So unsexy, sexy zu sein

„Ich kann mich nicht daran erinnern, dich zu vergessen“, singen Shakira und Rihanna in ihrem aktuellen Hit, Can’t Remember to Forget You. Das ist eine ziemlich umständliche Art zu sagen: „Ich kann (oder ich werde) dich niemals vergessen“ – aber der Reiz der Formulierung liegt natürlich im Spiel mit dem scheinbar Paradoxen, der lustvollen Verquickung von Gegensätzen, die sich eigentlich ausschließen. Ein beliebtes Spielchen in Songlyrics, wobei man manchmal den Eindruck hat, dass der Songtext überhaupt erst von einem solchen Effekt inspiriert beziehungsweise nur auf diesen Effekt hin geschrieben wurde.

Zum Beispiel Huey Lewis & The News: Die sangen einst grinsend: „It’s hip to be square“ („Es ist hip, spießig zu sein“) und umgaben den im Grunde blödsinnigen Spruch mit ein paar selbstironische Gedanken zum Älterwerden, à la: Da schau her, auch die, die in ihrer Jugend mal ganz schräg drauf waren, passen sich irgendwann an. Ähnlich tröstlich, wenn auch genau in die entgegengesetzte Richtung, äußert sich Jesse J in Who You Are, wenn sie beteuert: „It’s okay not to be okay.“ Überall Anforderungen und Zwänge, die einem, wenn man ein bisschen anders ist, leicht ein schlechtes Gewissen verursachen. Aber nicht verzagen, so Jesse J, versuch einfach, dir selber treu zu bleiben. „Anders ist das neue gleich“ gewissermaßen.

Etwas krasser auf der Selbstbehauptungsschiene fährt die Hardrockband Poison mit ihrem Song Bad to Be Good: „You gotta be bad to be good“, heißt es da, ”in the dead of the night“ – womit ganz offenbar das Zurechtkommen und Überleben in einer von Dealern, Dieben und Straßengangs beherrschten Umwelt gemeint ist. Ein böser, besser: taffer Junge sein, um etwas Gutes zu erreichen – das schätzen auch die Rockerkollegen von Whitesnake, wenn sie singen: „Sometimes it’s good to be bad.“ Anders als bei Poison geht es bei Whitesnake aber nicht um taffes Auftreten in einer feindseligen Umgebung, sondern schlichtweg um die Lust auf Sex. Der Vers im Kontext: „Anytime you got love on your mind / Babe I got news for you / All I’m gonna say: / Sometimes it’s good to be bad / Bad to the bone.“

So geht das munter weiter in Songtexten. Man denke sich ein sprachliches Gegensatzpaar, und schon finden sich irgendwelche Lyrics, in denen beide Begriffe mehr oder minder geschickt ineinander verwurschtelt werden. Langsam/Schnell? Kein Problem: „Sometimes the fastest way to get there is to go slow“, beschwört uns die Dänin Tina Dico in ihrem wunderschönen Selbstfindungssong Count to Ten. Gewinnen/Verlieren? Aber klar doch: „I went out on a limb again / Guess I had to lose to win.“ Das gesteht uns „Harry Potter“-Darsteller Freddie Stroma in einem Song namens Knockin‘, während Fantasia Barrino, Gewinnerin der dritten Staffel von „American Idol“, der US-Variante von „Deutschland sucht den Superstar“, schmachtet: „Have you ever needed someone so bad / But he ain’t willing to make it last / Sometimes you got to lose to win again.“ Ja, manchmal muss man eben einen schlimmen Partner verlieren, um eine neue Liebe zu gewinnen. Oder, um es mit der Australierin Sia Furler, Solokünstlerin und Songwriterin unter anderem für Rihanna (Diamonds), zu sagen: „It has to end to begin“ (aus dem Song Numb). In jedem Verlust steckt ein Neuanfang. Krise als Chance. Ja, im Lovesong ist man gerne glücklich, so unglücklich zu sein.

Apropos Lovesongs: Am ehesten bietet sich hier natürlich das Spiel mit dem Gegensatzpaar Lieben/Hassen an. Ganz vorn mit dabei ist einmal mehr Rihanna, die in Hate That I Love You hadert: „But I just can’t let you go / And I hate that I love you so.“

Ich hasse es, dich zu lieben. Yo!

