Irre Web-Performances: Musik mit Schauwert

Musik klingt, Musik will gehört werden. Und wenn es noch ein schickes Video dazu gibt, die Lieblingsband sogar live vor uns steht, dann bekommt auch das Auge etwas geboten. Interessantes Aussehen, Gitarrenschwenken und das Aufführen der größten Hits bedeuten aber längst nicht das Ende der Performance-Fahnenstange. Manche Musikerinnen und Musiker spicken ihre Darbietungen derart mit akustischen und visuellen Schauwerten, dass die Art und Weise des Vortrags wichtiger wird als das gespielte Stück.

Das Internet erweist sich hier als wahre Fundgrube. Von Livemitschnitten einiger Bühnenauftritte, die man sonst nie gesehen hätte, bis zu atemraubenden Schlaf- und Wohnzimmer-Happenings reicht das Spektrum der kleinen Perlen, die permanent durch die sozialen Netzwerke gereicht werden. Da ist zum Beispiel der unscheinbare Junge, der in einer Fußgängerzone auf umgedrehten Eimern eine Drum-Performance hinlegt, dass einem Hören und Sehen fast schon wieder vergehen – komplett mit Eimerverschieben und Drumstick-Rotieren-Lassen:

Dann ist da der Komiker Michael Winslow, der nur ein Mikrofon und einen unscheinbaren Assistenten an der akustischen Gitarre braucht, um brachiale Hardrock-Klassiker wie Whole Lotta Love von Led Zeppelin fast originalgetreu zum Leben zu erwecken:

Apropos Hardrock: Ist das noch Rockmusik oder schon höhere Artistik – und damit ein Fall für den Frankfurter „Tigerpalast“? 2 Cellos nennen sich zwei kroatische Cellisten, die Headbanger-Hits wie Thunderstruck von AC/DC wie harmlose Kinderlieder erscheinen lassen. Man fragt sich unweigerlich, wann das Cellospiel endlich zur olympischen Disziplin erklärt wird.:

Außerordentliche Körperbeherrschung beweisen auch diese vier jungen Menschen hier, die mit dem Aufsetzen und Weiterreichen von ein paar simplen Bechern die rhythmische Basis für ihren feinen A-Cappella-Gesang legen. Soll mal einer sagen, Männer wären nicht genauso multitaskingfähig wie Frauen. Schmalz und Schmelz hin und her – der Cup Song – You’re Gonna Miss Me When I’m Gone gehört zu den schönsten Sommervideos:

Die Kombination aus musikalischer Virtuosität und – schon, ja – Akrobatik wird im folgenden Video noch etwas weitergetrieben. Salut Salon nennen sich vier Künstlerinnen aus Hamburg, die hier ihr Können in einen vielschichtigen Wettstreit verpacken. Absolut sehens- unds hörenswert:

Was aber, wenn man keine Mitstreiterinnen oder Mitstreiter hat, also ganz auf sich allein gestellt ist? Dann nimmt man sich eben modernste Technik zu Hilfe. Und übt so lange, bis man es locker drauf hat, live und unplugged zigfach mit sich selbst im Chor zu singen. Schade dass das Video einer jungen Engländerin, die in ihrem Wohnzimmer eine faszinierende Live-Coverversion des komplexen Songs Cough, Cough der Art-Rock-Band Everything Everything dahinzaubert, im World Wide Web nicht mehr aufzufinden ist – möglicherweise ist es für unsereins gesperrt. Aber es gibt ja noch Künstlerinnen wie Kawehi, die ihre Sache ähnlich beeindruckend machen. Für eine Coverversion von Michael Jacksons The Way You Make Me Feel loopt Kawehi ihre Stimme mehrfach und erzeugt so die Illusion eines ganzen Chors – und das in ihrem Schlafzimmer. Mindestens so spannend wie ihre Performance ist die Frage: Wie hat sie es nur geschaft, dass die beiden Hunde an ihrer Seite so friedlich lauschen?

