Nette Geister

Da schreibe ich gedankenverloren meine Blogeinträge, und plötzlich erreichen mich unaufgefordert E-Mails von Bands und Musikern, die ich gar nicht kenne. Das freut mich sehr, denn: Hui, mein Geschreibsel wurde irgendwo zumindest registriert. „Schreib doch auch mal was über uns“, lautet der einhellige Tenor dieser Mails, also denke ich mir: Warum eigentlich nicht? Denn irgendwo sind’s auch die Geister, die ich rief, und warum nicht mal Neues entdecken?!

Schöngeister

Das erste Projekt, das ich vorstellen möchte, kommt aus Leipzig und Berlin und nennt sich A Forest. A Forest? Trägt nicht ein Klassiker von The Cure diesen Titel? Mit den Sounds, den Rhythmen und den Melodien von Robert Smith & Co hat dieses Trio erst mal wenig gemein, wohl aber mit der molligen, leicht düsteren Grundstimmung. Getragene bis mittelschnelle elektronische Beats, flächige Sounds und zwei selbstvergessen vor sich hin raunende Männerstimmen setzen vor allem auf drei Effekte: Atmosphäre, Atmosphäre und … Atmosphäre. Früher hätte man etwas voreilig Trip-Hop dazu gesagt, A Forest selbst sprechen von „Electronica, Kammerpop, Singer-Songwriter, altem Soul und Minimal Techno“, es gehe um „Songs wie alte Gemälde“, „einen vollkommen eigenen Entwurf von Pop“. Leidenschaftlich und selbstbewusst sind sie, auch visuell arbeiten sie mit guten Leuten zusammen. Im geschmackvoll-seltsamen Video zu The Shepherd stapft eine Art Waldschrat, dessen Fell oder Umhang aus schwarzem Lametta oder Magnettonbandstreifen besteht, durch Feld und Wiesen, sein Ziel ist das Wasser.

A Forest bleiben bewusst vage, beschwören eigenartige Stimmungen, und vor allem die eine der beiden Leadstimmen – die rauere, markantere  – geht nicht übel unter die Haut. Auf der Homepage der drei (www.iamaforest.com) finden sich diverse Hörproben und Videos, die Interesse wecken dürften – dort kann man auch unter dem lustigen Motto „Become a leaf“ („Werde ein Blatt“) zum aktiven Supporter werden. Abgesehen davon hoffe ich, A Forest hauen mich nicht, wenn ich sage: Versucht’s doch mal mit deutschen Texten, das könnte einschlagen!

Der Geist der Goldenen Zwanziger

Aus Dresden kommt die Band Friling, die sich der Musik der Golden Twenties – von Django Reinhardt bis Swing – verschrieben hat. Friling ist jiddisch und heißt Frühling, was ganz gut zum Gute-Laune-Sound der Gruppe passt. Das auch über Crowdfunding finanzierte Album The Mighty Monsieur Moustache lebt vom Gesang der beiden Frontfrauen Lisa Zwinzscher und Linda Gossmann sowie von einer ungewöhnlichen Instrumentierung, zu der auch Violine und Posaune gehören.

Die Songs des Albums kommen locker-flockig daher, sympathisch und mit jugendlichem Charme, handwerklich versiert – nur ein 7-Minuten-Epos mit kleinen Hörspielelementen und die eine oder andere zusätzliche Instrumentalpassage wirken etwas überambitioniert. Dass sie es ernst meinen, unterstreichen Friling mit einem zünftigen Zwanzigerjahre-Outfit, das sie selbstverständlich auch auf der Bühne tragen. Keine Frage, das ist konsequent, engagiert, wirkt liebevoll durchgestylt und sorgt für ein gewisses Flair. Es zwängt die Band aber auch in ein Korsett. Hoffentlich hauen mich Friling nicht, wenn ich finde, dass sie sich noch etwas unentschieden zwischen Entertainment und schweißtreibender Mucke bewegen. Wollen sie ein Revue-Act sein, dem man andächtig lauscht und zuschaut, oder wollen sie den Club rocken? Musikalisches Potenzial ist auf jeden Fall mehr als reichlich vorhanden, und ich bin gespannt, was da noch kommt. Klar, dass sich auch bei ihnen ein Besuch auf der Website mit Hörproben und Videos lohnt – www.frilingmusic.de.

