Im Battle mit Klaus und Claudia? Peinlicher Bushido!

„Scheiße, leise sollst du sein, kleiner Stricher / Lächerliches Tröpfchen Pisse, hier kommt der Scheibenwischer / Ich entsicher’, spann’ und schieß’ / und mach dich weg, wie du hoffentlich siehst / Ich fließ’ wie ein Fluss, schieß’ wie ein Schuss, / bin positiv wie ein Plus und mache Schluss mit dem Frust / Also muss ich dich zerstör’n, kannste mich hör’n…“ Ein Rap-Text von Gewalt-Rapper Bushido? Nein, ein Rap-Text von der Frankfurterin Sabrina Setlur. In ihrem Stück Pass auf aus dem Jahr 1995 macht die im wahren Leben eher friedliche Ex-BWL-Studentin das, was viele Rapperinnen und Rapper traditionsgemäß gerne tun: Andere mit Worten attackieren, um sich selbst zum Besten, Größten, Härtesten zu stilisieren, was auf diesem Planeten gerade kreucht und fleucht.

Dissen aus Tradition

Die Wurzeln dieser textlichen Strategie liegen in Amerika, in Metropolen wie New York, wo vor einigen Jahrzehnten rivalisierende schwarze Jugendliche anfingen, ihre Konflikte nicht mehr mit Fäusten und Waffen, sondern mit Worten, in Form von Tänzen und über Graffiti, kurz: über den künstlerischen Ausdruck auszutragen. Es ging darum, auf verschiedenen Gebieten die eigenen „Skills“, also Fähigkeiten, zu testen und den jeweils Besten zu ermitteln. Der Wettkampfaspekt, die „Competition“ – gern auch zur „Battle“, zur „Schlacht“ stilisiert – war von Anfang an ein wichtiger Aspekt der Hip-Hop-Kultur. Textlich äußert sich das auch heute noch neben einem möglichst originellen und kreativen Sprachgebrauch häufig im Prahlen und im verbalen Niedermachen des Kontrahenten, im sogenannten „Dissen“. Nur so ist es zu verstehen, wenn der Rapper Kool Savas 2005 in Das Urteil seinen ehemaligen Weggefährten Eko Fresh, der ihn zuvor in einem Track namens Die Abrechnung „gedisst“ hatte, mit Worten wie diesen belegt: „Meinen Flow übertriffst du nicht, nach dem Part übergibst du dich / Was du machst ist nicht korrekt wie Behindertenwitze / Alles, was du schreibst, ist für mich nicht mehr als Kindergekritzel / (…) / Fuck mich ab und ich mach dir Dampf, zerstör dich voll und ganz / EK, lutsch meinen Schwanz!“

Setlur und Kool Savas benutzen ähnliche Bilder, fast schon Standardfloskeln, es geht um die Zerstörung des Kontrahenten, womöglich mit einer Schusswaffe – wobei ausgerechnet der Text von Sabrina Setlur noch „krasser“ wirkt als der ihres männlichen Kollegen. Letztlich aber sind beide Raps, so brutal und hasserfüllt sie daherkommen, gleichermaßen harmlos. Denn die Künstler, die sie vortragen, sind im wahren Leben nicht für Mord und Totschlag bekannt – ihre Texte bieten lediglich eine derbe Wettkampfrhetorik, die versucht, an Drastik immer noch einen draufzusetzen. Dass dabei auch schwulen- und frauenfeindliche Parolen gedroschen werden, finde ich persönlich ziemlich beknackt, gehört aber in einigen Rapper-Kreisen offenbar dazu. Es ist leider auch Alltag auf vielen Schulhöfen, wobei die Spanne des Gebrauchs solcher Parolen je nach persönlichem Hintergrund vom „Nicht wissen, was man da sagt“ über das „So reden, weil man irgendwo dazugehören will“ bis hin zum tatsächlichen Schwulenhass reicht. Hier haben wir, nebenbei, ein gesamtgesellschaftliches Problem und keins, das im Hip-Hop begründet liegt.