Das letzte Netzvideo schließt den Kreis zum Beginn dieses Eintrags. Es geht einmal mehr um Percussion, aber diesmal nicht um Trommelstöcke und Eimer. Nein, sämtliche Drumsounds werden allein mit dem Mund bzw. dem Atemapparat des Menschen erzeugt. Als Human Beatboxes inszenieren sich Künstler wie Tom Thum, der wohl zu den Besten seines Fachs gehört. Das letzte Video in diesem kleinen Sommer-Special ist zwar etwas länger, aber man schaut es fasziniert vom Anfang bis zum Ende:

Von Tom Thum gibt es außerdem Videos, in denen er parallel zum Beatboxen auch noch breakdanct – aber das ist wieder eine andere Geschichte…

Große Ich-Show eines Show-Ichs: Robin Thicke und „Paula“

Wer zum Teufel ist Paula? Die 2000 an einer Überdosis Heroin gestorbene britische TV-Moderatorin Paula Yates? Die amerikanische Hit-Songschreiberin und Choreographin Paula Abdul? Oder die deutsche Sex-Talkerin und -Kolumnistin Paula Lambert? Fakt ist: Paula heißen viele interessante Frauen. Nur will uns der im letzten Jahr mit dem Monsterhit Blurred Lines berühmt gewordene US-Crooner Robin Thicke weismachen, mit Paula sei unmissverständlich seine Noch-Ehefrau Paula Patton gemeint, die sich Anfang dieses Jahres von ihm trennte.

Paula ist der Titel von Thickes neuem Album. Es enthält eine Flut von Selbstkasteiungen und Selbstbezichtigungen, von Entschuldigungen und Beschwörungen gegenüber einem nicht näher gekennzeichneten Du, das unbedingt zurückgewonnen werden soll. Und selten zuvor hat ein Künstler in der Öffentlichkeit so explizit, so aufdringlich und so exzessiv darauf bestanden, dass nur eine bestimmte Person mit dem Du in den Songtexten gemeint sei. Bei Konzerten in den letzten Monaten wurde Thicke nicht müde zu erzählen, wie sehr er unter der Trennung leide, und während seines Auftritts im Rahmen der „BET Awards“ widmete er den Song Forever Love ausdrücklich seiner Frau Paula Patton. Um auch die letzten Zweifler zu überzeugen, wurde gegen Ende der Darbietung sogar noch ein Bild des Paares mit der Überschrift „Paula“ auf eine Leinwand projiziert.

So weit, so eindeutig? Nur bedingt. Denn in sämtlichen Titeln und Lyrics des Albums werden keine konkreten Namen genannt. Und statt eindeutiger „historisch“ festmachbarer Eckdaten werden pausenlos Lovesong-Platitüden, vage Erzählungen und mal mehr, mal weniger fantasielose Bilder aneinandergereiht, die sich auf der Öffentlichkeit bekannt gewordene Begebenheiten aus Thickes Leben beziehen KÖNNEN, aber nicht MÜSSEN. Forever Love, Still Madly Crazy, Get her Back, Love Can Grow Back – heißen so oder ähnlich nicht auch Millionen anderer Hits? Natürlich wäre es unsinnig zu behaupten, dass ein Song niemals mit dem realen Leben und den persönlichen Gefühlen eines Künstlers oder einer Künstlerin zu tun haben kann. Zweifellos inspirieren einschneidende Erfahrungen auch Songwriter zu bewegenden Werken. Aber für gewöhnlich verändern sie in den Lyrics einzelne Details, verschleiern Bezüge, abstrahieren und spitzen den Song auf einen bestimmten Gedanken zu.

