Kraftklub, Ärzte, Fettes Brot: Selbst ist die Ironie

Zu den quälenden Ritualen der Rockkultur gehört die wachsende Skepsis eingefleischter Fans, wenn die Band, die sie lieben, allmählich berühmt wird. Dann legen diese Eingefleischten gern die, sagen wir, fundamentalistische Platte auf: Den neu hinzugekommenen Anhängern werfen sie vor, nur auf einen fahrenden Zug aufzuspringen, ohne wirklich bei der Sache zu sein – schließlich hätten sie selbst die Musiker schon supportet, als die noch ganz klein und unbekannt waren. Und die einstigen Helden werden beschuldigt, nun künstlerischen Ausverkauf zu betreiben, nur noch Mainstream zu sein und überhöhte Eintrittsgelder bei Konzerten zu kassieren – kurz: die ursprünglichen Ideale zu verraten und unerträglich abzuheben.

Solche Prozesse, gegen die Bands oft machtlos sind, kann man bierernst thematisieren. Man kann sich aber auch einen Spaß draus machen – so wie Kraftklub das tun. In Unsere Fans, dem besten und originellsten Song ihres neuen Albums In Schwarz, drehen die Chemnitzer den Spieß einfach um und machen all die Eingefleischten-Argumente ihren Fans zum Vorwurf: „Ich hab unsere Fans schon gekannt, da kannte die noch keiner (…) da ging’s um Ideale, da ging es um die Sache“, heißt es zu Beginn und: „Von keinem aus der Band noch den Taufnamen kennen, ja ja, aber Hauptsache Fan.“ Ein paar Verse später geraten der Verrat der Ideale durch die Fans und deren Bereitschaft, unverschämte Ticketpreise zu zahlen, ins Visier: „Seitdem unsere Fans jeder kennt, haben die sich voll verändert, früher liefen unsere Fans noch nicht auf jedem Sender. Damals war das alles noch nicht so wie heutzutage, mittlerweile zahlen die ernsthaft 30 Euro für ne Karte.“ Der Refrain schließlich bringt es immer wieder dreist auf den Punkt: „Unsere Fans haben sich verändert, unsere Fans haben sich verkauft, unsere Fans sind jetzt Mainstream.“

Das Video dazu zeigt die Kraftklubber in all den Klischeesituationen eines Rockacts, dem der Erfolg zu Kopf gestiegen ist: Da gibt es Werbeverträge mit politisch unkorrekten Unternehmenspartnern, exzessiven Drogenkonsum, nicht zuletzt Abhängen mit Cocktails und schönen Frauen auf einer Yacht. So gelingt der aktuellen deutschen Band der Stunde nicht nur ein schönes Stück Selbstironie, sondern auch ein selbstbewusster Kommentar zu einem unweigerlichen Rockmechanismus, gespickt mit einem Fünkchen Wahrheit: Denn tatsächlich ist es ja auch der rege Zuspruch, der eine Band erfolgreich und immer größer macht. So gesehen beinhaltet der Song nur an der Oberfläche eine Schmähung – am langen Ende ist er ein rotziger Dank an die Fans.

Das Spiel mit dem Publikum wird hier äußerst originell betrieben, variiert aber auch eine smarte Geste der Berliner Band Die Äzte. Die hatten in einem grotesken Video zu ihrem Song ZeiDverschwÄndung ebenfalls den Spieß umgedreht – allerdings nicht um Rockrituale zu entlarven, sondern um zu demonstrieren, wie nervtötend es sein kann, als Künstler der Belagerung durch Verehrer ausgesetzt zu sein. Also jagen hier die Ärzte-Musiker Fans, Passanten, Menschen in grotesken Superheldenkostümen und sogar Tiere, um gierig Autogramme zu verlangen, Handykameras zu zücken und ihre Opfer um gemeinsame Fotos zu bitten. Wenn einer der drei gleich zu Beginn einem wehrlosen Kaninchen eine Unterschrift abnötigen will und insistiert: „Mensch, jetzt gib mir mal’n Autogramm – ohne deine Fans bist du nichts!“, dann ist das bei aller Entlarvung aufdringlichen Fantums natürlich auch ein versteckter Dank an das Publikum. Im dazugehörigen Song machen sich die Ärzte ganz bewusst etwas kleiner, als sie sind, und richten sich an einige ihrer Anhänger, deren Bewunderung ganz offensichtlich krankhaft, zur Obsession geworden ist: „Doch du bist nie zufrieden, du gibst nie niemals Ruh (…) Du kannst doch nicht Dein Leben lang nur auf eine Band stehn (…) Such dir wenigstens ne Gruppe, die abgeht und rockt, sieh ein, dass der Kult um uns lang nicht mehr schockt.“ Auch im Refrain „Denn es gibt Besseres zu tun, als die die Ärzte zu hörn“ (Entrüsteter Zwischenruf: „Aber es gibt doch nichts Besseres…“) hält die Band kokettierend die Waage zwischen feiner Selbstironie, dem Dank an das Publikum und der Bitte, doch eine gewisse gesunde Distanz zu wahren – den Musikern nicht zu heftig auf die Pelle zu rücken.