Drastische Fiktionen zwischen Spaß und Ernst

Warum bis heute nicht jeder zweite Rap-Song indiziert wird, hat verschiedene Gründe. Da ist die Flut an Songs, die nicht zu überblicken, geschweige denn zu bändigen ist und oftmals nur ein Nischenpublikum erreicht. Da sind der nachlässige Vortrag und der überladene Sound, der viele Texte erst beim zweiten, dritten Hören oder gar erst beim Mitlesen im Internet verständlich werden lässt. Und da ist die – unbewusste bis stillschweigende – letztliche gesellschaftliche Übereinkunft, dass Songs im Allgemeinen und Rap-Texte im Besonderen auch bei aller Drastik und Geschmacklosigkeit am Ende des Tages doch nicht mehr als Fiktionen sind.

Es sind vor allem Sprüche und Images, um die es im Rap geht. Nicht um eine Eins-zu-Eins-Übertragung der eigenen Gefühle und Taten in Songs, sondern um ein möglichst taffes Show-Ich und eine starke, „krasse“ Performance, die dem Künstler beim Publikum, aber auch bei Kolleginnen und Kollegen Respekt verschafft. Was nicht ausschließt, dass sich Rap-Lyrics auch mit gesellschaftlichen Realitäten beschäftigen. And the Beef Goes On heißt eine Dokumentations des Musiksenders MTV aus dem Jahr 2008. Darin ist zu hören, wie einige der umstritteneren deutschsprachigen Rappern ihre Arbeit charakterisieren. Von „verarbeiten“ und „widerspiegeln“ ist da die Rede und von einer eher „journalistischen“ Herangehensweise. „Armut, Arbeitslosigkeit, Kids ohne Perspektive, Viertel, in denen das Gesetz der Straße herrscht und wo Konflikte durch Gewalt gelöst werden“, fasst der Offkommentar zusammen, „davon berichtet Rap.“ Was der Rapper Fler folgendermaßen kommentiert: „Meinen Frust, den ich im Leben durchgemacht habe, und meine schlechte Zeit, die ich im Leben durchgemacht habe, verarbeite ich mit der Musik.“ Kool Savas: „Die Musik spiegelt eigentlich nur wider, was in dieser Gesellschaft abgeht.“ Azad: „Wir sind so eine Art Straßenreporter, die über die Dinge berichten, die Medien nicht berichten.“ Massiv: „Ich reflektiere die Straße. In diesem Moment sehe ich mich als Journalist der Straße.“ Ein Selbstverständnis, das weniger auf eine bedingungslose Identität von biografischem Ich und Song-Ich schließen lässt als auf die künstlerische, bearbeitende Umsetzung von dem, was „da draußen“ in der Welt vor sich geht.

Das bedeutet nicht, dass Rapper nicht auch mal „persönlichere“ Töne anschlagen – ihre Song-Ichs näher an ihr biografisches Ich heranrücken lassen. „Vater du verleugnest deinen Jungen“, rappt etwa Bushido in Reich mir nicht deine Hand, „Ich möchte dir nichts beibringen / Und ich nenne dich nicht Feigling, aber / Wegen dir war ich ein Heimkind.“ Das sind Verse, die nah dran sind an Bushidos eigener Lebensgeschichte mit einem Vater, der früh die Familie im Stich ließ, und mit Erfahrungen als Insasse eines Heims für schwer erziehbare Jugendliche. Im Hinblick auf das Verhältnis zwischen Song-Ich und Realität aufschlussreich ist, wie Bushido Reich mir nicht deine Hand in der MTV-Doku kommentiert: „Das war für mich auf jeden Fall einer der wichtigsten Songs, die ich bis jetzt gemacht habe. Diese Geschichte, die da erzählt wird, da weiß mein Vater von, meine Mutter weiß davon, und ich weiß davon. Natürlich trage ich das in die Öffentlichkeit. Aber im Endeffekt wissen wirklich wir drei, wie die Sache für uns gelaufen ist.“ Was heißt: Der Song bezieht sich durchaus auf persönliche Erlebnisse aus dem Leben von Anis Mohamed Youssef Ferchichi, der realen Person hinter dem Show-Ich Bushido. Aber in erster Linie erzählt er eine Geschichte – und die ist das Ergebnis künstlerisch bearbeiteter Erfahrung. Wie es wirklich war, das wissen nur die unmittelbar beteiligten Personen.