Bei Thicke sind es nicht nur die vielen textlichen Klischees, die Zweifel an der „Authentizität“ seiner Songs angebracht erscheinen lassen, sondern gerade die peinlich-obsessiv anmutenden Bemühungen des Sängers, dem Publikum zu erklären, wer mit dem Du in seinen Lyrics gemeint sei. In der Musik nur anzudeuten und die Phrasenmaschine zu füttern, nach außen aber einen unmissverständlichen Bezug herzustellen – das passt für mich nicht recht zusammen. Es riecht vielmehr nach einer Ich-Show, bei der sich das Show-Ich ziemlich weit aus dem Fenster lehnt.

Im Video zur Single Get Her Back sieht man den Künstler als buchstäblich geprügelten Helden mit blutiger Nase, immer wieder eingeblendet wird eine junge Frau, die Paula Patton ein bisschen ähnlich sieht. Aber: Es ist nicht Paula Patton, womit auch das in den Songlyrics angesprochene Du an Kontur verliert. Hinzu kommt, dass die Videopartnerin in Get Her Back vor allem das ist, was Frauen in so gut wie allen Robin-Thicke-Videos sind: attraktive Hingucker, die den Sänger als begehrenswerten Mann erscheinen lassen und zur Schaffung einer schwülen Softsex-Atmosphäre beitragen. Gerade das Schenkelklopfer-Video zu Blurred Lines mit seiner genüsslichen Zurschaustellung nackter Models hat in dieser Hinsicht ja neue Maßstäbe gesetzt – und schreit damit geradezu nach einer Parodie.

Bezeichnend vor diesem Hintergrund erscheint mir die Art und Weise, wie Herr Thicke seine Ehefrau in früheren Videos eingesetzt hat. Tatsächlich ist Paula Patton mehrmals in der weiblichen „Hauptrolle“ zu sehen, in Lost Without U oder in Love After War. Und in beiden Kurzfilmen tut sie nicht mehr und nicht weniger als das, was die namenlosen Frauen in den anderen Videos ihres Mannes tun: in Reizwäsche posieren, schmusen und auch sonst vollen Körpereinsatz leisten, um Erotik zu beschwören. Alles folgt in erster Linie einer „Sex sells“-Strategie: Hier nach irgendwelchen autobiografischen Bezügen zu suchen, wäre einfach lächerlich. Während Patton in Lost Without U keine namentliche Nennung erfährt, wird sie in Love After War explizit eingeführt, allerdings auf höchst überraschende Weise. Da gibt es nämlich ein bedeutungsschwangeres Intro, bestehend aus einem unbestimmten Klangteppich und einem französisch gesprochenen Text, dessen englische Übersezung am unteren Bildrand eingeblendet wird: „This is a very serious film starring the American pop-star Robin Thicke and the stunning young starlet Paula Patton, written and directed by Hype Williams. Albert Einstein once said: ‚Imagination is much more important than knowledge.‘ Imagine with us now, what it’s like to make Love After War.“ Es geht um Fantasie, die wichtiger ist als Wissen. Es geht um einen Film. Es geht um Rollen, die jemand spielt – ganz vage angedeutet wird ein streitendes und sich wieder versöhnendes Paar. In die männliche Rolle schlüpft „der amerikanische Popstar Robin Thicke“, und die weibliche Rolle bekleidet nicht etwa Robin Thickes Ehefrau, sondern das „atemberaubende Starlet“ Paula Patton.

Oha: Die tun ja gar nichts, die wollen nur spielen. Also Alles Fiktion. Und die Gattin bloß ein hübsches Starlet. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Und so stellt sich natürlich die Frage: Wenn es schon in Zeiten, als die private Beziehung noch intakt zu sein schien, in Songs und Videos nur ums Posieren ging, warum sollen wir Robin Thicke dann heute abkaufen, dass er uns mit seinem neuen Album Paula wirklich etwas über sich und seine Gefühle mitteilen will? Thicke ist ein Showman, auch gar kein schlechter wohlgemerkt! Und so vermuten nicht wenige Kritiker hinter den peinlichen Auftritten des Stars einen längst etwas aus dem Ruder gelaufenen PR-Gag zur Paula-Promotion. In diesem Sinne möchte ich meinen Blogpost mit der Schlusspassage aus Anna Kempers wunderbarem Robin-Thicke-Beitrag in der „ZEIT“-Kolumne „Gesellschaftskritik“ vom 1. Juli 2014 beschließen:

