Politik der Achtsamkeit

ZURÜCKhaltung – das zweite Album der Liedermacherin julakim

Sie ist und bleibt ein Phänomen: julakim, die Architektin, die quasi über Nacht zur Songwriterin mutierte; die zwischen Südamerika und Rhein-Main, zwischen Büro und Bühne pendelt; die in keins der Singer-Songwriter-Klischees von „Betroffen-Anklagend“ bis „Nachdenklich-Beseelt“ passt, sondern ihren ganz eigenen verrückten und immer leicht sperrigen Gesang-und-Lyrik-Stil entwickelt hat; die bei Bandwettbewerben auch neben lautstarken Metal- oder Postpunkgruppen glänzt; und die das Geld zur Produktion ihres zweiten Albums mal eben schnell via Crowdfunding zusammengetragen hat.

Wie auf dem ersten Album itufi – to the tropics and back gibt es auch auf ZURÜCKhaltung einen überlangen, sagen wir: „Experimentaltrack“ – diesmal besteht er aus einem extrem leise abgemischten Achtminuten-Songteil und rund 11 Minuten Geräuschen von einem Bauernhof oder etwas Ähnlichem. Vom Gegacker der Welt heißt das Ganze und enthält ein paar gewichtige Verse, weshalb man sich umso mehr wundert, warum erst dann etwas zu verstehen ist, wenn man die Anlage aufdreht. Vielleicht will julakim, dass wir gerade hier ganz genau hinhören? Es geht um blinde Hühner, die nur ab und zu den Kern treffen müssen, die ihrer Wut frönen, nur an ihren eigenen Vorteil denken, irgendwelchen Gönnern hinterherlaufen und ansonsten nur funktionieren. Ein Kommentar zu Populisten, zu Pegida und AfD?

Abgesehen von diesen etwas fordernderen 19 Minuten aber ist ZURÜCKhaltung etwas runder und – im positiven Sinne – gefälliger geworden als das Debüt. Klarere Songstrukturen, rhythmische Vielfalt, mal jazzige, mal countryhafte Zwischentöne und mittendrin das wunderschöne Instrumentalstück Der Alltag: Aus der simplen Ausgangslage „Eine Frau und ihre Gitarre“ holt julakim noch einmal etwas mehr heraus. Und auch andere Stücke auf ZURÜCKhaltung scheinen sich auf aktuelle gesellschaftliche Themen zu beziehen: Willkommene handelt von leidgeprüften Flüchtlingen, vor deren Schicksalen wir zu lange die Augen verschlossen haben. Die Netzhaut spielt auf Lug und Trug und Hass im Internet an. Und Hallo Welt/Ola mundo, die Vertonung eines Gedichts von Sandra Becker, erzählt von negativen Folgen der Globalisierung, die es zu überwinden gilt, von Entfremdung, Spaltung und von Scheinwelten, gedanklichen wie virtuellen.

Wenn julakim überhaupt Lösungen anbieten will, dann finden sie sich in Songs wie dem Titelstück ZURÜCKhaltung und Stich in See. Nicht um ein Sich-Verkriechen geht es, sondern um eine Rückbesinnung auf Werte, verbunden mit aufrechtem Gang, einer gewissen Disziplin, mit Offenheit und Zusammenhalt, ja Achtsamkeit. Mut braucht es, um ungerechten Frustabbauern, Machtmenschen, Unterdrückern, falschen Propheten entgegenzutreten – dazu Neugier auf die Schönheit unserer Welt, auf die Schönheit in anderen Menschen oder ganz einfach auf die Liebe: „Schöne Unbekannte, zeigst du dich auch mal bei mir?“ Das ist das, was aus den Texten unaufdringlich hervorschimmert, auch wenn man längst nicht alles an ihnen versteht. Es ist ein Mix aus kurzen Statements, Aufforderungen, Gedankenfetzen, Bewusstseinsstrom – mal reimt es sich, mal klingt es provozierend unpoetisch. Aber so ist sie, die unerschrockene Lo-Fi-Künstlerin aus Darmstadt: Pfeift auf Konventionen und Erwartungen, lässt sich in keine Schublade packen und bleibt dabei doch immer nett und gut gelaunt.

Ist julakim eine politische Liedermacherin? Ja. Aber nicht im Sinne eines Wolf Biermann oder klassischer Protestsongs. Ihr geht es eher darum, wie man im Alltag mit sich selbst und mit anderen Menschen, auch mit Fremden, umgeht – um eine starke, positive Haltung. Aber läuft das nicht doch Gefahr, auch in Ein bisschen Frieden-Rührseligkeit abzudriften? Nein. Denn dass man leider kämpfen muss für seine Haltung, ist julakim durchaus bewusst. „Stich in See, du Mutiger / Lass dich nicht beirren“, singt sie an einer Stelle, „Es wird wohl immer blutiger / Aber du bitte lass dich nicht beirren.“ Schon seltsam, dass dieses Album just zum deprimierenden Wahlsieg von Donald Trump erschien.

