Ween – „Gabrielle“: Songs für Neandertaler, Autos für Yetis

„Unglaublich, wie mies du mich behandelst“ – so lautet der Tenor des EMF-Klassikers Unbelievable. „Unglaublich, wie hirnlos ausgerechnet ‚Unbelievable‘ von EMF in eine Autowerbung eingebettet wird“ – das war der Tenor eines älteren Eintrags in diesem Blog. Welch seltsame Effekte sich ergeben, wenn Songs in völllg fremde Kontexte wie Werbespots gestellt werden, ist immer wieder ein spannendes Thema. Jüngstes Beispiel: die Verwendung des Songs Gabrielle in einem Spot für die Automarke Skoda. Das Stück ist zu hören, während zwei alberne Jungs vor Freude auf ihren Autositzen herumhüpfen und einer attraktiven Frau im roten Kleid nachschauen.

Zunächst mal: „Gabrielle“ ist ein fantastisches Stück Musik. Wer flotten Auf-den-Punkt-Rock mit knackigen Gitarren und grandiosem Solo liebt, dürfte vor allem an der Studioversion des Songs viel Freude haben. Aber, und das macht den Fall erst interessant: Gabrielle ist inhaltlich hochgradig ambivalent. Da beteuert ein ganz offensichtlich männliches Ich seine Liebe zur im Titel genannten Frau – auch wenn er ihr blöderweise manchmal wehtut. Schon in den ersten beiden Strophen ist die Grundspannung angelegt: „I don’t mean to be so insolent / But you know it’s cause I love you / The foundation of my malevolence / You know I’d never hurt you babe“, heißt es da hochtrabend pathetisch, und: „Sometimes I might get edgy / But a man can sometimes be that way / And nobody’s perfect baby / And I’ll always love you anyway.“ Übersetzt etwa: „Ich will ja nicht anmaßend sein, aber es ist, weil ich Dich liebe / Die Grundlage für meine Böswilligkeit / Du weißt, Baby, ich würde Dir doch niemals wehtun. / Vielleicht bin ich manchmal ein bisschen unausgeglichen / Aber Männer können halt so sein / Na ja, und niemand ist perfekt, Baby / Und ich werd Dich sowieso immer lieben.“

Wie merkwürdig klingt das denn? Klar, da ist die Beteuerung seiner Liebe. Aber da tun sich gleichzeitig auch Abgründe auf, die anmaßendes Verhalten und schlimme Ausbrüche gegenüber der geliebten Person vermuten lassen, nur um mit einem achselzuckenden „Männer sind so, und niemand ist perfekt“ abgetan zu werden. Der Refrain ist dann Süßholzraspelei der übelsten Sorte: „Oh Gabrielle, the sun is shining in your eyes /
Oh Gabrielle, I didn’t mean to make you cry / Oh my sweet baby doll, I put you above everything / Oh Gabrielle, I love you til the day I die.“ – Übersetzt: „Oh Gabrielle, die Sonne scheint in Deinen Augen / Oh Gabrielle, ich wollte Dich nicht zum Weinen bringen / Oh meine süße Babypuppe, ich stell‘ Dich über alles andere / Oh Gabrielle, ich liebe Dich bis an meinen letzten Tag.“

Die Ambivalenz des Songs besteht darin, dass er einerseits wie ein zätliches Liebeslied daherkommt, andererseits auch wie die Selbstentlarvung eines ziemlich miesen Typen gehört werden kann. Folglich gibt es in Chatforen User, die zu Tränen gerührt sind, weil sich das Song-Ich so gefühlvoll für eine Unachtsamkeit oder einen kleinen Fehltritt entschuldigt, und andere, die den Song gerade wegen seiner abgründigen Doppelbödigkeit schätzen. Ich gehöre zu den Letzteren. Warum? Weil auch in Formulierungen wie „My sweet baby doll“ zum Ausdruck kommt, dass der Sprecher in „seinem“ Mädchen vor allem schmückendes Eigentum und eine Art Spielzeug sieht – dass er ein selbstverliebtes Machotum pflegt, das durchaus auch häusliche Gewalt beinhalten kann. Manchmal fühle er sich wie sein Vater, gesteht der Sprecher weiter („Sometimes I feel like my old man“), und manchmal verliere er eben einfach den Kopf („And sometimes I just lose my head“). Autoritäres Gebaren also, gewalttätige Ausraster inklusive? Er würde sein Schätzchen natürlich niemal verletzen, aber er müsse sie einfach lieben („Do nothing to hurt you baby / But you know I got to love you anyway“) – gerade in diesen letzten Zeilen schwingt für mich eine brutale Liebe mit, die auf Gabrielle eine einschüchternde Wirkung haben dürfte. Ween sind bekannt für gezielte unterschwellige Geschmacklosigkeiten.

Hin und wieder bemerken Kommentatoren, dass Gesang und Gesamtsound des Stückes verdächtig nach dem längst verstorbenen Phil Lynott und seiner Hardrock-Band Thin Lizzy klingen – eine Einschätzung, die ich teile. Gabrielle ist in meinen Ohren sogar eine Thin-Lizzy-Parodie. Der Song nimmt den Machorocker in schwarzen Lederhosen, seine „Ein Mann ist, wie er ist, und muss tun, was er tun muss“-Larmoyanz und sein pathetisches Gepose subtil auf die Schippe. Einen Männertypus, der eigentlich etwas von einem Neandertaler hat, aber einfach nicht totzukriegen ist. Womit wir allmählich auf den Skoda-Werbespot zurückkommen. Denn das Modell, das in dem kleinen Filmchen beworben wird, heißt „Yeti“.

Da stellt sich natürlich die Frage: Haben die Marketingspezialisten von Skoda gewusst, was sie taten, als sie ihr Auto „Yeti“ nannten und Gabrielle von Ween als Soundtrack wählten? Oder wollten sie einfach nur ihrem langlebigen, wetterfesten Modell einen lustigen Namen geben und es mit einem schönen, schmissigen Rocksong bewerben? Ich vermute ja Letzteres. Und doch sprechen sie auf verblüffende Weise ziemlich perfekt die Zielgruppe der Macho-Neandertaler an, indem sie ihren Wagen entsprechend titulieren und den Ween-Song sämtlicher Ironie berauben. Die Zielgruppe der unverbesserlichen Möchtegernpatriarchen dürfte ziemlich groß sein und schließt selbst internationale Spitzenpolitiker ein – wie gerade einmal mehr Wladimir Putin beweist.