„Am Ende wirkt Thickes öffentliches Zukreuzekriechen wie eine inszenierte Marketingkampagne: Die Werbung um seine Frau als Werbung für das Album. Sie glauben, es ist alles noch viel schlimmer? Thicke und seine Frau sind gar nicht getrennt, sondern es ist alles eine große, schmierige Kampagne, um beide berühmter zu machen? Dass Paula Patton ihn bald erhören wird und beide dann ihre Geschichte in Hollywood verfilmen lassen, mit sich selbst in den Hauptrollen? Sie sind so zynisch, wie es die ‚Gesellschaftskritik‘ nie sein könnte. Aber wir haben das Gefühl, wir könnten vielleicht noch einiges von Ihnen lernen.“

Mehr zu der Frage, was dahintersteckt, wenn ein neues Album als „das bisher persönlichste Album“ des Künstlers oder der Künstlerin promotet wird, in meinem neuen Beitrag auf Faust-Kultur.

Detroit im Song: Soul-Mekka, Motor City, Geisterstadt

„Geisterstädte sind das Ergebnis von Flucht- oder Wanderungsbewegungen und damit Zeugnisse für verschiedenste Ereignisse oder Entwicklungen“, heißt es im Ankündigungstext einer Reihe von Reportagen, die diese und kommende Woche auf arte laufen und anschließend noch eine Zeit lang in der Mediathek abgerufen werden können. Neben Riesi in Sizilien, wo der Mangel an Arbeitsplätzen und kriminelle Machenschaften viele Menschen zur Flucht in den Norden getrieben haben, Städten in der Türkei und in China ist auch Detroit im amerikanischen Bundesstaat Michigan Thema (9. und 16. Mai).

http://programm.ard.de/TV/Programm/Suche/?sendung=2872411979327351

Detroit, Rufnahme „Motor City“, war jahrzehntelang die amerikanische Autometropole und zog in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zahlreiche Arbeitssuchende, darunter viele Schwarze, an. Zwar erlebte die Stadt einen wirtschaftlichen Boom, doch war sie auch gleichzeitig immer wieder Schauplatz blutiger Auseinandersetzungen zwischen der schwarzen und der weißen Bevölkerung. Heute leidet Detroit aufgrund fehlender Arbeitsplätze, der allgemeinen Wirtschaftskrise und einer rigiden Sparpolitik an drastischem Bevölkerungsschwund und einer hohen Kriminalitätsrate, 2013 musste die Stadt Konkurs anmelden.

Kein Wunder, dass Detroit – durch das berühmte Motown-Label auch eine bedeutende Musikstadt – immer wieder in Songs thematisiert wird. Erst 2011 erschien A Long Time von Mayer Hawthorne, ein mitreißendes Stück im Motown-Sound, das von der Hoffnung auf die Rückkehr zu ruhmreichen Zeiten erzählt, aber auch von der Erkenntnis, dass es bis dahin ein langer Weg sein wird. In der ersten Strophe wird ein Mann namens Henry eingeführt, und unschwer kann man dahinter den Autobauer Henry Ford erkennen. Ford sorgte für den wirtschaftlichen Boom der Stadt, der mit dem krassen Bild der Atombombe verknüpft wird: „Welcome to the Motor Town / Boomin’ like an atom bomb“. Atombombe? Warum das? Wahrscheinlich weil mit dem Aufschwung eine explosive soziale Gemengelage zwischen Schwarz und Weiß entstand – und weil es 1966 in einem Forschungsreaktor bei Detroit zu einer partiellen Kernschmelze kam: ein Unfall, bei dem wie durch ein Wunder kein größerer Schaden entstand. In der zweiten Strophe des Songs geht es um einen Mann namens Berry, und natürlich ist Berry Gordy gemeint, der Gründer eben jenes Motown-Labels, das von Smokey Robinson und den Supremes über die Four Tops und die Temptations bis hin zu den Jackson Five, Stevie Wonder oder Lionel Richie etliche amerikanische Soulgrößen herausbrachte. Mit der wunderbaren Konsequenz: „Oh, people all around the world / Tuning in their radios“.