Die CD ZURÜCKhaltung kostet 15 Euro zzgl. Porto und kann persönlich bei der Künstlerin bestellt werden. Mehr Infos und E-Mail-Adresse auf www.julakim.de. Über iTunes erhält man auch einen der schönsten julakim-Songs, comPARTIR.

Heilmittel gesucht

Gedanken zum Konzert von The Cure in der Frankfurter Festhalle

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Eisbär von Grauzone und Paul ist tot von den Fehlfarben, Der Mussolini von DAF, Polizisten von Extrabreit und etwas später noch Blue Monday von New Order – diese Songs bildeten in den frühen Achtzigern immer einen wunderbaren Mix in den angesagten Clubs der Stadt. Und natürlich A Forest, jenes geheimnisvoll und leicht beunruhigend dahinfließende Stück von The Cure, das eher von Atmosphäre und Sound, von verloren klagenden Worten als von einer klaren Songstruktur und Powerrefrain lebte. Die Zeiten waren konservativ und neoliberal, in Großbritannien regierte Margret Thatcher, in den USA Ronald Reagan, und die genannten Hits drückten den Weltschmerz und die Orientierungslosigkeit ganzer Heerscharen von Heranwachsenden und Twens dieser Zeit aus. Daneben gab es jede Menge Experimentelles, geistvoll Unterhaltsames, Respektlos-Multikulturelles und Rotzig-Provokantes, von Der Plan bis Palais Schaumburg, von Spandau Ballet bis Heaven 17, von Madness bis The Specials, von Joe Jackson und The Police über Blondie oder die Tubes bis hin zu Ideal – und es ist bestimmt nicht übertrieben, wenn man festhält, dass die New Wave, die im krassen Gegensatz zum politischen Weltklima eine vitale Vielfalt entwickelte und ganz nebenbei mit dem dekadenten Rockbombast der 1970er aufräumte, bis heute eine der kreativsten Phasen in der Geschichte der Popmusik markiert.

Exif_JPEG_PICTUREA Forest, ein wahres Monument dieser Zeit, war dann auch das Highlight des Konzerts, das The Cure am Montag, dem 7. November, in einer mehr als gut gefüllten Frankfurter Festhalle gaben. Und obwohl die Zeiten heute ganz andere sind, stellte sich in den Tagen nach dem Konzert auf eigenartige Weise ein ähnliches Gefühl wie damals ein. Denn am 9. November wurde überraschend der Populist Donald Trump zum nächsten Präsidenten der USA gewählt, womit sich aus Sicht vieler Europäer die schlimmsten Befürchtungen bestätigten. Im Frühjahr, als wir die Tickets orderten, gab es noch keinen Brexit, keinen Putschversuch in der Türkei, und die AfD war noch nicht ganz so „etabliert“, wie man mittlerweise entsetzt feststellen muss. Jetzt spukt uns parallel zu den desillusionierenden Nachrichten über Amerika nach der Wahl und den Rechtsruck in Europa die klagende Wimmerstimme von The-Cure-Dreh- und Angelpunkt Robert Smith im Kopf herum, zusammen mit den Bildern von KZs und Vietnamkrieg, die in der Festhalle beim Song One Hundred Years auf riesige Leinwände projiziert wurden, zusammen mit den endlosen Molltönen der Songs, den Textzeilen über Einsamkeit und Entfremdung. Aus dem entspannten „Ach komm, die touren immer noch? Dann lass uns einen schönen Nostalgieabend haben“-Impuls beim Kartenkauf ist ein ernstes „Unglaublich, die haben ja immer noch oder gerade wieder was zu sagen“-Empfinden geworden, auf das man vielleicht auch gerne verzichtet hätte.

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Das Konzert in der Festhalle war eine Zeitreise zurück durch die Jahrzehnte – in Form von 29 Songs, wie aufmerksame Medienvertreter hinterher berichteten. Es begann mit Material aus den 2000er Jahren, das auch wir kaum kannten, weil uns gar nicht bewusst gewesen war, dass The Cure bis vor wenigen Jahren regelmäßig neue Alben veröffentlicht hatten. Exif_JPEG_PICTURERobert Smith und der ständig sämtliche Bühnenregionen abschreitende Simon Gallup, seit dem 1980er Album Seventeen Seconds Bassist der Band, Reeves Gabrels, einst gemeinsam mit David Bowie im Rockprojekt Tin Machine unterwegs, Schlagzeuger Jason Cooper (seit 1995 bei The Cure) und Keyboarder Roger O’Donnell, On-and-off-Mitglied seit 1987, bliesen ihr Programm in dieser Konzertphase auf Stadionrock-Format auf, bis hin zum wüsten Heavy-Metal-Gewitter.