Aber das geht doch bestimmt auch andersrum, oder? Klar doch, wie Erasure zeigen. In einem ihrer Klassiker aus den frühen Neunzigern schildern sie eine etwas merkwürdige Beziehungskonstellation. „Und die Liebhaber, die du mir schicktest / Kamen leider ohne Befriedigungsgarantie / Also schicke ich sie zurück an den Absender / Mit folgendem Vermerk: / ‚Wie ich es liebe, dich zu hassen’…“ Im Original: ”And the lovers that you sent for me / Didn’t come with any satisfaction guarantee / So I return them to the sender / And the note attached will read: / ‚How I love to hate you’…“

So rätselhaft das auch klingt, das Synthipop-Juwel samt Video macht einen Heidenspaß. Und wer will, kann in folgenden Versen aus der ersten Strophe auch einen Hinweis auf die Gaudi erkennen, die Vince Clark und Andy Bell beim Verfassen des Songs gehabt haben müssen: „Love and hate, what a beautiful combination / Sending shivers up an down my spine.“ Ähnlichen Spaß sollen Rihanna und Shakira beim Dreh des Videos zu Can’t Remember to Forget You gehabt haben. Da räkeln sich die beiden leicht bekleideten Superstars dermaßen bescheuert in „Ruf! Mich! An!“ und „Nimm mich!“-Posen um die Wette, dass man nur konstatieren kann: Es ist so unsexy, sexy zu sein.

 

 

The Bombastics: (Song-)Spaß muss sein

Der vollschlanke Herr am Kontrabass ergeht sich in seltsamsten Verrenkungen, die nicht minder füllige Akkordeonistin würzt ihr präzises Spiel mit grotesken Tanschritten und unvergleichlichem Minenspiel. Der hagere Frontmann schließlich gibt mit elektrisch verstärkter Mandoline nichts weniger als den lässigen Voodoopriester. Der langsam, aber stetig vorwärtswalzende Song The Water Is weg spinnt um das blues- und rocktypische Motiv des ausgetrockneten Flussbetts eine Deutsch und Englisch mischende Nonsense-Geschichte, die das Publikum Tränen lachen lässt.

Da stellt eine gewisse Sabine fest, dass sie kein Wasser mehr hat, und macht sich auf die Suche: „You got to tell me, baby: Where is the water hin?“ Auf ihrer Suche trifft sie das Meer, nur um festzustellen: „There’s no water weit und breit“. Und das Meer? Entgegnet trocken: „Sabine, you’re goddamn right!“

Dieser Coup, der schon 2011 bei „Kein Lied für Germany“ zu bewundern war, stammt von den wunderbaren Bombastics, einem Clown-Trio, das schon jahrelang tourt – das wir aber erst letzten Samstag im Offenbacher Theateratelier Bleichstraße 14 h kennengelernt haben. Clowntrio? Das klingt nur im ersten Moment nach angestaubter Alternativkultur, nach einer längst überholten antiautoritären Kunstpädagogik für eine selbst ernannte freie Szene. Nein, die Bombastics, die man auch für Privatveranstaltungen mieten kann und die – sehr sympathisch – sogar für Kinderstationen im Krankenhaus spielen, sind in Zeiten von Megastars, von Casting-Shows und Justin Bieber aktueller denn je. Zumindest liefern sie ein erfrischendes Kontrastprogramm.

Songs heute haben viel mit prägnanten Bildern und einer schwülstigen Rhetorik zu tun, die Song-Performance lebt von großen und übergroßen Gesten, von der narzisstischen Inszenierung bis an die Grenzen des Erträglichen. Die Bombastics rücken hier einiges wieder gerade, parodieren gnadenlos Genres, Posen und fade Texte. Das geht weit über das hinaus, was einst ein Weird Al Jankovic mit seinen arg offensichtlichen Parodien auf berühmte Hits – etwa Like A Surgeon auf Madonnas Like A Virgin – im Schilde führte. Die Bombastics lassen Blues, Rock, Jodler, Polka, Punk, italienischen Schlager oder Bucovina-Sound auf groteske Weise zusammenfließen und machen sich dabei so gekonnt zum Affen, dass am Ende ein Augen und Ohren öffnendes Programm entsteht – Publikumsbeteiligung inklusive. Wer Zeit und Lust hat: Am 21, Februar treten die Bombastics noch einmal im Offenbacher Theateratelier Bleichstraße 14 h auf.

Wie man sich als Rockstar selbst gekonnt zum Affen macht, das beweist nicht nur das durchgeknallte französische Duo Daft Punk, das bevorzugt mit übergroßen Motorradhelmen auf den Köpfen auftritt. Über Peter Licht zurück bis zu den Residents und von dorthin noch weiter zurück bis zu Bob Dylan reicht das Spektrum der Künstler, die sich kunstvoll vor dem Publikum lächerlich gemacht haben und immer noch lächderlich machen. Freilich steckt dahinter meist keine parodistische Absicht wie bei den Bombastics, sondern eher das Bestreben, eventuelle Rückschlüsse von den Songinhalten auf ihr Prvatleben schon im Keim zu ersticken. Dass viele Rockstars überhaupt nicht gerne von sich selbst singen, unterstrich einst Peter Gabriel, der einen Song von Vampire Weekend coverte, in dem sein Name fällt. In seiner Version fügte Gabriel flugs einen Vers hinzu: „And it feels so unnatural to sing your own name.“ Mehr über die Versteckspiele berühmter Songwriter in Folge 10 meiner Reihe „What have they done to my song?“ auf Faust-Kultur: http://faustkultur.de/1602-0-Behrendt-What-have-they-done-to-my-Song-X.html#.UvlJUl7HQ7A

Lieder, Lieder: Songfuchs Adel Tawil

„Und ich höre diese Lieder / durch den Schmalz in meinen Ohren / Hab aus Werken andrer Künstler / einen Instant-Hit geboren“ – so oder ähnlich könnte es klingen, wenn man Lieder parodiert, den aktuellen Hit von Adel Tawil. Bin gespannt, wann die ersten Parodien dieser Art kommen, denn der Song, der derzeit rauf und runter läuft im Radio, ist dermaßen „offensichtlich“, dass sich nicht wenige Kenner bemüßigt fühlen dürften, spontan loszureimen.

