Der „This song“-Kniff

„My name is Luka…“, „And my name is Bobby Brown…“, „I love you…“ – in der Regel nehmen wir nicht für bare Münze, was uns die vielen Ichs im Songuniversum erzählen. Es sind fiktive Ichs, mal mehr, mal weniger nah an den Autoren, und sie entwickeln ihre ganz eigenen Geschichten und Gedanken. Der Song öffnet ein Fenster in eine abgeschlossene Welt, er ist wie eine Glaskugel, in die wir hineinschauen – wie eine Wundertüte, deren Inhalt sich über uns ergießt. Gelegentlich aber passiert etwas anderes: Plötzlich rückt der Song selbst in den Fokus, bevorzugt mit den Worten „this song“ – „dieser Song hier“. Und dann wird es spannend. Denn dann pocht der Song an seine Grenzen, versucht er spielerisch, sie zu überwinden. Das in den Lyrics Geschilderte rückt viel näher an den Interpreten heran. Der Text, die Musik scheinen nicht mehr eine eigenständige Fiktion hervorzurufen, sondern öffnen sich zur realen Welt, zumindest zum Show-Ich hin. Sie wirken plötzlich wie eine direkte Botschaft des Interpreten an ein bestimmtes Gegenüber. Dieses Gegenüber, dieses Du, wird aber nie konkret benannt. Und so ergibt sich eine eigenwillige Spannung – die zu übermütigen Spielchen motiviert.

In Don’t Believe A Word, einem alten Gassenhauer der irischen Band Thin Lizzy, beteuert der Sprecher, das angesprochene Du nicht zu lieben, dabei ist er total verliebt. Ein gängiges Motiv im Lovesong, man denke an I’m Not In Love von 10cc oder Ich lieb dich überhaupt nicht mehr von Udo Lindenberg. Doch dann heißt es bei Thin Lizzy: „Don’t believe me if I tell you / That I wrote this song for you / There just might be some other silly pretty girl / I’m singing to.“ Natürlich kann der junge Mann, den man sich beim Hören vorstellt, auch in der Songwelt ein Songschreiber sein. Sein Lied, das womöglich ein echtes, ein bekennendes Liebeslied wäre, würden wir dann aber nicht vernehmen, es bliebe nur kurz erwähnt. Viel näher liegt es doch, „this song“ direkt auf das Musikstück von Thin Lizzy zu beziehen, das man gerade hört. Und das scheint mir auch das zu sein, was bei den meisten Hörerinnen und Hörern unbewusst als Erstes passiert. Damit ist aber die speziell entwickelte Songwelt – die Illusion einer Gesprächssituation oder einer einsamen Monologsituation – durchbrochen. Der Song beschreibt nicht mehr einen fiktiven Jungen, der mit seinen Gefühlen hadert und einem Mädchen dumme Sachen sagt, sondern Musik und Text selbst werden zur direkten Botschaft des Thin-Lizzy-Sängers Phil Lynott an ein konkretes Gegenüber. Oder anders gesagt: Das Song-Ich scheint nicht mehr Teil der Songwelt zu sein, sondern identisch mit demjenigen, der „diesen Song“ zum Besten gibt. Auch wenn die Aussage – „Dieser Song, in dem ich dir sage, dass ich dich nicht liebe, ist nicht für dich“ – etwas verschwurbelt daherkäme. Auf jeden Fall rücken so die Lyrics deutlich in die Nähe des biografischen, zumindest des Show-Ichs.
Aber wer ist das Gegenüber?