Freigeist

Mit schöngeistigen Soundtüfteleien und klassischem Entertainment hat julakim überhaupt nichts am Hut. Auch um Songkonventionen schert sich die Darmstädterin nicht. Mal klingt sie wie eine klassische Lo-Fi-Singer-Songwriterin, mal wie eine Avantgardemusikerin, mal singt sie englisch, mal deutsch, mal französisch, mal portugiesisch. Sie wirkt in der Architekturszene, hält lustige Vorträge bei Pecha-Kucha-Events und macht Projekte in Brasilien. Jetzt hat sie quasi aus dem Nichts eine Musik-CD veröffentlicht und macht Livebühnen unsicher. itufi heißt das Werk, was für I Think You Fake It steht.

Fake ist nichts bei julakim. Sie kann ihr Publikum musikalisch und gesanglich sanft umschmeicheln, aber sie kann es – und ich hoffe, sie haut mich nicht – mit stimmlichen Extravaganzen, versponnenen Texten und spontanen Experimenten auch härter rannehmen. Verblüffend: Dabei trägt sie stets ein Lächeln im Gesicht. Das für mich interessanteste Sück auf der CD ist Dear Fear, das seinem Titel mit fast schon psychedelisch anmutenden Klangexperimenten alle Ehre macht. Der letzte Track – don’t panic be organic (extended) – dauert 16(!) Minuten, von denen die ersten 12 nur aus leisen Naturgeräuschen bestehen. Außerdem scheint da irgendjemand vor sich hin zu gärtnern. Und wenn man schon gar nicht mehr hinhört, schält sich aus dem unbestimmten Gerausche, Gezirpe und Geklopfe doch noch ein kleiner Song heraus. Das ist grenzenlos, radikal individualistisch und gegen jede Regel.

Anfang nächsten Jahres geht julakim wieder für ein paar Monate nach Brasilien – vielleicht kommt sie dann als Malerin und Bildhauerin zurück. Zum Abschied tritt sie am 2.12. noch mal im Frankfurter Club „Orange Peel“ auf. Daneben plant sie – wie passend – ein Video über so etwas wie die Freiheit und die Authentizität des Individuums. Daran kann sich – Interaktion! – eine jede und ein jeder beteiligen! Noch in den nächsten Wochen sind Interessierte aufgefordert, kleine Filmbeiträge zu den Themen „Konsumerismus, Kapitalismus, schnelles Leben und System“ an julakim zu senden, die dann Eingang ins Video finden sollen. Mehr dazu von Martina („Ich bin nicht julakim“) im leicht bizarren Video oben und auf der Website http://julakim.de/be/

 

Yacht Rock – der neuste (alte) Schrei

Neulich postete der sehr geschätzte und weit über Frankfurts Grenzen hinaus bekannte DJ Heinz Felber auf Facebook einen Schmuserocksong, den ich lange nicht mehr gehört hatte: Baby Come Back von Player. Der lapidare Kommentar dazu lautete: „Yacht Rock Classic“.

Yacht Rock?, fragte ich mich, wie kommt denn da das Boot ins Spiel? Und wollte frotzelnd gleich etwas zurückposten, von wegen: „Auch ohne Luxusschiff spitze“, oder: „Heinz, bist Du seekrank?“ Aber da man sich mit allzu übereilten Facebook-Kommentaren leicht in die Nesseln setzen kann, warf ich lieber erst mal die Internetsuchmaschine an. Und siehe da: Den Yacht-Rock-Begriff gibt’s tatsächlich.