Die Idee zu Lieder ist so überraschend wie simpel – und eigentlich ganz charmant: Titel von Hits, vornehmlich aus dem englischsprachigen Raum, werden eingedeutscht und vom Sprecher so in den Text eingearbeitet, als hätte er sie „gelebt“: „Ich ging wie ein Ägypter / Hab mit Tauben geweint“, heißt es da oder: „Michael lässt mich nicht allein“ und „Kurt Cobain sagte mir, ich soll kommen, wie ich bin.“ So werden neben You Are Not Alone von Michael Jackson, neben Nirvanas Come As You Are, When Doves Cry von Prince und Walk Like An Egyptian von den Bangles auch Unbelievable von EMF, Bob Dylans Like A Rolling Stone oder Louis Armstrongs What A Wonderful World verwurstet. Manchmal wird auch ein Plattencovermotiv oder ein Star direkt erwähnt. Eine nette Art, großen, wichtigen Songs und Alben der jüngeren Musikgeschichte, wahrscheinlich auch Lieblingsliedern Tribut zu zollen – und eine kleine Rätselserie, die zumindest von eingefleischten Hitradiohörern leicht zu knacken ist.

Durch Verweise auf Songs der Gruppe The Boyz, in der er Mitglied war, und Ich + Ich, das erfolgreiche Duo, das er einst zusammen mit Annette Humpe bildete, spielt Adel Tawil auch auf seine eigene Karriere an. Es sind Bezüge, die man „persönlich“ nehmen kann, aber nicht persönlich nehmen muss. Der Song funktioniert auch ohne dass man etwas über Adel Tawils Werdegang weiß. Und ohnehin lebt das Ganze fast ausschließlich von den spektakulären Quellen, aus denen es sich bedient und die im Video lustvoll mit viel Tricktechnik noch einmal präsentiert werden. Da geht Tawil durch einen Plattenladen und zieht die entsprechenden Alben aus den Fächern, oder er läuft durch die Stadt, derweil Covermotive auf seinem T-Shirt und auf großen Reklameschildern ineinander übergehen.

Das wirkt beim ersten Hören ergreifend und clever gemacht, auf Dauer hat es für mich einen leichten „Rip-off“-Beigeschmack – wenig dichterische Eigenleistung und voll im Trend der wehmütigen Rückschau-Songs, von Kid Rocks All Summer Long über den Bosse-Hit Schönste Zeit, der ebenfalls mit Kurt-Cobain-Bezug daherkommt, bis Wie wir waren von Unheilig & Andreas Bourani. Und doch: Der Song geht nicht nur ins Ohr, er regt auch die eigene Erinnerung an und motiviert am Ende zur spielerischen Nachdichtung, natürlich unter Verarbeitung der persönlichen Lieblingsinterpreten und -alben. Ich hab’s spontan versucht und dabei drei Dinge festgestellt. Erstens: Viele der Songs, die ich eigentlich mag, kriege ich gar nicht griffig eingearbeitet. Zweitens: Die Geschichte, die ich erzähle, verselbstständigt sich mit den Bezügen, die ich wähle – oder mit den Reimen, die ich brauche. Und drittens: Zwangsläufig habe ich auch Songs eingebaut, die ich gar nicht unbedingt mag – nur damit es weitergeht. Insofern bitte ich, aus den folgenden Lyrics für einen nicht existierenden Song keine Rückschlüsse auf meine Person zu ziehen. So wie man vielleicht auch Adel Tawil nicht alles abkaufen muss, was er da „mit Tränen in den Augen“ singt…

PS: Die Auflösung zu den durch den Mixer gejagten Songs gibt’s am Ende.

PPS: Warum nicht selber mal einen Lieder-Text versuchen. Freue mich auf Kommentare

Mehr Lieder

Ich spürte Samstagabendfieber
Du warst meine Dame in Schwarz
Ich sah deine blauen Augen
Liebe rettete den Tag

Du flogst mit mir zum Mond
Durch Gammastrahlen, Sonnenfeuer
Zu des Mondes dunkler Seite
Voller Freaks und Ungeheuer

London rief, wir nahm’n die Autobahn
Fuhr’n im Taxi nach Paris
Wir hatten Visionen von China
Und landeten, oh, in Wien

Wir kam’n ins Hotel Kalifornien
Teenage-Geist war unser Duft
Ein schwarzer Hund, ich sah es kommen
Plötzlich lag was in der Luft

Du gabst mir einen Kuss
Und sagtest: Ich bin nicht verliebt
Keine Pläne mehr für Nigel
Nie mehr Foxtrot, Liebesdieb!