Speziell in diesem Song könnte man die kleine, im Ansatz absurde Spielerei schnell auflösen, indem man „this song“ metaphorisch interpretiert – im Sinne von Liebesschwüren oder Liebesgedichten, von Liebesgesäusel, das das Song-Ich an eine Frau in der Songwelt richtet. Denn am Ende handelt es sich auch in Don’t Believe A Word um eine konventionelle, mit Klischees arbeitende Komposition. Im wesentlich eleganteren Stück Your Song von Elton John dagegen wird einem geliebten Du, das natürlich ohne Konturen bleibt, vom Song-Ich in poetischer Manier exakt „dieser Song“ gewidmet: „I know it’s not much but it’s the best I can do / My gift is my song and this one’s for you // And you can tell everybody this is your song / It may be quite simple but now that it’s done / I hope you don’t mind / I hope you don’t mind that I put down in words / How wonderful life is while you’re in the world.“ Auch hier gibt es ein Song-Ich, das sich in der Song-Illusion bewegt, und gleichzeitig ist man geneigt, die Lyrics direkt Elton John zuzuordnen. Besonders ausgeprägt kommt hier aber och die Dynamik zwischen Entertainer und Publikum, zwischen Show-Ich und Fans, ins Spiel. Denn gerade wenn Elton John dieses Lied live vor einer begeisterten Menge spielt, dann klingen etliche der Verse tatsächlich auch wie ein Dankeschön, das der Star mit einnehmender Bescheidenheitsgeste direkt an seine treuen Anhänger richtet.

Der „this song“-Kniff durchzieht die ganze Rockgeschichte, von den Beatles (It’s Only A Northern Song) über P.I.L. (This Is Not A Lovesong) bis hin zu Villagers (Becoming A Jackal), Olly Murs (This Song Is About You) und D.R.U.G.S. (If You Think This Song Is About You, It Probably Is). Die berühmte Blaupause für solche Stücke und gleichzeitig die spektakulärste „This song“-Spielerei der jüngeren Liedgeschichte ist natürlich You’re So Vain, 1972 veröffentlicht von der amerikanischen Singer-Songwriterin Carly Simon. Als besonders clever erweisen sich hier die Refrainverse „You’re so vain / You probably think this song is about you“ – „Du bist so eitel / Wahrscheinlich denkst du auch, dieser Song handele von dir“. Impliziert ist natürlich: „Dabei handelt er gar nicht von dir“, so dass nicht aufgelöst werden kann, an wen genau der Song sich richtet. Denn wenn sich jedermann nur fälschlicherweise mit dem Song identifizieren kann, dann wurde er eigentlich für niemand Konkreten oder – andersherum – für alle eitlen Männer dieser Welt geschrieben. Die Lyrics sind die Abrechnung des weiblichen Song-Ichs mit einem ehemaligen Liebhaber, der sich als eitler Fatzke erwies und nur in einer armselig-glamourösen Scheinwelt lebt. Obwohl der text keine Rückschlüsse auf konkrete Personen zulässt, versuchen Kritiker und Fans seit Jahrzehnten herauszufinden, um welchen Mann aus dem persönlichen Umfeld der Sängerin es sich bei dem Du wohl handeln könnte. Und Carly Simon hat die Diskussion zeitweilig selbst gern befeuert. Ich schätze, ein abschließendes Statement wird ausbleiben. Die Enttäuschung läge letztlich in der Erkenntnis der Fiktion.
Die „Extended Version“ dieses Beitrags wie immer auf Faust-Kultur.

Udo Jürgens und der Clown: Auf die kleinen Details kommt es an

Udo Jürgens wird zu Recht gefeiert. Er hatte Charisma, auch Ecken und Kanten, sogar die einen oder anderen Abgründe. Eigentlich logisch, denn Charisma ohne Ecken und Kanten, ohne Abgründe, das gibt es nicht. Und: Udo Jürgens war ein begnadeter Songschreiber. Er verstand es, simplen Schlagern Tiefe zu verleihen – Alltagserfahrungen, die viele Menschen machen, anspruchsvoll, chansonhaft auf den Punkt zu bringen. Udo Jürgens kannte alle Tricks, war versiert auch im Spiel mit autobiografischen Bezügen, sang, als wüsste er ganau, wovon er sang. Und untermauerte so den Eindruck, einige seiner Lieder seien direkt aus dem Leben gegriffen, sogar direkt aus dem eigenen. Der Trick bestand darin, Reales und persönliche Eindrücke ästhetisch zuzuspitzen, sie zu verdichten – dabei aber entscheidende kleine Details zu verändern.