„Ich und schwulenfeindlich? Ich gebe doch nur wieder, was ich auf der Straße gehört habe“ Oder: Hinter der Authentizitätsfassade kann man sich prima verstecken

So verwundert es kaum, wenn die Macher von And the Beef Goes On zu dem Schluss kommen, dass es auch im Hip-Hop zu einem großen Teil um Show und Unterhaltung geht, um Entertainment! „Provozieren, schocken, übertreiben: Genau das ist es, was viele Rapper in ihren Tracks veranstalten“, hält der Offkommentar fest. „Es ist ein Spiel. Ein derbes Spiel, aber eben ein Spiel.“ Und die Szene bekräftigt. B-Tight: „Du kannst auch Sachen einfach ironisch meinen – sie hart sagen, aber ironisch meinen.“ Marcus Staiger, Chef des Szenelabels Royal Bunker: „Rap hat eben auch das Recht, Dinge zu dramatisieren und zuzuspitzen.“ Bushido: „Und dann spielst du mit der Musik, mit den Wörtern – mit der Sprache einfach auch.“ Kool Savas: „Rap ist teilweise maßlose Übertreibung.“ Staiger: „Sonst wär’s ja langweilig.“ Fler: „Es ist die Ironie. Ich nehme mich ja selber dabei nicht ernst. Ich achte darauf, dass meine Musik auch provoziert, weil’s alles Entertainment ist.“ Massiv: „Ich versuche, die Leute zu entertainen, ich versuche, sie zu unterhalten.“ Und noch einmal B-Tight: „Der Entertainment-Faktor, der ist ganz hoch.“

Aber genau dieses Oszillieren zwischen dem angeblichen Reporterblick, der Verarbeitung persönlicher Erfahrungen und dem unterhaltsamen krassen „Dissen“ anderer Menschen und sozialer Gruppen sorgt auch dafür, dass sich viele Gangsterrapper nicht festlegen lassen, dass eine Art Geheimwissen, bestimmte Codes etabliert werden, die nur Szene-Insider verstehen. Es ist zudem eine kunstvolle Fassade, hinter der man sich prima verstecken kann, à la: „Ich und frauenfeindlich, schwulenfeindlich oder gar gewaltverherrlichend? Wieso, ich hab doch nur wiedergegeben, was ich täglich auf der Straße höre. Das Ich im Text, das bin doch nicht ich!“ Oder einfach: „Danke für die Aufregung, kurbelt den CD-Verkauf an, aber ist doch alles nur Show!“ Die Frage ist, ob nicht auch die coolen Rapper, die sich mal als benachteiligte Opfer der Gesellschaft, mal als gutgelaunte Entertainer stilisieren und Respekt verlangen, eine Verantwortung für das tragen, was sie in ihren Texten von sich geben. Gibt es vielleicht doch Zusammenhänge zwischen dem Rap-Ich im Text und dem biografischen Ich des Künstlers, zum Beispiel durch Erfahrungen in kriminellen Milieus? Und: Wo hört die spielerische Geschmacklosigkeit auf? Wo wird wirklich eine Grenze zum nicht mehr Akzeptablen überschritten?

Böse Menschen haben keine Raps?

Die MTV-Doku entlastet deutschsprachige Gangsterrapper generell, und zwar mit den Worten: „Rapper sind keine Gangster. Sie rappen über Gewalt, aber leben sie nicht.“ Den Gegenbeweis liefern Rap-Subszenen, quasi Rap-„Parallelwelten“, in Deutschland, für deren Protagonisten schwerere kriminelle Handlungen zum Alltag gehören. Eine davon ist die Köln-Bonner Szene um Rapper wie Bero Bass und Xatar. Allein oder im Rahmen von Projekten wie La Honda erzählen sie in ihren Texten, wie sie sich auf der Straße behaupten, wie sie ihre Gegner plattmachen, Überfälle begehen, Haftstrafen absitzen oder Verrätern drohen, die allzu eng mit der Polizei kooperieren. Das ließe sich leicht als das eben beschriebene hip-hop-typische Prahlen, Protzen und kategorische Übertreiben abtun – wäre nicht Bero Bass vor einiger Zeit wieder in eine blutige Messerstecherei mit anschließendem Gefängnisaufenthalt verwickelt gewesen und hätte nicht Xatar nach ähnlichen Körperverletzungs- und Drogenhandelsdelikten im Dezember 2009 zusammen mit sieben weiteren Tätern bei Ludwigsburg einen Goldtransporter überfallen. Die Beute von 1,8 Millionen Euro blieb verschwunden, Xatar selbst wurde ein halbes Jahr später gefasst.