(Refrain)

Und jetzt hör ich diese Lieder
Und es werden immer mehr
Ja, das Beste mag noch kommen
Alles so verdamp lang her

Gestern Mixtape, Vinylträume
Heute Klanginseln im Strom
Musik eint Rebell’n und Bürger
Für immer im Vergnügungsdom

Oh, wie wünscht’ ich, du wärst hier
Um am Nullpunkt mich zu retten
Und im Boogie-Wunderland
Für immer dich an mich zu ketten

Du lässt mich häng’n am Telefon
Von Gerüchten umsäumt
War’s vielleicht nur Illusion?
Hab ich alles nur geträumt?

Genug mit Frieren in der Hölle
Hab nicht vergessen, doch vergeben
Wir verblassen zu Grau
Und ich werd es überleben

(Refrain)

Und jetzt hör ich diese Lieder
Und es werden immer mehr
Ja, das Beste mag noch kommen
Alles so verdamp lang her

Gestern Mixtape, Vinylträume
Heute Klanginseln im Strom
Musik eint Rebell’n und Bürger
Für immer im Vergnügungsdom

Heute hör ich Glocken röhren
Kein Rauch mehr überm Wasser
Trinke Tee in der Sahara
Tanz in Cape Cod Kwassa Kwassa

Auf der langen gewundenen Straße
Klöppeln Congas, es geht bergauf
Neue Liebe, neues Leben
Für mich reißt der Himmel auf

Hab dich ganz und gar vergessen
Denk nicht mehr an den letzten Kuss
Geh doch einfach deinen Weg
Und weine mir ’nen Fluss!

Trag ’ne billige Sonnenbrille
Zieh’ neue Jeans mir an
Landgeschwindigkeitsrekorde
Dabei so sanft, ich bin der Mann

Dünne Lisbeth, alberner Idiot
Alle winken sie mir zu
Mit der ganzen Popgeschichte
Auf Tuchfühlung und per Du

(Refrain)

Und jetzt hör ich diese Lieder
Und es werden immer mehr
Ja, das Beste mag noch kommen
Alles so verdamp lang her

Gestern Mixtape, Vinylträume
Heute Klanginseln im Strom
Musik eint Rebell’n und Bürger
Für immer im Vergnügungsdom

((Die verwursteten Songs: Bee Gees, Saturday Night Fever / Uriah Heep, Lady in Black / Ideal, Deine Blauen Augen / Whitney Houston, Love Will Save the Day / Julie London, Fly Me to the Moon / Birth Control, Gamma Ray / Manfred Mann’s Earth Band, Solar Fire / Pink Floyd, Dark Side of the Moon / Chiic, Le Freak / Eminem, The Monster / The Clash, London Calling / Kraftwerk, Autobahn / Felix de Luxe, Taxi nach Paris / Japan, Visions of China / Ultravox, Vienna / The Eagles, Hotel California / Nirvana, Smells Like Teen Spirit / Led Zeppelin, Black Dog / Phil Collins, In The Air Tonight / Prince, Kiss / 10cc, I’m Not In Love / XTC, Making Plans for Nigel / Genesis, Foxtrot / Depeche Mode, Love Thieves / Frank Sinatra, The Best Is Yet to Come / BAP, Verdamp lang her / Jimmy Eat World, Mixtape / Narada Michael Walden, Dreams of Vinyl / Kenny Rogers & Dolly Parton, Islands in the Stream / Madonna, Music / Frankie Goes to Hollywood, Welcome to the Pleasuredome / Pink Floyd, Wish You Were Here / The Fixx, Saved By Zero / Earth, Wind & Fire, Boogie Wonderland / Fleetwood Mac, The Chain / Blondie, Hangin’ On the Telephone / Timex Social Club, Rumors / Imagination, Just An Illusion / Nena, Nur geträumt / Mitch Ryder, Freezin’ in Hell / The Corrs, Forgiven Not Forgotten / Visage, Fade to Grey / Gloria Gaynor, I Will Survive / Mike Oldfield, Tubular Bells / Deep Purple, Smoke on the Water / The Police, Tea in the Sahara / Vampire Weekend, Cape Cod Kwassa Kwassa / The Beatles, The Long And Winding Road / Gloria Estefan, Conga / Jürgen Marcus, Eine neue Liebe ist wie ein neues Leben / Silbermond, Himmel auf / Fleetwood Mac, Go Your Own Way / Julie London, Cry Me A River / ZZ Top, Cheap Sunglasses / David Dundas, Jeans On / Hüsker Dü, Land Speed Record / Santana, Smooth / Joe Jackson, I’m the Man / Thin Lizzy / Daft Punk)

TV-Serie „Sons of Anarchy“: Peggy Bundy rockt den Mythos

Im deutschen Fernsehen liefen nur die ersten drei Staffeln, in Amerika feiert man schon den 6. Durchgang. Die ersten beiden Staffeln werden hierzulande gerade auf ProSieben Maxx wiederholt, bevor dann irgendwann bei irgendeinem Sender hoffentlich auch die synchronisierte 4. Staffel startet: Die Rede ist von der TV-Serie „Sons of Anarchy“. Das ungewöhnliche Rocker-Epos bietet nicht nur Dramatik und schauspielerische Aha-Erlebnisse, sondern auch rockmusikalische Überraschungen. 