Ein in dieser Hinsicht charmanter, im Ansatz schlitzohriger Udo-Jürgens-Song war für mich immer Mein Bruder ist ein Maler aus dem Jahr 1977. Mal abgesehen davon, dass der Text nicht von Udo Jürgens, sondern von Wolfgang Hofer stammt, bewegt er sich auf den ersten Blick recht nah an der Biografie des erfolgreichen Entertainers: Udo Jürgens heißt mit bürgerlichem Namen Udo Jürgen Bockelmann, und sein Bruder Manfred war tatsächlich auch zur Entstehungszeit des Songs schon ein gefragter Künstler. In den Lyrics vergleicht das Song-Ich seine Leistung als Musiker mit der Leistung des malenden Bruders – und kommt in einem Anflug von Neid zu dem Ergebnis, dass dessen Gemälde aufgrund ihrer Unvergänglichkeit wertvoller seien als die eigenen kurzlebigen musikalischen Kompositionen: „Manchmal komm’ ich so klein mir vor / mit meinen großen Tönen, / die im kleinsten Wind wie blauer Dunst verweh’n. / Und so etwas wie Eifersucht / beginnt in mir zu brennen, / wenn ich dann seine Bilder seh’, so unvergänglich schön.“ Im Refrain stellt das Song-Ich sein Licht ganz deutlich unter den Scheffel, um den Bruder und seine Leistung noch größer erscheinen zu lassen: „Denn mein Bruder ist ein Maler, / und ein Bild von seiner Hand / kann mehr sagen als tausend Melodien. / Ja, mein Bruder ist ein Maler, / ich bin nur ein Musikant, / und in manchen Träumen, da beneid’ ich ihn.“

Nach einer weiteren Strophe, die das Grundthema vertieft, und einem weiteren Refrain bringt das Song-Ich in einem Zwischenteil Beispiele für die Arbeit des Bruders und für die Art, wie seine Werke wirken: „Wenn seine Frau mal traurig ist, / malt er ihr Orchideen / Und seinem Kind, das weint, den Clown, der Lachen schenkt.“ Und hier sind Udo Jürgens und sein Texter Wolfgang Hofer ganz deutlich von den biografischen Fakten abgewichen. Inwiefern? Das erklärt Manfred Bockelmann 2008 in der Dezemberausgabe von „NZZ Folio“, der Zeitschrift der „Neuen Zürcher Zeitung“: „Als das Lied herauskam, fragten alle: ‚Ja, wo ist denn dieser Bruder?’ Ich war damals schon recht erfolgreich und zeigte meine Arbeiten auf der Kunstmesse in Köln, Düsseldorf und Basel, es ging richtig gut los. Nun kam dieses Lied. Es war die Zeit von ‚Griechischer Wein’. Und die Leute dachten, ich male Bilder, so wie Udo singt. Doch das tue ich nicht. Meine Kunst ist anspruchsvoller, das weiss Udo auch. In dem Lied gibt es diese Strophe: ‚Wenn seine Frau mal traurig ist, malt er ihr Orchideen, und seinem Kind, das weint, den Clown, der Lachen schenkt.’ – Ich habe noch nie einen Clown gemalt! Also nein!“

Also wirklich!

Ein Blick auf den Fortgang der Lyrics zeigt, was es mit den offenbar aus der Luft gegriffenen farbenprächtigen Blumen und Spaßmachern auf sich hat. Sie müssen als „bunte“ Elemente herhalten, um zum Finale des Songs überzuleiten: „Er macht das Trübste wieder bunt, / drum kann ich nicht widerstehen“, so weckt diese Überleitung Neugier, „wenn seine Frau mir dann erzählt, was er sich manchmal denkt:…“ Im anschließenden letzten Refrain, der – noch so ein Songwriting-Trick – mit einer überraschenden Schlusswendung aufwartet, wird folgerichtig der malende Bruder zitiert, den, so die Ehefrau, dieselben Gedanken und Gefühle wie das Song-Ich umtreiben, nur aus der entgegengesetzten Perspektive: „Ja, mein Bruder ist ein Sänger, / und ein Lied aus seinem Mund, / das sagt mehr, als manches Bild je sagen kann. / Ja, mein Bruder ist ein Sänger, / und sein Leben ist so bunt, / manchmal fing’ auch ich so gern zu singen an.“