Noch einmal anders gelagert war das Spiel mit dem Publikum im Video zum Song Schwule Mädchen von Fettes Brot. Hier spielen die Hamburger Rapper drei Fans, die unbedingt noch ein ausverkauftes Clubkonzert besuchen wollen. Auf ilegale Weise – indem sie an einer unbewachten Stelle in den Club einbrechen – gelangen sie schließlich ans Ziel. Den Song präsentiert das Trio dann als Teil der schwitzenden, stagedivenden Fanmenge und beschwört so die durch nichts zu zerstörende Einheit zwischen Künstlern und Publikum. Allerdings tritt das Trio im Video nicht unter dem Namen Fettes Brot auf, sondern als ein Act namens Schwule Mädchen.

Der gleichnamige Song, den man nur bei oberflächlichem Hören als sexistisch, als schwulen- oder als lesbenfeindlich missverstehen kann, greift selbstironisch die Kritik von konkurrierenden Hip-Hop-Acts auf, die gern mal in Asso-Manier mit Sprüchen wie „Ihr seid doch schwul“ und „Ihr Mädchen“ (im Sinne von „Weicheier“) auf Fettes Brot losgehen. Und wie reagieren Fettes Brot? Fügen beide Begriffe, „schwul“ und „Mädchen“, zu einem zusammen und verwandeln die als Beleidigungen gemeinten Phrasen in eine kraftvolle Marke: „Wenn drei schwule Mädchen durch Hamburg gehn, dann bleiben die Leute einen Augenblick lang ruhig stehn. Sie sehn uns an, warten, was passiert, bis sie wissen, es ist Zeit, dass wir zusammen durchdrehn.“ Und: „Worauf warten wir noch? Es ist nie zu spät. Leute, macht mal Krach für das Killerkomando, das am Mikro steht, bis der Tag erwacht.“ Das entlarvt die primitive Geisteshaltung wenig inspirierter Gangsta-Rapper (wohl nicht zufällig klingt im Refrain die zentrale Melodielinie aus dem Hit Gangsters der schwarz-weißen Ska-Band The Specials an), betont Schwulsein und (weibliche) Sensibilität als etwas Positives, Starkes und landet fette Punkte im Battle um die besten Textzeilen und Reime. Fetts Brot, Kraftklub und Die Ärzte sind nur drei von vielen Beispielen, die zeigen: Auch was Cleverness, Sprachwitz und Stil, feine Selbstironie und hintergründiges Publikumshandling angeht, bewegen sich deutsche Bands auf internationalem Niveau.

 

 

Kreative Verwurstung: Von der „sheet music“ zur Coverversion

„Unser täglich Cover gib uns heute“ heißt eine wunderbare Facebook-Seite, die vor ein paar Monaten von ein paar Frankfurtern ins Leben gerufen wurde. Deren einziger Sinn und Zweck besteht darin, auf mehr oder weniger bekannte, mehr oder weniger gelungene, mehr oder weniger mitreißende Coverversionen mehr oder weniger berühmter Originalsongs hinzuweisen und den Austausch darüber anzukurbeln.

Musikinteressierte können auf https://www.facebook.com/events/123262091176610/?ref_notif_type=plan_mall_activity&source=1 wunderbare Entdeckungen machen. Oder wussten Sie etwa schon, dass auch Dolly Parton schon mal Led Zeppelins Stairway to Heaven gecovert hat? Dass es Countryversionen von Van-Halen-Songs gibt? Dass man über Queens Opernrockspektakel Bohemian Rhapsody auch lauthals loslachen kann? Oder dass aus Michael Holms Schlager Mendocino mal eine Punkband namens Die Zwangsversteigerten Doppelhaushälften den Song Pornokino gemacht hat? Von der schüchternen Kopie bis zur gnadenlosen Parodie, vom überraschenden Genretransfer bis zur ungeahnte Tiefen auslotenden Adaption, von der Instrumentalversion bis zur Übertragung in eine andere Sprache ist alles dabei.

Das spielerisch-künstlerische Covern eines fremden Songs ist heute gängige Praxis. Es war aber anfangs keineswegs selbstverständlich, sondern musste sich erst über einen längeren Zeitraum hinweg etablieren. Denn weit bis ins 20. Jahrhundert hinein war das Musikgeschäft ein Verlagsgeschäft, das heißt, das Original eines Songs manifestierte sich vor allem in den niedergeschriebenen Noten und Lyrics. Auch als Schallplatte und Rundfunk ihren Siegeszug antraten, waren es noch einige Jahre lang die Verkaufszahlen der Partituren, die die Chartsplatzierung von Songs bestimmten. Es gab in der Regel sogar mehrere gleichzeitig kursierende Aufnahmen eines Songs, ohne dass man von Covern gesprochen hätte. Je öfter eine Komposition aufgeführt wurde, desto höhere Tantiemen kamen für die Verlage heraus. Was eigentlich zählte und Geld brachte, war die schriftlich fixierte Komposition.

Erst mit Blues- und Folkmusikern, die teilweise keine Notenkenntnisse besaßen, aber einen unverwechslebaren Individualstil einbrachten, sowie mit Musicalfilmen und Stars wie Marlene Dietrich rückte die interpretin, der Interpret ins Zentrum des Interesses: Frei nach der Devise „It’s the singer, not the song“ etablierte sich allmählich die zuerst veröffentlichte Tonaufnahme eines Songs als Original – alle später veröffentlichten Versionen galten fortan als Coverversionen. So wandelte sich das Musikgeschäft zum Tonträgergeschäft. Mehr über dieses spannende Kapitel der Musikgeschichte in meinem neuen Beitrag auf Faust-Kultur.