 Wie schafft es Amerika bloß immer wieder, jeglichen Kredit zu verspielen – wenn doch in den Staaten so unglaublich gute, unglaublich erfolgreiche, unglaublich weise Fernsehserien produziert werden? Es sind Serien, die tief in die amerikanische Seele blicken lassen und damit letztlich andeuten, was und wie man es besser machen könnte. Die Rede ist natürlich NICHT von Erfolgsserien wie „CSI“, „Criminal Intent“, „Burn Notice“ oder „The Mentalist“. Die mögen vielleicht unterhaltsam sein, gaukeln aber letztlich dem Publikum nur vor, dass die USA in Gestalt von aufrechten Einzelgenies oder ausgeschlafenen Behörden jederzeit alles Griff haben: ihre Technik, sich selbst, die Feinde im Innern, die Feinde in aller Welt. Denn tatsächlich haben die betreffenden Behörden und Entscheider, wie man täglich in den News verfolgen kann, überhaupt nicht viel im Griff: Sie kapitulieren vor Naturkatastrophen, Lobbys und Terroristen, unterstützen immer wieder die falschen Regimes, scheinen geleitet von Paranoia, mischen sich konzeptlos in Kriege ein und wirken obendrein zu dumm, ihren Kontrollwahn vor der Weltöffentlichkeit geheim zu halten.

Nein, die Rede ist von Serien wie „Buffy“, „Mad Men“ und den „Sopranos“, „Boston Legal“, „Homeland“ oder „Deadwood“ – Qualitätsserien, die von Ausgrenzung und den Mechanismen der Gewalt, von Macht und Ohnmacht, von Selbstbehauptung und den Bedingungen des Scheiterns, von den Absurditäten und Pervertierungen des amerikanischen Traums, von einer auf Rücksichtslosigkeit, Gier und menschlichen Schwächen gegründeten Nation erzählen. Steile These: Wären solche TV-Serien Pflichtprogramm an amerikanischen Schulen und Universitäten, es gäbe womöglich kein Guantanamo und keine Spähprogramme, keinen „Krieg gegen den Terror“ – und die Waffenlobby hätte wesentlich weniger zu sagen.

An dieser Stelle gilt es, „Sons of Anarchy“ würdigen. Wer die Mafia-Serie „The Sopranos“ und die leider unvollendet gebliebene Western-Serie „Deadwood“ schätzte, kommt hier voll auf seine Kosten. Schon weil man ein paar „Deadwood“-Darsteller wiedertrifft. Das Prinzip aller drei Serien: Einblicke in die amerikanische Geschichte und in amerikanische Subkulturen spitzen Alltagserfahrung zu und schaffen eine Art Verfremdungseffekt. Denn im Grunde geht es genau um die Dinge, mit denen sich auch der normalste Mensch in der westlichen Welt von heute herumschlägt – um Familienkonflikte, um die Auseinandersetzung mit ungeliebten Nachbarn, bösen Chefs und Kollegen, um Sorgen mit dem pubertierenden Nachwuchs, um Visionen, Schicksalsschläge, Scheitern, um die Macht des Geldes, die Folgen der Globalisierung, um Selbstnehauptung. Durch die Übertragung in ungewöhnliche Milieus werden die Zusammenhänge künstlerisch überhöht – das macht sie spannend, interessant und, ja, transparent. Im Mafia-Milieu der Sopranos werden dann Chefs und Mobber auch mal aus dem Weg geräumt, und die Depressionen des nur nach außen starken Bosses Tony Soprano wirken noch anrührender. Wenn sich so ein Kerl seinen Ängsten und einer Therapeutin stellt, dann schafft das vielleicht auch ein überforderter Konzernmanager? In „Deadwood“ werden der tägliche Existenzkampf und das multiethnische Chaos moderner Metropolen am Beispiel der Gründung und Entwicklung einer Goldgräberstadt verhandelt – gelegentliche Gewaltexzesse unterstreichen, wie brutal dieser Existenzkampf und der „Vom Tellerwäscher zum Millionär“-Mythos eigentlich sind. Die Rocker-Saga um den „Sons of Anarchy Motorcycle Club Redwood Original“ (kurz: SAMCRO oder Sam Crow), der hinter der Fassade einer Kfz- und Motorrad-Reparaturwerkstatt nicht nur Waffen- und Drogen-Deals abwickelt, sondern auch mit den Behörden kooperieren und sich rivalisierende Gangs vom Leibe halten muss, erzählt von zerbrochenen Idealen, einem Vater-Sohn-Konflikt und den vielen erzwungenen Kompromissen und unliebsamen Allianzen im Leben. Es ist ein komplexes Netz aus Anhängigkeiten und Schuld, in das sich die Charaktere immer tiefer verstricken…

