Musikneuerscheinungen rezensiere ich für gewöhnlich nicht, aber bei diesem Album mache ich gern eine Ausnahme. Schließlich kommt es von einem kreativen Kopf aus der Region, der einiges an Beachtung verdient hat. Schon seit geraumer Zeit tüftelt Der Axiomator in kompletter Eigenregie an einnehmenden Tracks, die uns musikalisch zurück in die 1980er Jahre entführen. Genauer: ins gute alte Synthipop- und Elektronik-Universum, wie es von Gary Numan oder Human League, von Yazoo, Depeche Mode und Camouflage, von DAF, Visage und natürlich von Kraftwerk geprägt wurde. Der im positiven Sinn verrückte Einzelkämpfer verbindet die prägenden Elemente und Stilmittel dieser Zeit virtuos: federleichte Basssequenzen und laszive Waber-Grooves, lustige Computerstimmen und furztrockene Synthidrum-Schläge, monumentale Keyboard-Wände mit Dub-Effekten, dazu herrlich nervöse Zisch- und Zwirbel-, Kruschpel-, Knarz- und Fiep-Sounds. Ist das Retro? Ist das Oldschool? Oder einfach hemmungsloser Eklektizismus? Ich habe keine Ahnung. Aber es klingt verdammt gut.
Was Der Axiomator anders macht: Er arbeitet ausschließlich mit deutschen Texten und schert sich einen feuchten Kehricht um Songkonventionen. Statt konsequenter Strophe-Bridge-Refrain-Srukturen kreiert er oftmals lediglich Strophen- oder Refrain-Fragmente; statt anständig zu singen oder zu rappen, bedient er sich eines eigentümlich-charmanten Sprechgesangs; und statt klassischen Storytellings oder bilderreicher lyrischer Reflexionen bevorzugt er die Aneinanderreihung von absurden Thesen, ernsten Gedankengängen und werbespruchartigen Slogans. In Verbindung mit schrillen Synthiklängen entstehen dann gelegentlich munter vor sich hin pluckernde Tracks, denen man durchaus ein neues Label verpassen könnte: „Novelty-Electro“!
„Novelty Songs“ sind an sich nichts Neues. Grob gesagt, handelt es sich dabei um Unterhaltungssongs, die durch skurrile Texte, schräge Arrangements oder Gaga-Sounds derart mit der Konvention brechen, dass ein Schmunzel- oder Lacheffekt entsteht. Berühmte Beispiele: They’re Coming to Take Me Away, Ha-Haaa, natürlich Monster Mash, Charlie Brown oder der Babysitter-Boogie – mit dem unwiderstehlichen Babylachen nach jeder Strophe. Im Kontext klasse produzierter Elektronikmusik aber schafft der Axiomator hier durchaus etwas Eigenes. Wenn er im Titeltrack seines Debütalbums die intergalaktische Partnervermittlungsagentur Starship Punkt X O besingt, Slogan: „Wir vermitteln Aliens mit Niveau“, dann ist das ähnlich Novelty-Techno wie sein kleines, feines Drama um einen von Haarausfall geplagten Mann, der sich nur noch mit Toupet in die Disco traut (Fifi mit Klett), oder die paradoxe epische Zukunftsvision vom freien, intelligenten Roboterembryo, der sich – per Kabelschnur (sic!) mit Information und Energie gefüttert – anschickt, eine dem Untergang geweihte Menschheit hinter sich zu lassen.
Eigentlich ein bisschen gruselig, kommentieren Nutzer im Internet, und das nicht zu Unrecht. Tracks wie Roboterembryo unterstreichen denn auch, dass es dem Axiomator noch um mehr als nur einen feinen Klamaukeffekt geht. Die 11 Stücke von Aliens mit Niveau zeigen sich fasziniert von der Technik, benennen jedoch auch deren Gefahren und – vor allem – den großen Risikofaktor, den die Menschen mit ihren Schwächen in der Welt darstellen. Es sind überhebliche Menschen, die sich unnötig von unheimlichen Technologien abhängig machen; die in einer Mischung aus Konsumrausch und Profitstreben Berge von Elektroschrott produzieren; oder die Systeme entwickeln, die dann andere eitle Menschen wie Hacky, der Hacker zum Einsturz bringen. Da fragt man sich unwillkürlich: Sind wir Menschen nicht unbegründet eitel, eigentlich lächerliche Gestalten?
„Doch nichts bewegt den Mensch so sehr wie hormonell gesteuerter Verkehr“, resümiert Der Axiomator einmal eindeutig doppeldeutig in einer grotesken Auflistung von Reisezielen und Fortbewegungsmitteln. Was am Ende zwei Dinge bedeuten mag. Erstens: Der Mensch bildet sich nur ein, dass er die Kontrolle hat – denn größtenteils wird er nicht vom Intellekt, sondern von chemisch-biologischen Prozessen gesteuert. Und zweitens ist das erst mal gar nicht schlimm, sondern kann sogar Spaß machen und überaus lustvoll sein. Richtig tragisch aber wird es laut Axiomator, wenn nicht wenigstens ein kleines bisschen Vernunft vorhanden ist – wenn Leute völlig unmenschlich und kopflos agieren, so wie Großkotze, Hooligans, Neonazis. „Willst du mal nen Tipp, dann tipp dir an die Stirn, denn da wird etwas vermisst – ja, man nennt es Hirn“, ruft der Künstler solchen Aliens OHNE Niveau in einem ohrwurmigen Song-Coup namens Hirn zu, um dann im entspannt groovenden Einfach locker fast schon pädagogisch wertvoll hinterherzuschieben: „Wir alle haben es in der Hand, dass unser Leben etwas lockerer und lebenswerter wird. Wir alle!“ Da kippt das Novelty-Axiom fast in ein gestrenges Message-Axiom um. Und das ist Geschmackssache.
Aber: Hat er nicht irgendwie auch recht, unser Axiomator?
Fazit: Aliens mit Niveau ist alles andere als Elektroschrott – ein erstaunlich souveränes, abgeklärtes Elektronikwerk, das gekonnt mit der Tradition spielt und gerade textlich eigene Akzente setzt. Die beiden atmosphärischen Instrumentaltracks am Anfang und am Ende des Albums hatte ich noch gar nicht erwähnt – ebenso wie die coolen, professionellen Videos, die der Axiomator gleichfalls selbst produziert. Auch mit ihnen macht dieser kreative Querkopf Lust auf mehr.