In diesen letzten Versen offenbart sich das eigentliche Zentrum des Songs: Nicht um eine etwaige Rivalität der malenden und singenden Gebrüder Bockelmann im wirklichen Leben geht es, sondern um den universellen Gedanken, dass jeder Mensch ein Talent hat, das ihn auszeichnet – etwas, das andere nicht können. Und dass das, was ein Mensch schafft, jeweils seine ganz eigene Wertigkeit besitzt. So inbrünstig und überzeugend sie auch vorgetragen werden, die Biografien der Gebrüder Bockelmann dienen lediglich als Aufhänger für die Formulierung einer übergreifenden These oder Erkenntnis – und werden mit Blick auf die möglichst effektive Zuspitzung dieser These nach Belieben manipuliert. Das hat Witz, das hat Tiefe, das macht die Könnerschaft des Gespanns Udo Jürgens/Wolfgang Hofer aus. Schade, dass es mehr davon nicht mehr geben wird.

 

Nette Geister

Da schreibe ich gedankenverloren meine Blogeinträge, und plötzlich erreichen mich unaufgefordert E-Mails von Bands und Musikern, die ich gar nicht kenne. Das freut mich sehr, denn: Hui, mein Geschreibsel wurde irgendwo zumindest registriert. „Schreib doch auch mal was über uns“, lautet der einhellige Tenor dieser Mails, also denke ich mir: Warum eigentlich nicht? Denn irgendwo sind’s auch die Geister, die ich rief, und warum nicht mal Neues entdecken?!

Schöngeister

Das erste Projekt, das ich vorstellen möchte, kommt aus Leipzig und Berlin und nennt sich A Forest. A Forest? Trägt nicht ein Klassiker von The Cure diesen Titel? Mit den Sounds, den Rhythmen und den Melodien von Robert Smith & Co hat dieses Trio erst mal wenig gemein, wohl aber mit der molligen, leicht düsteren Grundstimmung. Getragene bis mittelschnelle elektronische Beats, flächige Sounds und zwei selbstvergessen vor sich hin raunende Männerstimmen setzen vor allem auf drei Effekte: Atmosphäre, Atmosphäre und … Atmosphäre. Früher hätte man etwas voreilig Trip-Hop dazu gesagt, A Forest selbst sprechen von „Electronica, Kammerpop, Singer-Songwriter, altem Soul und Minimal Techno“, es gehe um „Songs wie alte Gemälde“, „einen vollkommen eigenen Entwurf von Pop“. Leidenschaftlich und selbstbewusst sind sie, auch visuell arbeiten sie mit guten Leuten zusammen. Im geschmackvoll-seltsamen Video zu The Shepherd stapft eine Art Waldschrat, dessen Fell oder Umhang aus schwarzem Lametta oder Magnettonbandstreifen besteht, durch Feld und Wiesen, sein Ziel ist das Wasser.

A Forest bleiben bewusst vage, beschwören eigenartige Stimmungen, und vor allem die eine der beiden Leadstimmen – die rauere, markantere  – geht nicht übel unter die Haut. Auf der Homepage der drei (www.iamaforest.com) finden sich diverse Hörproben und Videos, die Interesse wecken dürften – dort kann man auch unter dem lustigen Motto „Become a leaf“ („Werde ein Blatt“) zum aktiven Supporter werden. Abgesehen davon hoffe ich, A Forest hauen mich nicht, wenn ich sage: Versucht’s doch mal mit deutschen Texten, das könnte einschlagen!

Der Geist der Goldenen Zwanziger

Aus Dresden kommt die Band Friling, die sich der Musik der Golden Twenties – von Django Reinhardt bis Swing – verschrieben hat. Friling ist jiddisch und heißt Frühling, was ganz gut zum Gute-Laune-Sound der Gruppe passt. Das auch über Crowdfunding finanzierte Album The Mighty Monsieur Moustache lebt vom Gesang der beiden Frontfrauen Lisa Zwinzscher und Linda Gossmann sowie von einer ungewöhnlichen Instrumentierung, zu der auch Violine und Posaune gehören.