Warum Rocker? Weil der Rocker etwas Mythisches hat, erst recht in der amerikanischen Kultur. Er steht einerseits für Kraft und Energie, für Freiheit und Abenteuer, andererseits für Gewalt und Verbrechen, für überkommene patriarchalische Strukturen. Nicht nur die Rolling Stones waren erschüttert, als 1969 beim Festival in Altamont die als Sicherheitskräfte eingesetzten Hell’s Angels unter Alkohol- und Drogeneinfluss zunächst Konzertbesucher und Musiker anpöbelten und dann den Schwarzen Meredith Hunter erstachen, der mit einer Pistole herumgefuchtelt hatte. Den tragischen Vorfall behandelt der berühmte Dokumentarfilm Gimme Shelter von Charlotte Zwerin und Albert und David Maysles, in dem sich ein fassungsloser Mick Jagger noch einmal die schrecklichen Bilder ansieht.

Auch der ebenfalls 1969 erschienene Kinoklassiker Easy Rider zelebriert den Zwiespalt: Während Steppenwolf ihr hymnisches Born to Be Wild schmettern, zeigt die Story zwei Rocker als gesellschaftliche Außenseiter, die mit Drogen dealen und im Konflikt mit reaktionären Rednecks den Tod finden. In seinem Song The Angel aus dem Jahr 1973 beschreibt auch Bruce Springsteen den Rocker als brutalen Outlaw, der sich bei aller Faszination, die er mit seinem Lebensstil ausübt, auf einem Trip in den Tod befindet. Er mag auf sinnsuchende Jugendliche einen großen Eindruck machen – eine im positiven Sinne gesellschaftsverändernde Kraft besitzt er nicht. Der große Aufbruch der „nomadic hordes in Volkswagen vans“ geht buchstäblich vorüber an diesem „Todesengel“, der auf seiner stählernen Hure („metal whore“) lieber „Sackgasse“-Schildern folgt.

In „Sons of Anarchy“ wird der Zwiespalt abgearbeitet am Konflikt zwischen dem jungen Jax (Charlie Hunnam) und seinem Ziehvater Clay (Ron Perlman, bekannt aus den Fantasy-Streifen Hellboy und zusammen mit zuletzt im Monster-Fantasy-Blockbuster Pacific Rim besetzt). Jax’ leiblicher Vater ist bereits tot, er war beseelt von der Idee einer hippiehaften, freiheitsliebenden Rocker-/Outlaw-Gemeinschaft. Unter ihrem jetzigen Anführer Clay aber, der gleichwohl seine sensible Seiten hat und an Arthritis leidet, sind die Sons of Anarchy zu einer kriminellen Bande mutiert, was einige Gewaltexzesse nach sich zieht. Diese werden nie um ihrer selbst willen inszeniert, sondern sind plausibel durch den Handlungsverlauf motiviert. Jax bleibt dem Ehrenkodex der Gang verpflichtet, reibt sich aber auch an ihren dunklen Seiten, die er nicht wirklich akzeptieren kann. Der emotional stärkste Moment der dritten Staffel ist der Punkt, an dem er endlich sein entführtes Baby wiederfindet – in Irland, in den Armen eines ahnungslosen jungen Paares, an das der kleine Junge zur Adoption vermittelt wurde. Eigentlich hatte Jax seinen Sohn mit allen Mitteln zurückholen wollen, doch als er das Paar heimlich verfolgt und erkennt, dass die liebevollen Adoptiveltern dem Jungen eine bessere und sicherere, eine bürgerliche Zukunft ermöglichen werden, kann er sein Vorhaben nicht umsetzen. Hilflos wendet er sich ab. Ein folgenschweres Zaudern, denn wenig später werden die unschuldigen und ahnungslosen Adoptiveltern von den Entführern ermordet. Faszinierend ist die Serie nicht, weil sie etwa als Popcorn-TV-Unterhaltung mit flotter Action daherkommt, sondern weil man ständig von den grausamen Verwicklungen erschüttert wird und immer wieder erleichtert ist, dass sich der eigene stramme Alltag dann doch etwas beschaulicher gestaltet.