Er bezieht sich auf Musik, die die meisten von uns kennen. Gemeint sind die die überaus geschmackvoll produzierten, mit perfektem Satzgesang und exquisiten Soli versehenen Songs von späten 1970er- und frühen 1980er-Größen wie den Doobie Brothers, Toto, Loggins & Messina, Hall & Oates, den Eagles oder Steely Dan. Journey, REO Speed Wagon, Christopher Cross und selbst Foreigner mit ihren langsameren Songs zählen auch noch dazu. Natürlich wurde diese Musik damals noch nicht so genannt. Der Begriff Yacht Rock wurde laut Wikipedia erstmals 1990 gebraucht, und zwar im despektierlichen Blick zurück auf den Musikgeschmack der Achtzigerjahre-Yuppies, die all den genannten Bands lauschten, während sie auf ihren teuren Partybooten vor der Küste Kaliforniens cruisten. Auch die eine oder andere nautische Referenz in Songtexten, Videos und Albumcovers (siehe Sailing von Christopher Cross) soll den Begriff inspiriert haben.

Der abwertende Charakter erklärt sich durch die Tatsache, dass im selben Zeitraum (Ende der Siebziger- bis Ende der Achtzigerjahre) Punk und New Wave für eine Revolution in der Rockmusik gesorgt hatten – perfekte Studioproduktionen von kompositorisch versierten Künstlern mit Hippie- und Konfektionsrock-Hintergrund galten vielen jüngeren Fans als suspekt oder zumindest als angestaubt. Richtig populär, zumindest im angloamerikanischen Sprachraum, wurde Yacht Rock wieder um 2005, und zwar durch eine Serie von fünfminütigen Onlinevideos, die die Protagonisten des Genres in von Schauspielern gespielten fiktiven Szenen durch den Kakao zogen. Der Kopf dahinter, J. D. Ryznar, machte sich zwar ordentlich über die Musiker und die geradezu „inzestuösen“ Verbandelungen innerhalb der Yacht-Rock-Szene lustig, zeigte sich aber auch als echter Fan der Musik und ließ diese zu ihrem Recht kommen.

So wirken die Protagonisten der ersten Videofolge, in der fantasiert wird, wie es zur Entstehung des Hits What A Fool Believes von den Doobie Brothers kam, zwar wie Karikaturen – dem Hit selbst aber wird großer Respekt gezollt. Und dese Anerkennung der Musik führte schließlich zu der positiven Besetzung, die der Begriff Yacht Rock heute genießt. In einer Zeit, in der immer häufiger die „Qualität“ selbst von Fußballspielern und -teams beschworen wird, hat man auch die herausragende Qualität der Smooth-Rock-Hits von damals wiederentdeckt. Mit dem Ergebnis, dass es, etwa in London, regelmäßige Clubabende zum Thema gibt, dass einige der einschlägigen Acts wieder auf Tour gehen und dass verschiedene entsprechende Compilations herauskamen, zuletzt, im Juni 2014, eine „Yacht Rock“-3-CD-Zusammenstellung aus dem Hause Universal.

Bands wie Haim aus Los Angeles lassen etwas vom Rockgeist der späten Siebzigerjahre aufleben, die französische Gruppe Phoenix zitiert diesen kräftig, und die Stepkids aus dem US-Bundesstaat Connecticut klingen sogar manchmal wie eine Reinkarnation von Steely Dan. Das New Yorker Electro-Funk-Duo Chromeo wiederum arbeitet geschickt Yacht-Rock-Elemente in seinen Dancefloor-Sound ein – und war auch schon gemeinsam mit Hall & Oates auf Tour.

Da wird es ja mal Zeit, dass Yacht Rock auch in unseren Breiten ein Revival erlebt. DJ Heinz Felber will den Anfang machen. Mit einem Clubabend am 27.12. in Frankfurt, bei Hans Romanov im „Neglected Grassland“.