Be-bop-a-hulapalu…: Ein Song von Andreas Gabalier sorgt für gemischte Gefühle

Schrecken und Erleichterung können so nah beieinanderliegen: In Frankfurt wollte ein Mann in den Tod springen, o weh. Doch dann rettete ihm ein Polizist das Leben – und zwar mit einem Lied. Fast wie „Last night a DJ saved my life“, nur in echt. Der Gesang des geistesgegenwärtigen Beamten lenkte den Selbstmordkandidaten ab, so dass weitere Einsatzkräfte sich nähern und den Mann vom Fenstersims ziehen konnten.

Uffz, gerade noch mal gutgegangen!

Doch was genau hat der clevere Polizist spontan gesungen? Zum Glück nicht Jump von Van Halen, das wäre sicher kontraproduktiv gewesen. Genauso wie Jump (For My Love) von den fabulösen Pointer Sisters oder Down Down, Deeper and Down von Status Quo. Nein, er stimmte Hulapalu an, den aktuellen Oktoberfest-Hit von „Volks-Rock-’n’-Roller“ Andreas Gabalier.

Der Song für sich genommen hat durchaus einen witzigen Dreh: Denn er zitiert die alten rock-’n’-roll-typischen lautmalerischen Ekstase-Codes und kommentiert sie gleichzeitig. In dem Song geht es um eine wilde Partynacht, in der sich zwei Menschen näherkommen. Und wenn sie IHM „Hulapalu“ ins Ohr haucht, dann klingen natürlich nicht nur Gene Vincents doppeldeutig schmachtende Seufzer aus „Be-bop-a-lula (She’s my baby … She’s the one that gives more, more, more“) aus dem Jahr 1956 an, sondern auch ferne, weichgespülte Echos wie Peter Maffays „Tabaluga“ und „Amaluna“, ein Programm des Fantasy-Artistik-Projekts Cirque du Soleil. Das Witzige: Statt die Wortschöpfung einfach nur in den Raum zu stellen und für sich stehen zu lassen, wird sie augenzwinkernd von Gabalier thematisiert: „Wos is denn Hulapalu, wos gehört denn dazu?“, fragt der Sprecher im Song, „Macht ma beim Hulapalu vielleicht die Augen zu?“ Oder: „Wos is denn Hulapalu, sog mir, wo kommt des her? Wie schreibt ma Hulapalu, wos is des bittesehr?“ Ähnliches mögen sich entsetzte Eltern der späten 1950er auch bei Gene Vincents verführerischem Hit gefragt haben. Gabalier greift die alte Frage auf, und seine heutige Antwort spricht das damals Unaussprechliche aus – sie trifft genau den Kern dessen, worum es schon zu Gene Vincents Zeiten ging: „I glaub nur, Hulapalu is net ganz jugendfrei…“

So weit, so hintersinnig. Auch die Musik dazu geht in Kopf und Beine: Helene-Fischer-, Atemlos-mäßig und auch etwas „Ballermann“-like. Keine schlechte Wahl des Polizisten also, möchte man meinen. Zumal Andreas Gabalier nicht nur seinen Vater, sondern auch seine Schwester durch Suizid verloren hat. Dass der Star jetzt indirekt einem Selbstmordkandidaten das Leben rettete – ein starker Trost gleich in mehrfacher Hinsicht.

bildschirmfoto-2016-09-28-um-00-10-45Und doch hat die schöne Geschichte einen faden Beigeschmack. Denn Andreas Gabalier ist trotz unzähliger Fans und gefeierter Auftritte in der TV-Show „Sing meinen Song“ nicht unumstritten. Was an der Verbindung aus altem Rock ’n’ Roll amerikanischer Prägung, zeitgemäßem Schlager und Volksmusik innovativ sein könnte, unterwandert der Künstler selbst durch seltsame Texte über Heimat und Männer-Kameradschaft, über „eiserne Kreuze“ und über die Allianz zwischen Deutschen, Italienern und Japanern (der Zweite Weltkrieg lässt ganz, ganz leise grüßen) – sowie durch Plattencover, denen von Kritikern schon mal eine Leni-Riefenstahl-Ästhetik unterstellt wurde. Würden so etwas die Wildecker Herzbuben machen? Eine ewiggestrige und letztlich harmlose Volksmusik, die die Natur und die Liebe besingt, ist das eine – moderne Crossover-Musik, in die sich unangenehme Ambivalenzen und Anspielungen mischen, das andere. Mit der Aufmüpfigkeit des Rock ’n‘ Roll hat Letztere auch nicht unbedingt zu tun.