Eine der großen Überraschungen der Serie ist die Darstellerin von Jax’ Mutter Gemma. Dahinter verbirgt sich keine Geringere als Katey Sagal, Al Bundys Gattin Peggy in der 80er/90er-Jahre-Proll-Erfolgsserie „Eine schrecklich nette Familie“ – einem Fernsehprodukt, das an der Oberfläche in Ballermann-Manier, aber darunter nicht minder weise die Abgründe der amerikanischen Seele auslotete. Wie sie nun die taffe Rocker-Mama spielt, mit unglaublichen Nehmerqualitäten und der Gabe, den wilden Haufen gegen alle Widerstände zusammenzuhalten, das muss man gesehen haben. Aber man muss auch gehört haben, wie Katey Sagal singt. Denn vor ihrer erfolgreichen Karriere als Schauspielerin war sie mal Backgroundsängerin, und zwar für Stars wie Bob Dylan und Bette Midler. Auch unter eigenem Namen hat sie Alben veröffentlicht. Klar, dass sie zum Soundtrack der Serie „Sons of Anarchy“ einige Gesangsparts beigesteuert hat, etwa Coverversionen berühmter Songs wie Son of A Preacherman, Bird on A Wire, Strange Fruit und Ruby Tuesday.

Und der Soundtrack hält noch weitere Überraschungen parat. Zum Beispiel Curtis Stigers. Der bei uns eher als Schmuserocker oder Jazzer bekannte Sänger und Saxofonist singt den kurzen, aber äußerst knackigen Titelsong der Serie, This Life. Als Backing-Band in diesem wie in etlichen weiteren Songs fungieren die eigens zur Serie  gegründeten Forest Rangers. Und auch hier trifft man ein paar altbekannte Hochkaräter wieder. Zum Beispiel den Bassisten Davey Faragher, der schon in Elvis Costellos Begleitband The Imposters die Saiten zupfte, Drummer Brian Macleod, Studiocrack für Sheryl Crow, Grace Slick oder Roger Waters, Gitarrist Dave Kushner, mit Slash und Scott Weiland eine der tragenden Säulen von Velvet Revolver, und Bandleader Bob Thiele Jr. Der Songwriter und Produzent ist der Sohn von Bob Thiele, der einst im Chefsessel des Jazzlabels Impulse! saß, John Coltranes Album A Love Supreme produzierte und als Koautor an Louis Armstrongs Evergreen What A Wonderful World beteiligt war. Neben den Forest Rangers mit ihren illustren Gastsängerinnen und -sängern gibt es auf dem „Sons of Anarchy“-Soundtrack weitere Rock-Acts, Originalsongs und Coverversionen zu entdecken, etwa die somnabule Interpretation des Herman’s-Hermits-Hits No Milk Today durch Joshua James.

Die Songauswahl ist hier und da auf die Folgen abgestimmt, auch die Neuinterpretationen alter Hits entwickeln im Serienkontext zusätzliche Bedeutungsebenen. Und die eigens komponierten aktuellen Songs hantieren gern mit ambivalenten Lyrics. So greift der Titelsong This Life das Zwiespältige des Rockermythos auf und ist gleichzeitig inhaltlich so offen gehalten, dass man sich hier und da auch als Nicht-Son-of-Anarchy damit identifizieren kann: „Ridin’ through this world all alone / God takes your soul, you’re on your own / The crow flies straight, a perfect line / On the devil’s bed until you die.“ Sind wir nicht alle irgendwie auf uns allein gestellt und kämpfen uns durchs Leben?

Es ist schon eine geflügelte Erkenntnis, dass man manche Serienfiguren besser kennt als die eigenen Freunde. Und „Sons of Anarchy“ setzt, wie die „Sopranos“ oder „Deadwood“, zusätzlich auf den gemeinen Trick, uns für unvernünftig, niederträchtig oder kriminell handelnde Charaktere Sympathie empfinden zu lassen. Nichts für zarte Gemüter, aber entdeckenswert – ob auf DVD oder im TV.

ProSieben Mxx, zurzeit mittwochs und donnerstags abends nach 22 Uhr

Kein Sex-Appeal: „Inside Llewyn Davis“, der neue Film der Coen-Brüder

Er singt gut, spielt souverän Gitarre und ist mit Leib und Seele dabei. Er ist cool, hat mit dem Establishment nichts am Hut und trampt ohne festen Wohnsitz durchs Leben. Ein echter Künstler eben, ein Hobo und Bohemien. Nach dem Selbstmord seines Duopartners versucht Llewyn Davis (Oscar Isaac), aus der damals noch kleinen, kaum bekannten New Yorker Folkszene heraus eine Solokarriere zu starten. Doch leider fehlt dem von sich selbst so überzeugten jungen Barden einiges: das Gespür für die richtigen, zielführenden Connections etwa oder auch der Draht zum Publikum und ein gewisser Sex-Appeal – Qualitäten, mit denen eher die befreundeten Folkies Jim und Jean (Justin Timberlake, Carey Mulligan) gesegnet sind. Hinzu kommt, dass Llewyn Davis völlig orientierungs- und verantwortungslos ist. Er kennt nur sich und seine Musik. Mit all den flüchtigen Beziehungen, aus denen auch mal Schwangerschaften resultieren, und verschiedenen Joboptionen weiß er einfach nichts anzufangen. Bietet sich mal die kleine Chance, etwas zu erreichen oder auch nur geradezubiegen, läuft er Gefahr, diese Chance zu versauen.

