Meine Mutter lernte mich zu sagen…

Neulich ging es an dieser Stelle um die Unfähigkeit, sprachlich korrekt zu texten. Diese Unfähigkeit ist natürlich dann am offenkundigsten, wenn man sich in einer anderen als der Muttersprache versucht. Das fiel mir kürzlich wieder auf, als ich im Radio die guten alten Lords aus Berlin hörte, in den 1960er Jahren eine der erfolgreichsten deutschen Antworten auf die Beatles. Die Lords coverten damals viele britische Originalhits, versuchten sich aber immer wieder auch an Eigenkompositionen. Dabei gingen sie musikalisch gar nicht mal schlecht zu Werke, bewiesen ein feines Gefühl für beattypische Riffs, Akkordwechsel und Melodien. Aber was sie textlich ablieferten, war oft nur aus Versatzstücken zusammengestoppelt, und das nicht selten in fehlerhaftem Englisch.

Ein einschlägiges Beispiel ist ihr Hit Poor Boy aus dem Jahr 1965. Die erste Strophe und der Refrain des Songs lauten tatsächlich: „When I was born, you know / I couldn’t speak and go / My mother worked each day / And she learned me to say / Mother and father and son, / Sister and uncle have fun / And she learned me to say / Life is so hard each day // Poor boy, you must know / Poor boy the life is hard to go / Poor boy, poor boy, you might say / Life is very hard to stay.“

Das ist natürlich ein wunderbarer Schmunzeltext. Denn die Phrase „She learned me to say“, die eine Mutter an ihren Sohn richtet, ist wunderbares Denglisch, übersetzt heißt sie: „Sie lernte mich zu sagen“, wo doch „Sie lehrte mich zu sagen“, englisch: „She taught me to say“, korrekt gewesen wäre. „The life is hard to go“ ist eine weitere herrlich verhunzte Phrase, zum einen weil hier „life“ fälschlicherweise mit dem Artikel „the“ versehen ist, zum anderen weil „life is hard to go“ kaum Sinn ergibt. Vielleicht ging es darum, dass der Weg des Lebens nicht leicht zu gehen ist, aber das hätte man auch so oder ähnlich ausdrücken können. „Armer Junge, das Leben ist hart“, scheinen uns die Lords im Großen und Ganzen vermitteln zu wollen, doch verstellen sie diese Aussage zusätzlich durch banalste Feststellungen wie: „Als ich geboren wurde, konnte ich weder sprechen noch gehen“ (in den englischsprachigen Lyrics „I couldn’t speak and go“, wo „talk or walk“ angebrachter gewesen wäre) und groteske Einschübe à la: „Mutter, Vater, Sohn, Schwester und Onkel haben Spaß.“

Ja, das Leben ist hart zu bleiben – dieser sinnfreie Schlusssatz setzt dem textlich sowieso schon verhunzten Refrain noch die Krone auf. Angesichts solcher sprachlicher Klöpse wundert man sich nicht, wenn man bei Wikipedia liest, dass Klaus-Peter „Lord Leo“ Lietz den Song in gerade mal drei Stunden zusammengefrickelt haben soll.

Allerdings lässt sich über den unfreiwilligen Unterhaltungswert hinaus auch eine Erkenntnis aus solchen sprachlichen Irritationen, Unsauberkeiten und Ungereimtheiten in Songtexten mitnehmen: nämlich dass Lyrics nicht etwa unmittelbarer Ausdruck der Gefühle einer Autorin oder eines Autors, sondern etwas Künstliches, Konstruiertes sind. Wie im Kino, wenn der Ton zu leise, das Bild unscharf ist oder der Filmstreifen reißt, wird auch in Lyrics durch grobe sprachliche Unregelmäßigkeiten die Illusion gestört. Man wird aus der Gedanken- und Gefühlswelt, in die man gerade eingetaucht war, mehr oder minder unsanft herausgerissen. Und das sagt gleichzeitig etwas über das Verhältnis zwischen dem Song-Ich und dem biografischen Ich der Autorin oder des Autors aus. Natürlich kann es eine große Nähe zwischen beiden Polen geben, aber die künstlerische Überformung mit all ihren Verfremdungseffekten und Fallstricken sorgt auch für eine grundsätzliche Distanz.

 

Dass es hin und wieder selbst in deutschsprachigen Lyrics deutscher Songwriter knirscht und wie andererseits sprachliche Ungereimtheiten ganz gezielt sinnstiftend eingesetzt werden können, erörtere ich ausführlicher in meinem aktuellen Beitrag für die Reihe „Pop-Splitter“ auf Faust-Kultur: