Jamie Lee Curtis? Lenny Kravitz? Ghost Town? Björk? Die Assoziationen zur deutschen „European Song Contest“-Finalistin Jamie-Lee Kriewitz sind so naheliegend wie schillernd, dass eigentlich mindestens ein Platz unter den Top Ten herausspringen muss. Mich beeindrucken die Unbekümmertheit und das Selbstbewusstsein der Interpretin, und ja, auch der Song Ghost bleibt angenehm im Gedächtnis hängen – unter Mainstream-Gesichtspunkten ist es ein höchst ansprechender, sympathischer Titel.
Außerdem: Das „Geister“-Thema des Songs mag Zufall sein, aber es ist eins der unterschwelligen Song-Dauerthemen der letzten Jahrzehnte. „Geister“ werden dabei natürlich meistens als Metaphern zitiert, nicht im okkulten Gruselsinne – und doch spiegeln sie im besten Falle auch Befindlichkeiten einer Generation, eine Zeitstimmung, wider. Bei Jamie-Lee Kriewitz scheint es um eine Liebe zu gehen, die nicht mehr das ist, was sie mal war: Beide Liebende sind nur noch Geister ihrer selbst und haben Angst voreinander.
Ein echter Gespensterklassiker ist Ghosts von der britischen Band Japan – hier wird das Ich in Momenten des Hochgefühls immer wieder von den Geistern der eigenen Vergangenheit ein- und auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. In besagter Ghost Town von den Specials dagegen wird die Jugend von der Regierung unterdrückt – was ihre Umgebung zur Geisterstadt mutieren lässt. Mumford & Sons machen in The Ghosts That We Knew die Geister zu einem Bild des persönlichen Scheiterns, und die betörenden Briten von Cherry Ghost haben das rauschend Geisterhafte gleich im Bandnamen verewigt. Fantasievoll und anspielungsreich geht es unter anderen bei Michael Jackson zu: Dessen Ghosts beschwört nur vordergründig alle möglichen Horrorgestalten – in Wahrheit geht es um den Geist der Eifersucht. Das Video dazu ist eine nette Variation des Zombie-Motivs aus Jacksons Erfolgsclip Thriller. Zum Klamauk wiederum mutiert das Gespenstermotiv bei den tollpatschigen Hollywood-Geisterjägern, den Ghostbusters.
Eine wirklich mystische Aura umgibt die Geister nur im Ghost Song von den Doors mit seinen irritierenden Bezügen auf tote und verletzte Indianer, die nach einem Autounfall auf dem Highway liegen, oder auch in The Five Ghosts von der kanadischen Band Stars. Schade, dass sich hierzu nur das Video einer Remix-Version im Internet finden lässt, es ist mein Liblingsgeisterlied. Das Ich wird hier von fünf Geistern verfolgt, die es am Ende eines ruhmreichen Lebens zu sich holen. Wer ein bisschen googelt, findet unzählige weitere Geisterbezüge in Album- und Songtiteln oder Bandnamen, bis hin zu Ghost Stories von Coldplay. Ich bin der Meinung: Mit Ghost könnte Jamie-Lee Kriewitz beim ESC in Schweden ganz unterschwellig einen Nerv treffen – und so die Finalgeister vom letzten Jahr vertreiben.