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Es folgte Bekannteres aus den Neunzigern, bis man schließlich, nach knapp zwei Stunden und mehreren kurzen Päuschen, endlich zu den großen The-Cure-Hits der Achtziger zucken und jubeln konnte: neben A Forest natürlich Boys Don’t Cry, In Between Days, Lullaby, Friday I’m In Love und, nicht unclever als Schlusspunkt gesetzt, Why Can’t I Be You? Das Ganze wurde dann auch nicht nur etwas sparsamer, klarer im Sound und näher am Original, sondern ebenso mit zunehmender Lockerheit vorgetragen: Je näher The Cure den Achtzigern kamen, desto häufiger nuschelte ein deutlich fülliger gewordener Robert Smith etwas ins Publikum oder ließ sich zu selbstironischen Verrenkungen verleiten, zum Abschied sogar zu dem einen oder anderen Lächeln samt Handshakes mit Konzertbesuchern in der ersten Reihe.

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Nur die übermütigen Love Cats fehlten – und das gewagte Killing An Arab – ein Song, der mit Motiven von Albert Camus spielt, aber in der Vergangenheit gern von reaktionären Kräften bewusst als rassisch motiviert fehlinterpretiert wurde. Bezeichnenderweise ist das Stück auf iTunes heute nur in einer verwaschenen Liveversion zu finden. Vielleicht musste es auch gerade in diesen Zeiten nicht unbedingt noch einmal gespielt werden, das dargebotene Songspektrum war auch so schon beeindruckend bis überwältigend.

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Was das Konzert außerdem interessant machte, war das visuelle Konzept der Show: Immer wieder wurden die Künstler überlebensgroß auf riesige Leinwände im Bühnenhintergrund projiziert, zum Teil mit irritierenden Effekten: mal als gigantische Schatten, die sich alles andere als synchron zu den Akteuren auf der Bühne bewegten, mal live von vorn gefilmt, auch farblich verfremdet, mal von hinten, mit dem Blick ins Festhallenpublikum, so dass sich wie in einem Spiegel der Eindruck einer gigantischen Menschenmenge einstellte. Ganz unauffällig wurden so Identitäten, Zerrbilder und Projektionen, das Verhältnis von Individuum und Masse, von Künstler und Publikum thematisiert. An anderen Stellen boten Spinnenetze, psychedelisch verfremdete Landschaften, ein finsterer Wald oder die Umrisse einer japanischen Geisha visuelle Entsprechungen zu den Textinhalten.

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Retromania heißt ein Buch aus dem Jahr 2011, in dem der britische Journalist Simon Reynolds die Band-Reunions, Wiederveröffentlichungen und Stil-Revivals einer historisch gewordenen Rock- und Popkultur kritisch unter die Lupe nimmt. Alles Nostalgie, befindet er enttäuscht – was fehle, seien neue musikalische Kräfte mit belebenden überraschenden Impulsen. The Cure kann er nicht wirklich gemeint haben, denn wie gesagt: Hier handelt es sich nicht um eine Reunion oder eine nostalgische Best-of-Tour aus kommerziellen Interessen – Robert Smith & Co sind in wechselnder Besetzung seit den 1970er Jahren aktiv. Werden aber gerade von der Geschichte eingeholt: Denn einmal mehr droht die Welt, sich in finsteren Wäldern zu verirren, auf eine neue Eiszeit zuzusteuern, in der Erzkonservative bis Totalitäre das Sagen haben. Wir lernen: Kontinuität und Konstanz, wie sie The Cure an den Tag legen, sind vielleicht nicht das Schlechteste.

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Und doch täten begleitend frische Impulse gut. „Brothers, sisters, we don’t need that Fascist Groove Thang“ sangen Heaven 17 in den Achtzigern leidenschaftlich, während The Blow Monkeys mit The Day After You versteckt und ungemein tanzbar das Ende der Thatcher-Regierung herbeisehnten. Mit klarer Kante und überbordender Kreativität wurden damals Erzkonservative, Ewiggestrige und offen Rechte letztlich auch musikalisch weggeblasen. Wir brauchen so etwas wie einen neuen Soundtrack zum aktuellen Credo der amerikanischen Demokraten: „Wir haben Reagan hinter uns gelassen, wir haben Bush hinter uns gelassen, und wir werden auch Donald Trump hinter uns lassen.“

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Fotos © M. Behrendt