Die Songs des Albums kommen locker-flockig daher, sympathisch und mit jugendlichem Charme, handwerklich versiert – nur ein 7-Minuten-Epos mit kleinen Hörspielelementen und die eine oder andere zusätzliche Instrumentalpassage wirken etwas überambitioniert. Dass sie es ernst meinen, unterstreichen Friling mit einem zünftigen Zwanzigerjahre-Outfit, das sie selbstverständlich auch auf der Bühne tragen. Keine Frage, das ist konsequent, engagiert, wirkt liebevoll durchgestylt und sorgt für ein gewisses Flair. Es zwängt die Band aber auch in ein Korsett. Hoffentlich hauen mich Friling nicht, wenn ich finde, dass sie sich noch etwas unentschieden zwischen Entertainment und schweißtreibender Mucke bewegen. Wollen sie ein Revue-Act sein, dem man andächtig lauscht und zuschaut, oder wollen sie den Club rocken? Musikalisches Potenzial ist auf jeden Fall mehr als reichlich vorhanden, und ich bin gespannt, was da noch kommt. Klar, dass sich auch bei ihnen ein Besuch auf der Website mit Hörproben und Videos lohnt – www.frilingmusic.de.

Freigeist

Mit schöngeistigen Soundtüfteleien und klassischem Entertainment hat julakim überhaupt nichts am Hut. Auch um Songkonventionen schert sich die Darmstädterin nicht. Mal klingt sie wie eine klassische Lo-Fi-Singer-Songwriterin, mal wie eine Avantgardemusikerin, mal singt sie englisch, mal deutsch, mal französisch, mal portugiesisch. Sie wirkt in der Architekturszene, hält lustige Vorträge bei Pecha-Kucha-Events und macht Projekte in Brasilien. Jetzt hat sie quasi aus dem Nichts eine Musik-CD veröffentlicht und macht Livebühnen unsicher. itufi heißt das Werk, was für I Think You Fake It steht.

Fake ist nichts bei julakim. Sie kann ihr Publikum musikalisch und gesanglich sanft umschmeicheln, aber sie kann es – und ich hoffe, sie haut mich nicht – mit stimmlichen Extravaganzen, versponnenen Texten und spontanen Experimenten auch härter rannehmen. Verblüffend: Dabei trägt sie stets ein Lächeln im Gesicht. Das für mich interessanteste Sück auf der CD ist Dear Fear, das seinem Titel mit fast schon psychedelisch anmutenden Klangexperimenten alle Ehre macht. Der letzte Track – don’t panic be organic (extended) – dauert 16(!) Minuten, von denen die ersten 12 nur aus leisen Naturgeräuschen bestehen. Außerdem scheint da irgendjemand vor sich hin zu gärtnern. Und wenn man schon gar nicht mehr hinhört, schält sich aus dem unbestimmten Gerausche, Gezirpe und Geklopfe doch noch ein kleiner Song heraus. Das ist grenzenlos, radikal individualistisch und gegen jede Regel.

Anfang nächsten Jahres geht julakim wieder für ein paar Monate nach Brasilien – vielleicht kommt sie dann als Malerin und Bildhauerin zurück. Zum Abschied tritt sie am 2.12. noch mal im Frankfurter Club „Orange Peel“ auf. Daneben plant sie – wie passend – ein Video über so etwas wie die Freiheit und die Authentizität des Individuums. Daran kann sich – Interaktion! – eine jede und ein jeder beteiligen! Noch in den nächsten Wochen sind Interessierte aufgefordert, kleine Filmbeiträge zu den Themen „Konsumerismus, Kapitalismus, schnelles Leben und System“ an julakim zu senden, die dann Eingang ins Video finden sollen. Mehr dazu von Martina („Ich bin nicht julakim“) im leicht bizarren Video oben und auf der Website http://julakim.de/be/

 

Yacht Rock – der neuste (alte) Schrei

Neulich postete der sehr geschätzte und weit über Frankfurts Grenzen hinaus bekannte DJ Heinz Felber auf Facebook einen Schmuserocksong, den ich lange nicht mehr gehört hatte: Baby Come Back von Player. Der lapidare Kommentar dazu lautete: „Yacht Rock Classic“.