Henry und Berry, so der Refrain, waren die geschichtlichen Höhepunkte, das Ultimative, „the end of the story“, danach jedoch ging alles den Bach runter. Und doch wird auch die Entschlossenheit formuliert, etwas für den langwierigen Wiederaufstieg dieser Geisterstadt zu tun. „Then everything went wrong / And we’ll return it to ist former glory / But it just takes so long … It’s gonna take a long time / It’s gonna take it but we’ll make it one day.“

Explizit um den Reaktorunfall von 1966 geht es in We Almost Lost Detroit von Rap- und Soulpionier Gil Scott-Heron. Der klare, kaum poetisch verdichtete Text führt dem Hörer immer wieder die schreckliche Vorstellung vor Augen, dass damals beinahe eine ganze Stadt zerstört worden wäre. Atomkraft, singt Scott-Heron, ist eigentlich ein vom Wahnsinn getriebenes Konzept, bei dem es letztlich nur um Geld geht. Die Sicherheit der Menschen bleibt zweitranging: „That when it comes to people’s safety / Money wins out every time / And we almost lost Detroit this time, this time. / How would we ever get over / Over losing our minds? / You see, we almost lost Detroit / That time.“ Freunden der Coverversion sei die wesentlich lautere, aber nicht minder beeindruckende Interpretation des Stücks durch Dale Earnhadt Jr. Jr. empfohlen.

Eine besonders aufregende Phase erlebte Detroit in den 1960er Jahren, als es im Zuge der Rassendiskriminierung immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Schwarzen und Weißen kam – Letztere unterstützt von großen Teilen der Polizei.

Die Kämpfe gipfelten 1967 in den „12.-Straße-Unruhen“ („12th Street Riot“). Anlass war eine Polizeirazzia in einer Bar an der Ecke Clairmont Street, die anschließenden Straßenschlachten dauerten fünf Tage und forderten – auch weil Armee eingesetzt wurde – über 40 Todesopfer. Etliche Hundert Häuser wurden verwüstet. In The Motor City Is Burning, der nervösen Aufarbeitung der Ereignisse durch den Bluesmusiker John Lee Hooker, blickt noch im selben Jahr ein fassungsloses Ich auf die brennenden Straßen. Erinnerungen an den Vietnamkrieg drängen sich auf, man spürt die Angst des Sprechers, seine Heimatstadt könne komplett zugrundegehen. Weder weiß das Ich, was es gegen die Zerstörung tun kann, noch versteht es die Zusammenhänge, die zu den Unruhen geführt haben. Wie heftig die Wut der Bewohner des Viertels ist, zeigt das Bild der Heckenschützen, die die Feuerwehr am Löschen der Flammen hindern. Hier die ersten beiden Strophen: „Oh, the motor city’s burnin’, it ain’t no thing in the world that I can do / Don’t ya know, don’t ya know the big D is burnin’,ain’t no thing in the world that Johnny can do / My home town burnin’ down to the ground, worser than Vietnam. // Well, it started on 12th and Clairmont this mornin’, I just don’t know what it’s all about / Well, it started on 12th and Clairmont this mornin’ I don’t know what it’s all about / The fire wagon kept comin’, the snipers just wouldn’t let ’em put it out.“