Natürlich, anders als etwa Frei.Wild tritt Andreas Gabalier nicht offen kontrovers in Erscheinung, sondern feiert seine Themen und sorgt so für positive Stimmung. Doch mit der vermeintlichen Belanglosigkeit, im Sog der Gute-Laune-Musik könnte unterschwellig auch reaktionäres Gedankengut transportiert werden. „Weil es nichts gibt, gegen das angegangen würde, keine offensichtliche Hetze, sondern ‚nur’ pseudonaives Bejubeln von Berg-Alm-Wiesen-Buabn-Dirndl-Seligkeit“, resümierte die „taz“ schon im Juli 2014, „wurde Gabaliers ernst gemeinte Blut-und-Boden-Terminologie bisher geflissentlich übersehen.“

Warum nun ausgerechnet ein Polizist spontan einen Gabalier-Song aus dem Zauberkasten holt, möchte ich hier nicht weiter hinterfragen – es wäre arg spekulativ und würde sicher auch dem beherzten Retter unrecht tun, der hier immerhin dazu beigetragen hat, einen Menschen vom Suizid abzuhalten. Aber dass ausgerechnet in Zeiten von AfD und Pegida auch Künstler wie Frei.Wild oder Andreas Gabalier zu Stars werden und dass Letzterer vom nicht ganz verschwörungstheoriefreien Xavier Naidoo in dessen Show „Sing meinen Song“ eingeladen wurde, gibt hin und wieder zu denken.

 

Udo Jürgens und der Clown: Auf die kleinen Details kommt es an

Udo Jürgens wird zu Recht gefeiert. Er hatte Charisma, auch Ecken und Kanten, sogar die einen oder anderen Abgründe. Eigentlich logisch, denn Charisma ohne Ecken und Kanten, ohne Abgründe, das gibt es nicht. Und: Udo Jürgens war ein begnadeter Songschreiber. Er verstand es, simplen Schlagern Tiefe zu verleihen – Alltagserfahrungen, die viele Menschen machen, anspruchsvoll, chansonhaft auf den Punkt zu bringen. Udo Jürgens kannte alle Tricks, war versiert auch im Spiel mit autobiografischen Bezügen, sang, als wüsste er ganau, wovon er sang. Und untermauerte so den Eindruck, einige seiner Lieder seien direkt aus dem Leben gegriffen, sogar direkt aus dem eigenen. Der Trick bestand darin, Reales und persönliche Eindrücke ästhetisch zuzuspitzen, sie zu verdichten – dabei aber entscheidende kleine Details zu verändern.

Ein in dieser Hinsicht charmanter, im Ansatz schlitzohriger Udo-Jürgens-Song war für mich immer Mein Bruder ist ein Maler aus dem Jahr 1977. Mal abgesehen davon, dass der Text nicht von Udo Jürgens, sondern von Wolfgang Hofer stammt, bewegt er sich auf den ersten Blick recht nah an der Biografie des erfolgreichen Entertainers: Udo Jürgens heißt mit bürgerlichem Namen Udo Jürgen Bockelmann, und sein Bruder Manfred war tatsächlich auch zur Entstehungszeit des Songs schon ein gefragter Künstler. In den Lyrics vergleicht das Song-Ich seine Leistung als Musiker mit der Leistung des malenden Bruders – und kommt in einem Anflug von Neid zu dem Ergebnis, dass dessen Gemälde aufgrund ihrer Unvergänglichkeit wertvoller seien als die eigenen kurzlebigen musikalischen Kompositionen: „Manchmal komm’ ich so klein mir vor / mit meinen großen Tönen, / die im kleinsten Wind wie blauer Dunst verweh’n. / Und so etwas wie Eifersucht / beginnt in mir zu brennen, / wenn ich dann seine Bilder seh’, so unvergänglich schön.“ Im Refrain stellt das Song-Ich sein Licht ganz deutlich unter den Scheffel, um den Bruder und seine Leistung noch größer erscheinen zu lassen: „Denn mein Bruder ist ein Maler, / und ein Bild von seiner Hand / kann mehr sagen als tausend Melodien. / Ja, mein Bruder ist ein Maler, / ich bin nur ein Musikant, / und in manchen Träumen, da beneid’ ich ihn.“

