Wenn man so will…
Immer wenn ich Ein Kompliment von Sportfreunde Stiller höre, „stolpere“ ich an derselben Stelle im Refrain: „Ich wollte dir nur mal eben sagen, dass du das Größte für mich bist / Und sichergehen, OB du denn dasselbe für mich fühlst…“ Ich stolpere, weil ich von Berufs wegen Korrektor/Lektor und deshalb ziemlich sicher bin, dass es „sichergehen, DASS“, nicht „sichergehen, OB“ heißen muss. Wieso? Ganz einfach: Man überprüft, OB etwas so und so ist – aber man geht oder stellt sicher, DASS etwas so und so ist. Da Ein Kompliment ansonsten ein wirklich wunderschönes Liebeslied ist, stelle ich mir immer wieder die Frage: Haben die „Sportis“, wie sie liebevoll schon auf HR3 und anderen Servicewellen genannt werden, hier einfach nur einen kleinen grammatikalischen Hänger?
Oder haben sie diese sprachlich Irritation sogar ganz bewusst auf das Gesamtbild hin eingebaut? Denn in Phrasen wie „Wenn man so will, bist du das Ziel einer langen Reise…“, „die Perfektion der besten Art und Weise“, „die Schaumkrone der Woge der Begeisterung“ oder „nur mal eben sagen“ offenbart sich ein reichlich unsicheres Song-Ich, das dem angesprochenen Du „irgendwie“ unbeholfen bis ungelenk pathetisch seine Liebe gesteht. In Verbindung mit dem eckig-naiven Gesangsstil ein charmanter Gegenentwurf zu all den zünftig rockenden Macho-Song-Ichs, die voll narzisstischem Selbstbewusstsein ihre Liebe und ihr Begehren in die Welt hinausröhren – da darf es auch mal sprachlich nicht ganz so korrekt formuliert sein…
Ich habe bis heute keine Antwort gefunden und freue mich über weiterhelfende Kommentare.
Überhaupt scheinen die „Sportis“ ein Faible für solche Zwiespältigkeiten zu haben. Auch ihr zweiter Dauerbrenner in den deutschen Serviceradios, Applaus, Applaus, hält für meine Begriffe einige Irritationen parat. In Applaus, Applaus, einem auf den ersten Blick ebenfalls lupenreinen Liebeslied, lobt das Song-Ich die Partnerin oder den Partner dafür, dass sie/er den Sprecher optimal „händelt“: „Ist meine Hand eine Faust, machst du sie wieder auf und legst die deine in meine / Du flüsterst Sätze mit Bedacht durch all den Lärm, als ob sie mein Sextant und Kompass wären.“ Das sind starke Bilder, auf die man als sprachbegeisterter Mensch neidisch werden kann – und die in der zweiten Strophe an Intensität noch getoppt werden: „Ist meine Erde eine Scheibe, machst du sie wieder rund, zeigst mir auf leise Art und Weise, was Weitsicht heißt / Will ich mal wieder mit dem Kopf durch die Wand, legst du mir Helm und Hammer in die Hand.“
Alle Achtung! Und doch horcht bei „Erde“, „Scheibe“ und „rund“ der blöde Lektor in mir wieder auf: Klar, ich verstehe, was gemeint ist: Es geht um Engstirnigkeit und den Blick fürs Ganze, versinnbildlicht durch den Konflikt zwischen der archaischen Haltung, die Erde sei flach, und der neuzeitlichen Erkenntnis, dass sie Erde eine Kugel ist. Aber: „Ist meine Erde eine Scheibe, machst du sie wieder rund“ scheint mir einmal mehr unsauber formuliert, denn auch eine Scheibe kann rund sein! Die „Sportis“ formulieren also nicht wirklich den Gegensatz zwischen einer flachen Erde und einer Welt in Kugelform, sondern erzwingen die Aussage mit Blick auf den Zeilenrhythmus eher ungelenk.
Eine weitere Irritation, und zwar hinsichtlich des Jargons, erfolgt für mich schließlich in den Refrainversen: „Applaus, Applaus, für deine Art, mich zu begeistern / Hör niemals damit auf! / Ich wünsch mir so sehr, du hörst niemals damit auf / Applaus, Applaus für deine Worte / Mein Herz geht auf, wenn du lachst / Applaus, Applaus für deine Art, mich zu begeistern / Hör niemals damit auf! / Ich wünsch mir so sehr, du hörst niemals damit auf.“
Mal ehrlich: Welcher und welche Liebende würde seinem/ihrem Partner Applaus spenden für seine/ihre Art, mit der geliebten Person umzugehen? Na? Wohl niemand. Applaus spendet man für eine Darbietung von Fremden – als Anerkennung einer Leistung, im Zirkus, im Fußballstadion, auf der politischen Bühne. Aber doch nicht in einer Liebesbeziehung! Was mich irritiert: Bei den „Sportis“ klingt es, als ob sich ein minderbemittelter Typ, der egoistisch seine Bedürfnisse und Triebe auslebt, seine sämtlichen Schwächen und Unzulänglichkeiten pflegt, zufrieden im Sessel zurücklehnt und genüsslich die Bemühungen seiner Lebensgefährtin bewertet. In meinen Ohren ein ziemlicher Schwachkopf.
Insofern stellt sich mir auch hier die Frage, ob es die „Stillers“ ganz einfach nicht so draufhaben mit den sprachlich wirklich runden Texten – denn das musikalische Arrangement von Applaus, Applaus ist an ernsthafter Romantik und Hymnenhaftigkeit eigentlich kaum zu überbieten; oder ob sie ganz bewusst einen unsicheren, selbstverliebten Beziehungskasper sprechen lassen, um ihn – in Form eines Rollen-Ichs – auf gewisse Weise bloßzustellen. Das hätte ja was.. Oder ob ich mir – wie meine Lebensgefährtin meint, die beide Songs mit gutem Recht einfach nur schön und gefühlvoll findet – schlichtweg zu viele unsinnige Gedanken mache…
Auch hier gilt: Ich habe bis heute keine Antwort gefunden und freue mich über weiterhelfende Kommentare.
Fest steht: Sowohl in Ein Kompliment als auch in Applaus, Applaus operieren die Sportfreunde Stiller mit Codes und Zeichensystemen, die letztlich nicht wirklich eindeutig sind. Was die „Sportis“ als Urheber sich bei diesem und jenem Song gedacht haben, haben sie nicht mittransportiert – sie haben Leerstellen gelassen; und was beim Publikum ankommt, das ist von der jeweiligen Gefühlslage, dem musikalischen Vorwissen und der Sozialisation einer jeden Hörerin, eines jeden Hörers abhängig.
Mit der Art und Weise, wie sprachliche und musikalische Codes funktionieren, wie wir einen Song im Wesentlichen wahrnehmen, beschäftigt sich auch der aktuelle Essay meiner Reihe „What have they done to my song?“ auf Faust-Kultur, nachzulesen unter: http://faustkultur.de/1327-0-Behrendt-What-have-they-done-to-my-Song-VII.html#.Uh_U1LzBI7A