Die 1960er Jahre waren aber auch die große Zeit der amerikanischen Gegenkultur, der Friedens- und der Protestbewegung, zum Teil vorgetragen mit revolutionärem Impetus. Und nicht wenige weiße Rockmusiker lieferten den Soundtrack dazu. Wie die in Detroit ansässige Band MC 5 (für „Motor City Five“), die sich nicht durch einen rauen Sound, sondern auch durch provokante Parolen auszeichnete und für viele Kritiker schon auf die Punkbewegung 10 Jahre später vorauswies. Ihre internationale Karriere starten MC 5 im Jahr 1969 höchst ungewöhnlich, nämlich gleich mit einer Live-LP, die auch eine Coverversion von John Lee Hookers The Motor City Is Burning enthält. Hier drosseln die Musiker das Tempo des Originals und verleihen dem Stück etwas Düster-Bedrohliches, etwas Dampfwalzenhaftes. Der Text wird an wenigen Stellen markant verändert, wodurch er seinen fassungslosen, resignativen Charakter verliert: Nicht der Sprecher des Songs hat keinen Schimmer, was er tun soll, sondern die Gegenseite, die weiße Gesellschaft („they“, „white society“) muss tatenlos zusehen, wie die Schwarzen für ihre Rechte kämpfen. In der zweiten Strophe wird das ungläubige Nicht-Verstehen des ursprünglichen Song-Ichs durch einen hasserfüllten Hinweis auf die anrückende Polizei ersetzt – die Rede ist von umherspringenden und -schreienden „pig cops“ („Bullenschweinen“). Und aus den anonymen Heckenschützen, die die Feuerwehr am Löschen der Flammen hindern, werden explizit Heckenschützen der radikalen Bürgerrechtsbewegung „Black Panthers“, mit denen sich die Band letztendlich solidarisiert. Hier die beiden ersten Strophen der Coverversion von MC 5: „Ya know, the motor city is burning, babe, there ain’t a thing in the world they can do / Ya know, the Motor City is burning, people, there ain’t a thing that white society can do / Ma home town burning down to the ground, worser than Vietnam. // Let me tell you how it started now: It started on 12th Clairmount that morning, it made the… the pig cops all jump and shout / I said, it started on 12th Clairmount that morning, it made pigs in the street go freak out / The fire wagons kept comin’, baby, but the Black Panther snipers wouldn’t let them put it out.“ Sprach aus dem Original ein verunsicherter Schwarzer, ein um seine Zukunft bangender „kleiner Mann von der Straße“, äußert sich bei MC 5 ein selbstbewusstes Song-Ich, das dem unterdrückerischen weißen Establishment den Kampf ansagt. Auch andere amerikanische Städte sind mit ihren Problemen in Songs thematisiert worden, etwa der einst dahinsiechende Seehafen Baltimore (Randy Newman) oder die Spielerstadt Atlantic City (Bruce Springsteen). Aber das sind wieder ganz andere Geschichten.

Ween – „Gabrielle“: Songs für Neandertaler, Autos für Yetis

„Unglaublich, wie mies du mich behandelst“ – so lautet der Tenor des EMF-Klassikers Unbelievable. „Unglaublich, wie hirnlos ausgerechnet ‚Unbelievable‘ von EMF in eine Autowerbung eingebettet wird“ – das war der Tenor eines älteren Eintrags in diesem Blog. Welch seltsame Effekte sich ergeben, wenn Songs in völllg fremde Kontexte wie Werbespots gestellt werden, ist immer wieder ein spannendes Thema. Jüngstes Beispiel: die Verwendung des Songs Gabrielle in einem Spot für die Automarke Skoda. Das Stück ist zu hören, während zwei alberne Jungs vor Freude auf ihren Autositzen herumhüpfen und einer attraktiven Frau im roten Kleid nachschauen.