Yacht Rock?, fragte ich mich, wie kommt denn da das Boot ins Spiel? Und wollte frotzelnd gleich etwas zurückposten, von wegen: „Auch ohne Luxusschiff spitze“, oder: „Heinz, bist Du seekrank?“ Aber da man sich mit allzu übereilten Facebook-Kommentaren leicht in die Nesseln setzen kann, warf ich lieber erst mal die Internetsuchmaschine an. Und siehe da: Den Yacht-Rock-Begriff gibt’s tatsächlich.

Er bezieht sich auf Musik, die die meisten von uns kennen. Gemeint sind die die überaus geschmackvoll produzierten, mit perfektem Satzgesang und exquisiten Soli versehenen Songs von späten 1970er- und frühen 1980er-Größen wie den Doobie Brothers, Toto, Loggins & Messina, Hall & Oates, den Eagles oder Steely Dan. Journey, REO Speed Wagon, Christopher Cross und selbst Foreigner mit ihren langsameren Songs zählen auch noch dazu. Natürlich wurde diese Musik damals noch nicht so genannt. Der Begriff Yacht Rock wurde laut Wikipedia erstmals 1990 gebraucht, und zwar im despektierlichen Blick zurück auf den Musikgeschmack der Achtzigerjahre-Yuppies, die all den genannten Bands lauschten, während sie auf ihren teuren Partybooten vor der Küste Kaliforniens cruisten. Auch die eine oder andere nautische Referenz in Songtexten, Videos und Albumcovers (siehe Sailing von Christopher Cross) soll den Begriff inspiriert haben.

Der abwertende Charakter erklärt sich durch die Tatsache, dass im selben Zeitraum (Ende der Siebziger- bis Ende der Achtzigerjahre) Punk und New Wave für eine Revolution in der Rockmusik gesorgt hatten – perfekte Studioproduktionen von kompositorisch versierten Künstlern mit Hippie- und Konfektionsrock-Hintergrund galten vielen jüngeren Fans als suspekt oder zumindest als angestaubt. Richtig populär, zumindest im angloamerikanischen Sprachraum, wurde Yacht Rock wieder um 2005, und zwar durch eine Serie von fünfminütigen Onlinevideos, die die Protagonisten des Genres in von Schauspielern gespielten fiktiven Szenen durch den Kakao zogen. Der Kopf dahinter, J. D. Ryznar, machte sich zwar ordentlich über die Musiker und die geradezu „inzestuösen“ Verbandelungen innerhalb der Yacht-Rock-Szene lustig, zeigte sich aber auch als echter Fan der Musik und ließ diese zu ihrem Recht kommen.

So wirken die Protagonisten der ersten Videofolge, in der fantasiert wird, wie es zur Entstehung des Hits What A Fool Believes von den Doobie Brothers kam, zwar wie Karikaturen – dem Hit selbst aber wird großer Respekt gezollt. Und dese Anerkennung der Musik führte schließlich zu der positiven Besetzung, die der Begriff Yacht Rock heute genießt. In einer Zeit, in der immer häufiger die „Qualität“ selbst von Fußballspielern und -teams beschworen wird, hat man auch die herausragende Qualität der Smooth-Rock-Hits von damals wiederentdeckt. Mit dem Ergebnis, dass es, etwa in London, regelmäßige Clubabende zum Thema gibt, dass einige der einschlägigen Acts wieder auf Tour gehen und dass verschiedene entsprechende Compilations herauskamen, zuletzt, im Juni 2014, eine „Yacht Rock“-3-CD-Zusammenstellung aus dem Hause Universal.

Bands wie Haim aus Los Angeles lassen etwas vom Rockgeist der späten Siebzigerjahre aufleben, die französische Gruppe Phoenix zitiert diesen kräftig, und die Stepkids aus dem US-Bundesstaat Connecticut klingen sogar manchmal wie eine Reinkarnation von Steely Dan. Das New Yorker Electro-Funk-Duo Chromeo wiederum arbeitet geschickt Yacht-Rock-Elemente in seinen Dancefloor-Sound ein – und war auch schon gemeinsam mit Hall & Oates auf Tour.