Und hier schließt sich der Kreis zu Bushido: Er blickt nicht nur auf ein Vorleben zurück, zu dem Körperverletzung, Drogendealereien, besagter Aufenthalt in einem Heim für schwer erziehbare Jugendliche und Gefängnis gehören, sondern soll auch aktuell Verbindungen zu Berliner Köpfen der organisierten Kriminalität haben. Hier haben wir es wieder, das unangenehme Oszillieren zwischen der nicht zu leugnenden künstlerischen Gestaltung im Rap, der Verfremdung, Zuspitzung, Übertreibung, bewussten Provokation auf der einen und klaren biografischen Bezügen auf der anderen Seite. Zwischen Wirklichkeit und Fiktion. Zwischen Ernsthaftigkeit und Koketterie. Da möchte man dem einen oder anderen Künstler schon mal Scheinheiligkeit unterstellen. „Warum ist es plötzlich cool, dass man früher Koks vertickt hat und sich mit Kalibern auskennt?“, wird Bushido, dessen Leben inzwischen verfilmt wurde, in einem Beitrag von Eric Leimann für http://www.viva.de/film.php?op=tv&what=show&Artikel_ID=62393 zitiert. „Ich empfehle das den Kids nicht, wenn ich sie persönlich treffe. Was ich mache, ist Kunst. In der Kunst ist manches überspitzt, und meine Rolle ist eben oft nur eine Rolle.’“

Bushido macht Stress – völlig ohne Grund

Und so kann sich Bushido auch in seinem umstrittenen neuen Song Stress ohne Grund erst mal prima hinter einer Rolle verstecken, die ganz bestimmt nicht seinem biografischen Ich entspricht. Denn der Sprecher in Stress ohne Grund scheint so etwas wie der Chauffeur einer erfolgreichen Geschäftsfrau zu sein, die er verachtet. Während sie in wichtigen Meetings sitzt, verbringt er die Wartezeit bis zum nächsten Fahrerjob und seine Freizeit mit halbseidenen Geschäften in ebenso halbseidener Gesellschaft. Das Ich feiert sich selbst als „Assi“ und zitiert genüsslich Frank Sinatra und Dean Martin, denen man einst eine Nähe zur Mafia nachsagte. „Peter-Pan-Syndrom, Bitch / Ich rauch Marlboro, Bitch / Du trinkst Aperol Spritz / Ich bin Fahrer, oh Bitch / (…) chill beim Geschäftsmeeting / Heartbreaker, Bartträger, steht in meinem Steckbrief / (…) / Ich bin Assi, aber dein Gesicht ist Asy- / -metrich, Bitch, du sammelst Briefmarken, ich sammel Kreditkarten / Yeah, Frank Sinatra chillt mit Dean Martin.“ Auffällig sind auch die ersten Worte des Raps, „Peter-Pan-Syndrom“. Mit diesem Begriff beschrieb der amerikanische Familientherapeut Dan Kiley „Männer, die nie erwachsen werden“ – und er dient Bushido hier offenbar als Mittel, seinen Song gleich im ersten Vers zu verharmlosen. So als wolle er sagen: „Ist doch alles nur ein Spiel, ich bin doch bloß ein dummer Junge, der nicht erwachsen werden will und sein Song-Ich noch mal ordentlich auf die Kacke hauen lässt.“