Zunächst mal: „Gabrielle“ ist ein fantastisches Stück Musik. Wer flotten Auf-den-Punkt-Rock mit knackigen Gitarren und grandiosem Solo liebt, dürfte vor allem an der Studioversion des Songs viel Freude haben. Aber, und das macht den Fall erst interessant: Gabrielle ist inhaltlich hochgradig ambivalent. Da beteuert ein ganz offensichtlich männliches Ich seine Liebe zur im Titel genannten Frau – auch wenn er ihr blöderweise manchmal wehtut. Schon in den ersten beiden Strophen ist die Grundspannung angelegt: „I don’t mean to be so insolent / But you know it’s cause I love you / The foundation of my malevolence / You know I’d never hurt you babe“, heißt es da hochtrabend pathetisch, und: „Sometimes I might get edgy / But a man can sometimes be that way / And nobody’s perfect baby / And I’ll always love you anyway.“ Übersetzt etwa: „Ich will ja nicht anmaßend sein, aber es ist, weil ich Dich liebe / Die Grundlage für meine Böswilligkeit / Du weißt, Baby, ich würde Dir doch niemals wehtun. / Vielleicht bin ich manchmal ein bisschen unausgeglichen / Aber Männer können halt so sein / Na ja, und niemand ist perfekt, Baby / Und ich werd Dich sowieso immer lieben.“

Wie merkwürdig klingt das denn? Klar, da ist die Beteuerung seiner Liebe. Aber da tun sich gleichzeitig auch Abgründe auf, die anmaßendes Verhalten und schlimme Ausbrüche gegenüber der geliebten Person vermuten lassen, nur um mit einem achselzuckenden „Männer sind so, und niemand ist perfekt“ abgetan zu werden. Der Refrain ist dann Süßholzraspelei der übelsten Sorte: „Oh Gabrielle, the sun is shining in your eyes /
Oh Gabrielle, I didn’t mean to make you cry / Oh my sweet baby doll, I put you above everything / Oh Gabrielle, I love you til the day I die.“ – Übersetzt: „Oh Gabrielle, die Sonne scheint in Deinen Augen / Oh Gabrielle, ich wollte Dich nicht zum Weinen bringen / Oh meine süße Babypuppe, ich stell‘ Dich über alles andere / Oh Gabrielle, ich liebe Dich bis an meinen letzten Tag.“

Die Ambivalenz des Songs besteht darin, dass er einerseits wie ein zätliches Liebeslied daherkommt, andererseits auch wie die Selbstentlarvung eines ziemlich miesen Typen gehört werden kann. Folglich gibt es in Chatforen User, die zu Tränen gerührt sind, weil sich das Song-Ich so gefühlvoll für eine Unachtsamkeit oder einen kleinen Fehltritt entschuldigt, und andere, die den Song gerade wegen seiner abgründigen Doppelbödigkeit schätzen. Ich gehöre zu den Letzteren. Warum? Weil auch in Formulierungen wie „My sweet baby doll“ zum Ausdruck kommt, dass der Sprecher in „seinem“ Mädchen vor allem schmückendes Eigentum und eine Art Spielzeug sieht – dass er ein selbstverliebtes Machotum pflegt, das durchaus auch häusliche Gewalt beinhalten kann. Manchmal fühle er sich wie sein Vater, gesteht der Sprecher weiter („Sometimes I feel like my old man“), und manchmal verliere er eben einfach den Kopf („And sometimes I just lose my head“). Autoritäres Gebaren also, gewalttätige Ausraster inklusive? Er würde sein Schätzchen natürlich niemal verletzen, aber er müsse sie einfach lieben („Do nothing to hurt you baby / But you know I got to love you anyway“) – gerade in diesen letzten Zeilen schwingt für mich eine brutale Liebe mit, die auf Gabrielle eine einschüchternde Wirkung haben dürfte. Ween sind bekannt für gezielte unterschwellige Geschmacklosigkeiten.

