frei.wild oder: Das fiese Handwerk des Falsch-verstanden-Werdens

Als Song- und Lyrics-Freund muss ich manchmal leiden. Es sind jedoch nicht 08/15-Songs und Klischeetexte, die mich leiden lassen – die gehören einfach dazu und haben oft sogar einen gewissen Trash- oder anderen Unterhaltungswert; nein, es sind Songs und Lyrics, die miese Assoziationen wecken, die vom Hörer verlangen, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob ihre Urheber Frauen- oder Schwulenfeinde, Antisemiten oder Neonazis sind.

Das letzte Mal habe ich wegen Xavas gelitten: Ihr selten dämlicher Song Wo sind sie? hatte kaum belegbare „Ritualmorde an Kindern“ (ein echtes Nicht-Thema) angeprangert und dabei unnötigerweise Antifaschisten sowie Lesben- und Schwulenorganisationen auf den Plan gerufen, die jede Menge Unkorrektes herausgehört haben wollten. Meine genauere Analyse mündete dann in eine Verteidigung des Künstlerduos, allerdings in eine schlechtgelaunte. Wie blöd kann man nur sein?, hätte ich Xavier Naidoo und Kool Savas am liebsten zugerufen.

Aktuell lässt mich frei.wild leiden, jene Band, wegen der sich Kraftklub und Mia von der Echo-Nominiertenliste streichen ließen. Und diesmal springt nicht mal eine schlechtgelaunte Verteidigung dabei heraus. Denn die Südtiroler „Deutschrocker“ kotzen mich einfach nachhaltig an. Seit Jahren schon streiten sie eine rechtsradikale Gesinnung ab, äußern sich sogar in Songtexten gegen Neonazis – und tun doch alles, um diese leidige Diskussion immer wieder zu befeuern, unter klammheimlichem Beifall von Teilen der rechten Szene.

Da sind Widersprüche – etwa wenn die Band einerseits behauptet, unpolitisch zu sein, und andererseits anprangert, dass Südtirol zu Italien gehört. Da ist ein widerwärtiger Jargon, der nicht nur allen Ernstes und im Brustton der Überzeugung mit Ewiggestrigen-Vokabular wie „Heimat“, „Ahnen“ und „Brauchtum“ um sich wirft, sondern auch voller Drohgebärden gegen Andersdenkende steckt, bis hin zur Thematisierung körperlicher Gewalt. Und da ist die abstoßende Selbststilisierung der Bandmitglieder zu Märtyrern, die allen Anfeindungen von Heuchlern und Moralaposteln zum Trotz ihren Weg gehen.

frei.wild fordern ein, dass man genau hinhört – aber je genauer ich hinhöre, je mehr Songs und Videos ich im Internet anspiele, desto abgetörnter bin ich. Es ist eine Band, die nicht in der Lage ist, aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen angemessen, ernst oder humorvoll zu reflektieren und sich stattdessen vor allem übers Nicht- oder Falsch-verstanden-Werden und übers verbale Zurückschlagen definiert. Beides bedingt und ergänzt sich gegenseitig: eine armselige Masche – und eine miefige Nische, in der es sich frei.wild auf ärgerliche Weise bequem gemacht haben. Wer nichts mit Extremismus, Nationalismus, Faschismus, Drohungen und Gewalt am Hut hat, braucht einfach nicht davon zu singen und hat es auch nicht nötig, sich ständig selbstverliebt zu rechtfertigen. So einfach ist das.

Ansonsten verweise ich auf die gelungene Analyse, die Christoph Twickel vor ein paar Tagen für SPIEGEL Online geschrieben hat: Für Twickel transportiert frei.wild ganz klar die Botschaft: „Offensiv vor sich hergetragener Patriotismus ist okay“. Die Band vertrete konservative Werte, verkaufe „ihre Positionen als Tabubrüche“, „als ‚Gegenkultur’ zu einer vermeintlich verlogenen Mehrheitsgesellschaft“ und äußere „Gewaltphantasien und Verwünschungen gegen die anonymen Gegner“. In Twickels Analyse kommt auch ein Aussteiger aus der Nazi-Szene zu Wort. Für ihn „ist die Band genau wegen des angeblich unpolitischen Patriotismus ‚furchtbar gefährlich’: ‚Was sie auf jeden Fall tun: Sie relativieren Rechtsextremismus.’“

Dem ist nichts hinzuzufügen – außer dem beunruhigenden Hinweis, dass frei.wild nicht etwa ein Randgruppenphänomen mit unerheblichen Verkaufszahlen darstellen, sondern regelmäßig Top-Ten-Platzierungen in den Charts erreichen. Deshalb waren sie ja auch zunächst für den Echo nominiert. Das vor allem lässt mich leiden, nicht nur als Song- und Lyrics-Freund.

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