Da wird es ja mal Zeit, dass Yacht Rock auch in unseren Breiten ein Revival erlebt. DJ Heinz Felber will den Anfang machen. Mit einem Clubabend am 27.12. in Frankfurt, bei Hans Romanov im „Neglected Grassland“.

 

Absurder Rechtsstreit um Led Zeppelins „Stairway to Heaven“

Kopie! Diebstahl! Plagiat! Es ist immer wieder ein Fest für Fans und Medien, wenn Ähnlichkeiten zwischen zwei Songs zum Gegenstand gerichtlicher Auseinandersetzungen werden. In der Regel stehen sich glühende Verehrer des Originals und entrüstete Verteidiger der als Diebe beschuldigten Künstler unversöhnlich gegenüber – was letztlich beiden Songs einen Aufmerksamkeitsschub und im Idealfall steigende Verkaufszahlen beschert. Dem Kläger winkt, wenn er durchkommt mit seiner Klage, ein nettes Zusatzsümmchen.

Vor allem zwei Fragen sind es, die ein Gericht in so einem Fall klären muss: Wie leicht hatte der vermeintliche Kopist Zugang zu einem Original? Und wie groß ist die Ähnlichkeit zwischen beiden Stücken? Je geringer die Möglichkeit, dass der mutmaßliche Plagiator das Original kannte, desto weniger relevant sind die eventuellen Ähnlichkeiten zwischen beiden Kompositionen. So kamen in dem berühmten Fall von George Harrisons My Sweet Lord, das große Ähnlichkeiten mit dem Titel He’s So Fine von The Chiffons aufweist, die Richter nach vielem Hin und Her zu dem Schluss, dass es sich um ein unbeabsichtigtes Plagiat gehandelt habe. Je größer allerdings die Wahrscheinlichkeit, dass der vermeintliche Kopist das Original gekannt hat, desto weniger akribisch muss der Vergleich der Kompositionen ausfallen.

Das Ganze ist eine knifflige Angelegenheit – wie auch der aktuelle Streit um den Rockklassiker Stairway to Heaven zeigt. Dessen Urheber, die Mitglieder der britischen Band Led Zeppelin, wurden im Sommer 2014 hochoffiziell beschuldigt, das berühmte Gitarrenintro des Songs vor rund 40 Jahren vom Stück Taurus der amerikanischen Band Spirit geklaut zu haben. Der Komponist von Taurus, der inzwischen verstorbene Spirit-Gitarrist Randy California, hatte sich schon zu Lebzeiten über das angebliche Plagiat beschwert – die Band habe aber seinerzeit aus Geldmangel nicht geklagt. Dass es die Erben von Randy California gerade jetzt doch versuchen, ist der Tatsache geschuldet, dass Led Zeppelin zurzeit Remastered-Versionen ihrer früheren Alben veröffentlichen, wodurch Stairway to Heaven erneut in den Fokus rückt.

Können Led Zeppelin das wenige Jahre vor Stairway to Heaven entstandene Spirit-Stück Taurus gekannt haben? Oh ja! Denn beide Bands spielten im relevanten Zeitraum eine Reihe von Konzerten zusammen, bei denen Spirit auch Taurus zum Besten gaben. Was wohl auch ein Grund dafür gewesen sein dürfte, dass Led Zeppelin mit einem Antrag auf Abweisung der Klage aktuell gescheitert sind. Die California-Erben dürfen also weiterhin gerichtlich gegen die britische Rocklegende vorgehen. Ist das Intro von Stairway to Heaven ein Taurus-Plagat? Rechtfertigt es gar die Forderung, dass Randy California in den Songcredits als Miturheber genannt wird?