Nach einer weiteren Strophe, die das Grundthema vertieft, und einem weiteren Refrain bringt das Song-Ich in einem Zwischenteil Beispiele für die Arbeit des Bruders und für die Art, wie seine Werke wirken: „Wenn seine Frau mal traurig ist, / malt er ihr Orchideen / Und seinem Kind, das weint, den Clown, der Lachen schenkt.“ Und hier sind Udo Jürgens und sein Texter Wolfgang Hofer ganz deutlich von den biografischen Fakten abgewichen. Inwiefern? Das erklärt Manfred Bockelmann 2008 in der Dezemberausgabe von „NZZ Folio“, der Zeitschrift der „Neuen Zürcher Zeitung“: „Als das Lied herauskam, fragten alle: ‚Ja, wo ist denn dieser Bruder?’ Ich war damals schon recht erfolgreich und zeigte meine Arbeiten auf der Kunstmesse in Köln, Düsseldorf und Basel, es ging richtig gut los. Nun kam dieses Lied. Es war die Zeit von ‚Griechischer Wein’. Und die Leute dachten, ich male Bilder, so wie Udo singt. Doch das tue ich nicht. Meine Kunst ist anspruchsvoller, das weiss Udo auch. In dem Lied gibt es diese Strophe: ‚Wenn seine Frau mal traurig ist, malt er ihr Orchideen, und seinem Kind, das weint, den Clown, der Lachen schenkt.’ – Ich habe noch nie einen Clown gemalt! Also nein!“

Also wirklich!

Ein Blick auf den Fortgang der Lyrics zeigt, was es mit den offenbar aus der Luft gegriffenen farbenprächtigen Blumen und Spaßmachern auf sich hat. Sie müssen als „bunte“ Elemente herhalten, um zum Finale des Songs überzuleiten: „Er macht das Trübste wieder bunt, / drum kann ich nicht widerstehen“, so weckt diese Überleitung Neugier, „wenn seine Frau mir dann erzählt, was er sich manchmal denkt:…“ Im anschließenden letzten Refrain, der – noch so ein Songwriting-Trick – mit einer überraschenden Schlusswendung aufwartet, wird folgerichtig der malende Bruder zitiert, den, so die Ehefrau, dieselben Gedanken und Gefühle wie das Song-Ich umtreiben, nur aus der entgegengesetzten Perspektive: „Ja, mein Bruder ist ein Sänger, / und ein Lied aus seinem Mund, / das sagt mehr, als manches Bild je sagen kann. / Ja, mein Bruder ist ein Sänger, / und sein Leben ist so bunt, / manchmal fing’ auch ich so gern zu singen an.“

In diesen letzten Versen offenbart sich das eigentliche Zentrum des Songs: Nicht um eine etwaige Rivalität der malenden und singenden Gebrüder Bockelmann im wirklichen Leben geht es, sondern um den universellen Gedanken, dass jeder Mensch ein Talent hat, das ihn auszeichnet – etwas, das andere nicht können. Und dass das, was ein Mensch schafft, jeweils seine ganz eigene Wertigkeit besitzt. So inbrünstig und überzeugend sie auch vorgetragen werden, die Biografien der Gebrüder Bockelmann dienen lediglich als Aufhänger für die Formulierung einer übergreifenden These oder Erkenntnis – und werden mit Blick auf die möglichst effektive Zuspitzung dieser These nach Belieben manipuliert. Das hat Witz, das hat Tiefe, das macht die Könnerschaft des Gespanns Udo Jürgens/Wolfgang Hofer aus. Schade, dass es mehr davon nicht mehr geben wird.