung genommen hatte – und wütend auf sich selbst, weil sie einem enormen Hype aufgesessen waren. Fast schon anrührend ist die ellenlange Kritik eines Users im Intenetforum der Zeitschrift „Metal Hammer“ Ende Januar 2012. Der arme Mann beschreibt seine widersprüchlichen Gefühle während des Kaufs der CD bei einem „großen Elektronikfachhändler“ und versucht, in Worte zu fassen, was Lana del Rey und das ganze Bohei um sie ausmacht. Beinahe unter Tränen beschreibt er eine „mediale Tragödie“, die ihn regelrecht fertiggemacht hat.
Ab Frühjahr 2012 stieg Lana del Rey, die selbstverständlich nebenbei modelte, auch noch zum Fashion-Idol auf, und die schlimmsten Kritikerbefürchtungen wurden bestätigt. Unter anderem widmete das britische Modelabel Mulberry der Sängerin eine Damentasche. „Die ‚Del Rey‘, mittlere Größe und kurze Henkel“, vermeldete die Frauenzeitschrift „Amica“ begeistert, „wird es ab Mai unter anderem in Weiß zu kaufen geben.“ Dann machte die schwedische Modekette H&M Lana del Rey zum prominenten Gesicht ihrer Herbst-Winter-Kollektion 2012 und verbreitete die Kampagnenbilder großzügig auf Werbeflächen in ganz Deutschland. Zu guter Letzt warb die geschäftstüchtige Interpretin auch noch für ein neues Modell des Luxuswagenherstellers Jaguar, trat bei der Produktpräsentation auf und steuerte den Song Burning Desire zur Werbekampagne bei. leider wahr: „Lebensgefühl einer von Abstiegsängsten und Selbstmitleid gequälten urbanen Mittelschicht“ geht anders.
Aber mal ehrlich: Verdenken kann man es der cleveren Endzwanzigerin nicht: Sie hat schlichtweg ihre Chance ergriffen und eine Menge Geld verdient. Nur: Als selbstbewusstes Role Model unangepasster junger Frauen, als eigenständige Künstlerin, die einen abgründigen Gegenentwurf zum schönen Schein der Mainstreamkultur liefert und sich selbstbestimmt den Mechanismen einer globalisierten Wirtschaft widersetzt, war Lana del Rey verbrannt. Ein gewichtiger Teil der Kritiker, nämlich der, der über Credibility wacht, war nun endgültig enttäuscht. Inzwischen ist Lana del Rey tatsächlich nur noch ein ganz gewöhnlicher Superstar, eine weitere Stilikone mit netten Songs im Gepäck und lukrativen Werbeverträgen im Visier – ein Mainstreamprodukt zurechtgestylt für eine möglichst breite Masse. Als in Trauer und Melancholie versinkender Hollywood-Vamp mit hohem Nostalgiefaktor funktioniert Elizabeth Grant letztlich nicht anders als Hans Rolf Rippert alias Ivan Rebroff damals mit seiner Kosakenmasche. Und als düster-morbides Mewdienkonstrukt, hinter dem sich letztlich ein gut gelauntes Jetset-Girl verbirgt, ist sie einfach nur die Umkehrung des Prinzips von Künstlern wie Rex Gildo, Roy Black oder Britney Spears, hinter deren „Aufregende heile Welt“-Songs und -Performances sich haltlose, depressive Privatpersonen verbargen.
Und so hielt Jan Wigger im September 2012 auf SPIEGEL Online in einer Besprechung der CD Blackbird von Andrea Schroeder kurz und schmerzlos fest: „‚Blackberry Wine’ ist der düstere Cousin von Lee Hazlewoods ‚Summer Wine’ – und löst in gewisser Weise das Versprechen ein, das Lana del Rey gab und nicht halten konnte.“ Etwa zur selben Zeit begannen User auf der offiziellen Facebook-Seite von H&M, satirische Bilder von sich in den gleichen Posen wie Lana Del Rey hochzuladen – mit dicken Lippen und verpennten Augen, die gelangweilt in die Kamera blicken. Unfeiner kann man als Künstlerin kaum behandelt beziehungsweise entlarvt werden. Auch wenn zu vermuten steht, dass das Elizabeth Grant selbst am allerwenigsten kratzt. Warten wir also ab, was das gerade entstehende nächste Album bringt. Immerhin rücken Credibility-Gurus wie Jack White und Jay-Z nicht wirklich von ihr ab, und auf dem Soundtrack zum neuen Gatsby-Film, der von Selbstbetrug, Verbohrtheit und einer hohlen Luxusscheinwelt erzählt, macht sie sich erst mal nicht schlecht.