Ich kann hier natürlich nur meine ganz persönliche Meinung äußern. Und die lautet auf beide Fragen: Nein! Spirit habe ich mal vor langer Zeit in einer unvergesslichen „Rockpalast“-Nacht gesehen. Ich hatte vorher noch nie etwas von ihnen gehört, aber was da live an Sounds und Bildern aus dem Fernseher kam, erschien mir wie pure Magie. In der Folge habe ich mir eine LP zugelegt und erst kürzlich noch den einen oder anderen alten Song im Internet erworben. Womit ich sagen will, dass ich durchaus Sympathien für diese ungewöhnliche Band hege. Die Energie und Wucht aber, die kreative Kontinuität, die Bands wie Led Zeppelin auszeichneten, haben Spirit auf ihren Studioalben leider nicht entfaltet. Und so werde ich den Eindruck nicht los, dass die aktuelle Klage gegen Led Zeppelin auch dem Frust über die ausgebliebene eigene Megakarriere geschuldet ist.

Stairway to Heaven kennen selbst Menschen, die sich nicht großartig für Rockmusik interessieren – da erübrigt sich ein Videolink an dieser Stelle. Und Taurus hätte ich gerne an dieser Stelle eingeklinkt, aber es ist aus ominösen Gründen nirgends im Internet verfügbar. Seltsam – würde man doch vielen Fans die Möglichkeit geben, sich selbst ein Urteil zu bilden, und obendrein noch den Verkauf ankurbeln. Immerhin kann man sich die entscheidenden Passagen von Taurus über die Pre-Listening-Funktion einzelner Songs bei den großen OnlineMusikanbietern anhören. Tatsächlich sind Tempo, fallende Akkordfolge und Grundstimmung in den beiden zur Diskussion stehenden Songpassagen ähnlich. Das war es dann aber auch schon. Die Gegenargumente wiegen für mich stärker: Taurus ist ein reines Instrumentalstück und noch nicht einmal drei Minuten lang, das Corpus delicti ist eine lediglich wenige Sekunden lange Sequenz – basierend auf einer alles andere als ungewöhnlichen harmonischen Bewegung. Led Zeppelin bauen die Akkordfolge aus, führen sie ganz anders weiter und legen außerdem eine eigenständige Gesangsmelodie mit eigenständigen Lyrics darüber. Auch innerhalb der betreffenden Sequenz setzen die Gitarren in beiden Stücken unterschiedliche Akzente. In meinen Ohren lässt Stairway to Heaven den Spirit-Song – ob bewusst oder unbewusst – lediglich kurz anklingen und nimmt dann einen völlig anderen Lauf, hin zu einem achtminütigen mehrteiligen Rockepos, von dessen Dynamik und Ideenreichtum Randy California und Kollegen noch nicht mal hätten träumen können. Den Spirit-Gitarristen aufgrund einer kurzen ähnlichen Sequenz als Koautor des gesamten Songs Stairway to Heaven auszuweisen, wäre an Peinlicjhkeit nicht zu überbieten. Das wäre so, als wollte man Koautor eines 30 Strophen umfassenden Bob-DylanGedichts sein, nur weil eineinhalb Verse der ersten Strophe an Verse aus einem eigenen Gedicht erinnern.

Ich gönne den Erben Randy Californias und den ehemaligen Spirit-Musikern jeden Dollar, jeden Euro, den sie mit ihren Songs von damals verdienen können. Aber diesen Klage-Schachzug kann ich nicht nachvollziehen, ich finde ihn billig. Und ich finde es richtig, dass sich Led Zeppelin, denen eine entsprechende Entschädigungszahlung wohl kaum besonders wehtun würde, hier zur Wehr setzen. Ihre unbestreitbare kompositorische Eigen- und Gesamtleistung bei Stairway to Heaven steht auf dem Spiel, und ich frage mich, warum nicht – wenn man schon unbedingt den Spirit-Song ins Spiel bringen will – im Sinne einer künstlerischen Strategie mit Begriffen wie „Anklang“, „Assoziation“ oder „Zitat“ gearbeitet wird. Was nicht ausschließt, dass die Richter der Spirit-Klage am Ende tatsächlich stattgeben. Es verspricht ja doch ein regelrechtes Spektakel und Publicity, gegen einen millionenschweren Rocksaurier wie Led Zeppelin anzugehen. Und vielleicht finden sich noch irgendwelche Musikologen, deren kühle Analysen der Band Spirit recht geben – auch wenn sie dem gesunden Menschenverstand widersprechen.