Llewyn Davis ist ein Mensch, der an den widrigen Umständen, vor allem aber an sich selbst scheitert. Darin ist er ein typischer Coen-Brüder-„Antiheld“ – so wie Inside Llewyn Davis ein typischer Coen-Brothers-Film geworden ist. Schräge Typen und feine Ironie, lakonischer Witz, John Goodman und ein Sinn für absurde Situationen – es ist alles da, was man von Ethan und Noel Coen erwartet, auch wenn die beiden diesmal fast schon Jarmusch-/Kaurismäki-haft minimalistisch vorgehen. Ein Verliererporträt aus den Anfangstagen der Popindustrie, eine Hommage an all diejenigen, die es als Künstler nicht geschafft haben, das ist in Zeiten einer von Superstars und Castingshows, von Einschaltquoten, Klickraten und Umsatzzahlen geprägten globalisierten Unterhaltungsbranche eine feine Geste. Dass man ausgerechnet Teen-Idol und R&B-Superstar Justin Timberlake in die Rolle eines aalglatten Folk-Saubermanns steckt und dass eine Katze, die für all die verpassten oder selbst kaputt gemachten Chancen stehen mag, den teils zynischen Running Gag des Films bestreitet, gehört zu den skurrilen Einfällen, die sich die Coens eigentlich in jedem ihrer Filme leisten und für die man sie so liebt.

Schade nur, dass das begnadete Regiegespann seine erfundene Geschichte diesmal in einer ganz bestimmten Zeit und einem ganz bestimmten engen kulturellen Kontext verankert hat. Das weckt natürlich Erwartungen, gerade bei Musikliebhabern und -historikern. Und hier enttäuscht der Film auf ganzer Linie. Ein paar Liveszenen aus dem nachempfundenen berühmten „Gaslight“-Café, die Klamotten von damals, ein paar winterliche New Yorker Straßenzüge, die an das Plattencover von The Freewheelin’ Bob Dylan erinnern, und ein Auftritt von F. Murray Abraham als Managerguru Grossman reichen nicht, um hier echte Sixties-Szeneatmosphäre heraufzubeschwören. Ein Gefühl von „Ja, so könnte es damals gewesen sein“ stellt sich beim Anschauen des Films nicht ein, das Ganze wirkt trist und unterkühlt, fast schon emotionslos und eher holzschnittartig zusammengestellt. Der Jazz und die Beat-Poesie waren weitere künstlerische Strömungen, die die damalige Zeit oder zumindestens den kulturellen Underground bestimmten, ebenso Blues, Rockabilly und Rock ’n’ Roll. Blues, Rockabilly und Rock ’n’ Roll aber kommen in Inside Llewyn Davis überhaupt nicht vor, und Jazz und Beat-Poesie begegnen dem Helden wie dem Zuschauer lediglich als Klischees – auf einer Jack Kerouacs On the Road zitierenden bizarren Autofahrt von New York nach Chicago. John Goodman spielt da den exzentrischen Jazzmusiker Roland Turner, der sich symbolträchtig von einem – ho, ho – alles andere als eloquenten Beatdichter namens Johnny Five (Garrett Hedlund) chauffieren lässt und seine ganze Verachtung für das substanzlose Folkgenre artikuliert. Natürlich ist das witzig, Lacher sind garantiert, aber mit Blick auf die Zeitgeschichte handelt es sich letztlich um nicht mehr als billige Parodien. So wie auch Llewyn Davis am langen Ende eher peinlich wirkt und nur noch Kopfschütteln hervorruft.

Wirklich eintauchen in die Welt von damals wollen die Coen-Brüder nicht, und echtes Mitgefühl für ihren Protagonisten haben sie auch nicht. Dass gegen Ende des Films der damals noch unbekannte Bob Dylan lediglich im Bildhintergrund(!) die Bühne betritt und dann quasi aus dem Off vor sich hinnölt, ist zwar ein weiterer netter Gag, deutet aber auch an, was für ein spannendes Werk Inside Llewyn Davis hätte werden können, wenn sich die Coens ernsthaft mit der damaligen Szene auseinandergesetzt hätten. Es hätte ja gar keine moralinsauere Tragödie, sondern durchaus ein echter Coen-Brothers-Film werden können – so wie ihr atmosphärischer Streifen O Brother, Where Art Thou aus dem Jahr 2000, der gekonnt das Artifizielle mit echtem Zeitkolorit und wahrer Liebe zur Musik verbindet. Oder wie Woody Allens furiose fiktive Musikerbiografie Sweet and Lowdown, in der Sean Penn einen an Django Reinhardt angelehnten Gitarristen gibt. So bleibt Inside Llewyn Davis eine routinierte Fingerübung, ein kleines zynisches Kammerspiel – ein großer Coen-Brothers-Film ist es nicht. Es fehlen der Draht zum Publikum und ein gewisser Sex-Appeal. Der Soundtrack allerdings ist ganz ok.