Hin und wieder bemerken Kommentatoren, dass Gesang und Gesamtsound des Stückes verdächtig nach dem längst verstorbenen Phil Lynott und seiner Hardrock-Band Thin Lizzy klingen – eine Einschätzung, die ich teile. Gabrielle ist in meinen Ohren sogar eine Thin-Lizzy-Parodie. Der Song nimmt den Machorocker in schwarzen Lederhosen, seine „Ein Mann ist, wie er ist, und muss tun, was er tun muss“-Larmoyanz und sein pathetisches Gepose subtil auf die Schippe. Einen Männertypus, der eigentlich etwas von einem Neandertaler hat, aber einfach nicht totzukriegen ist. Womit wir allmählich auf den Skoda-Werbespot zurückkommen. Denn das Modell, das in dem kleinen Filmchen beworben wird, heißt „Yeti“.

Da stellt sich natürlich die Frage: Haben die Marketingspezialisten von Skoda gewusst, was sie taten, als sie ihr Auto „Yeti“ nannten und Gabrielle von Ween als Soundtrack wählten? Oder wollten sie einfach nur ihrem langlebigen, wetterfesten Modell einen lustigen Namen geben und es mit einem schönen, schmissigen Rocksong bewerben? Ich vermute ja Letzteres. Und doch sprechen sie auf verblüffende Weise ziemlich perfekt die Zielgruppe der Macho-Neandertaler an, indem sie ihren Wagen entsprechend titulieren und den Ween-Song sämtlicher Ironie berauben. Die Zielgruppe der unverbesserlichen Möchtegernpatriarchen dürfte ziemlich groß sein und schließt selbst internationale Spitzenpolitiker ein – wie gerade einmal mehr Wladimir Putin beweist.

Ukule-la-la

„Ach, steht ihr auch auf spaßige Songs und Songparodien?“ Das fragte neulich unsere Freundin Brigitta, nachdem sie an dieser Stelle den kleinen Text über die Bombastics gelesen hatte. „Kennt ihr denn schon das Ukulele Orchestra of Great Britain?“ – „Das Uku… was?“, fragten wir zurück. „Na, das Ukulele Orchestra of Great Britain! Die haben fast alle diese Minigitarren mit den vier Saiten, sitzen ganz adrett da und spielen furztrocken die wüstesten Hits runter. Ziemlich witzig!“

Nein, vom Ukulele Orchestra of Great Britain hatten wir noch nicht gehört. Weshalb wir  googelten und auch ganz schnell fündig wurden. Sofort begeistert hat uns die UOGB-Version des alten Sex-Pistols-Krachers Anarchy in the UK, gepflegt anmoderiert als „modern folk song“, den man im Folgenden „aus Liebe zu Simon & Garfunkel und aus Lust am Destabilisieren von Regierungen“ zum Besten geben wolle. Mitsingen erwünscht!

In der Tat nehmen die Ukulele-Künstler dem Song das Lärmig-Zornige und legen seinen volkstümlich-heimeligen Kern frei. Hatten die Pistols hinter all der Wut vielleicht nur ihre Sehnsucht nach Geborgenheit formulieren wollen?

Aber allzu ernst sollte man das Ganze dann doch nicht nehmen. Dass das UOGB natürlich auch seinen Schabernack mit den Originalen treibt, zeigen die etwas offensiver parodistischen Coververisonen des Wheatus-Hits Teenage Dirtbag oder des Nirvana-Klassikers Smells Like Teen Spirit. Aber das UOGB stellt auch überraschende inhaltliche Zusammenhänge her und entlarvt ähnliche musikalische Grundmuster in scheinbar völlig unterschiedlichen Songs – etwa wenn im letzten Drittel der Coverversion von David Bowies Life on Mars plötzlich noch Frank Sinatras My Way, Substitute von The Who und andere Evergreens obendraufintoniert werden.

Ganz besonders freut sich der Blogger, wenn seinem Eintrag eine gewisse Aktualität anhaftet. Und so sei darauf hingewiesen, dass das Ukulele Orchestra of Great Britain, das nicht zu verwechseln ist mit dem deutlich später gegründeten United Kingdom Ukulele Orchestra Tukuo, am 30. März um 17 Uhr in der Frankfurter Alten Oper gastiert. Ob’s noch Karten gibt? Hm… Gibt’s Leben auf dem Mars?