Me, Myself & I

Demenz ist ein großes Thema. Und dafür gibt es triftige Gründe: Die gesellschaftliche Entwicklung und der medizinische Fortschritt sorgen dafür, dass immer mehr Menschen immer älter werden. Doch mit zunehmendem Alter häufen sich Kranheiten, die in dieser Art und in diesem Ausmaß bisher nicht allzu relevant waren. Da sagen sich immer mehr immer älter werdende Menschen und immer mehr Mittvierziger, die zum ersten Mal eine Gedächtnislücke hatten: Holzhirn, sei wachsam! Gleichzeitig hat Demenz etwas zutiefst Verstörendes: Ein Hüftgelenk kann man ersetzen, ein Organ operieren – doch Alzheimer und andere Formen von Demenz markieren einen unaufhaltsamen Angriff auf die geistige Verfassung. Es geht um nichts weniger als die mögliche Auflösung der Persönlichkeit. Das weckt existenzielle Ängste.

Kein Wunder, dass Demenz längst auch Thema von Songs ist. Doch die Beispiele, die man im Internet findet, sind meist simpel gestrickt. Sie nehmen entweder die Perspektive eines erkrankten Menschen oder die Perspektive einer fassungslosen nahestehenden Person ein, das bietet sich an. Aber meist bleiben sie auf das bloße Beschreiben von Symptomen beschränkt: Da geht es um zunehmende Vergesslichkeit, ein immer höheres Maß an Verwirrtheit, der Tenor ist Betroffenheit. Umso spannender ist ein wunderschöner Song, den die Schottin Amy MacDonald 2012 zum Thema beigesteuert hat. Er heißt Left That Body Long Ago und ist in einschlägigen Internetvideoportalen leider nur als Audiodatei mit Lyrics-Anzeige oder Diashow zu finden. Den Pressemitteilungen nach ist Left That Body Long Ago inspiriert von der an Alzheimer erkrankten Großmutter der Sängerin. Auf jeden Fall erweist sich das Song-Ich schnell als demenzkranke Frau, die versucht, zu ihren Angehörigen zu sprechen. „Ich kann mich nicht mehr an meinen Namen erinnern, und ich weiß nicht, wer ihr seid, ich bin nicht mehr die Person, die ihr seht“, heißt es da übersetzt, „Ich weiß nicht, warum ihr eure Mutter, eure Ehefrau verloren habt, aber da ist mehr, als ihr seht, dies ist nicht das Ende, ich habe einfach nur diesen Körper schon lange verlassen. Jetzt bin ich frei, und ich bin glücklich, das wollte ich euch wissen lassen.“

Was ich bemerkenswert finde: Der Song geht über das betroffene und letztlich verständnislose Beschreiben von Demenzsymptomen hinaus. Auch wenn die Vorstellung eines Ichs, das den Körper verlassen hat, etwas esoterisch anmuten mag, ist da doch der Gedanke an eine starke Persönlichkeit: an ein Subjekt, das sich lediglich auf dem Rückzug befindet. Wo genau dieses Subjekt sitzt und wie es beschaffen ist, das kann und will der Song nicht erklären. Aber er beharrt auf der Existenz eines Ichs. Und dieses Ich äußert sich kraftvoll, intensiv, nutzt die Sprache für eine ergreifende Botschaft an die Angehörigen.

Bleibt das Ich im Demenzfall unangetastet, oder löst es sich allmählich auf? Gibt es überhaupt so etwas wie ein Ich, oder handelt es sich dabei um eine sprachliche Illusion? Wie entsteht Persönlichkeit“? Und was bedeuten solche Fragen für die Kategorie des „Autors“? Fiese Fragen, die ans Eingemachte gehen. Gedanken dazu im neuen Beitrag meiner Reihe „What have they done to my song?“ auf Faustkultur: http://faustkultur.de/1527-0-Behrendt-What-have-they-done-to-my-Song-IX.html