Vor diesem Hintergrund heißt es dann in Stress ohne Grund, übrigens eine Phrase, die man schon aus früheren Songs von Bushido alias Sonny Black kennt, über einen realen Rivalen, den Rapper Kay One, mit einem Seitenhieb auf den Bürgermeister von Berlin: „Halt die Fresse, fick die Presse / Kay, du Bastard bist jetzt vogelfrei / Du wirst in Berlin in deinen Arsch gefickt wie Wowereit“. Weiter geht es gegen Nordeuropäer, Spaßmoderatoren und zwei weitere führende Köpfe aus der Politik, die Grünen-Politikerin Claudia Roth und Serkan Tören, den integrationspolitischen Sprecher der FDP: „Du versteckst dich, doch ich finde dich wie Google Maps / Ich verkloppe blonde Opfer so wie Oli Pocher / Ich mach Schlagzeilen, fick deine Partei / Und ich will das Serkan Törun jetzt ins Gras beißt / Yeah, Yeah, was für Vollmacht?, du Schwuchtel wirst gefoltert / Ich schieß auf Claudia Roth, und sie kriegt Löcher wie ein Golfplatz.“

Songs sind keine Bekennerschreiben – aber ernstzunehmende Kunst hört sich anders an

Ganz klar: Songs sind keine Pressemitteilungen, keine öffentlichen Bekanntmachungen und Verlautbarungen, auch keine terroristischen Bekennerschreiben oder Bekennervideos. Songs sind mehr oder minder kunstvolle künstlerische Gebilde, angesiedelt im Bereich der Fiktion, der Bearbeitung von Erfahrungen und von Welt. Insofern gehen die erschütterten Stellungnahmen, die angesichts von Bushidos Song Stress ohne Grund von einer ernstzunehmenden Todesdrohung und vom definitiven Aufruf zum Mord sprechen, entschieden zu weit. Es wäre schön, würden Staatsanwaltschaften verstärkt mit Soziologen, mit Kunst-, Kultur- und Literaturwissenschaftlern zusammenarbeiten, um zu besonnenen Einschätzungen umstrittener „Kunstwerke“ zu gelangen. Wohin Zensur führen kann, ist hinlänglich bekannt. Nichtsdestotrotz ist Stress ohne Grund an Dumpfheit und pubertärem Schwachsinn kaum zu überbieten. Von der Verantwortung, die ein Künstler trägt für das, was er als Kunst präsentiert, ist hier keine Spur. Dass ausgerechnet einer wie Bushido, der inzwischen Familienvater, reicher Geschäftsmann und vom gesellschaftlichen Establishment hofierter Künstler ist, dazu ein Praktikum im Bundestag absolviert hat, noch einmal in die Rolle eines dumpfe Parolen schwingenden Asso-Kriminellen schlüpft, ist absolut unlustig, zudem unglaubwürdig, auch wenn an den Verbindungen zur organisierten Kriminalität etwas dran sein sollte. Ich würde sagen: im Praktikum nichts gelernt, Credibility ver-„spielt“.

Seine Rapperkollegen zu dissen, ist das eine. Aber das drastische Rap-Spiel völlig grundlos und ohne Argumente auf führende Politikerpersönlichkeiten zu übertragen, entbehrt jeder Grundlage. Will er Claudia Roth, Klaus Wowereit und Serkan Tören zur Hip-Hop-„Battle“ einladen? Dann kann er lange warten. Falscher Code. Und: Echte Sozialkritik und Diskussionsbeiträge zur Integrationspolitik sehen anders aus. Klaus Wowereit wäre gut beraten, nicht mit einer Strafanzeige zu reagieren, die doch Bushido nur noch mehr Publicity und ihm selbst weitere unliebsame Diskussionen beschert. Er sollte andere, intelligentere Mittel und Wege finden, dem Herrn Gangsterrapper aufzuzeigen, wie lächerlich seine Kunstfigur wirkt, wie unglaubwürdig er sich selbst in der eigenen Szene macht und wie künstlerisch wertlos seine Tiraden eigentlich sind.

Eine ausführlichere Fassung dieses Beitrags mit weiteren O-Tönen aus der Hip-Hop-Szene und Links zu Videos findet sich bei Faust-Kultur.

 

 

Kunstfiguren müssen nicht aufs Klo

Der Helene Fischer geht’s nicht gut. Manchmal versagt schon ihre Stimme, das werden doch nicht Anzeichen eines Burn-outs sein? Der arme Jürgen Marcus – Eine neue Liebe ist wie ein neues Leben – musste gerade Insolvenz anmelden, weil die bösen Bewohner seines Hauses einfach keine Miete mehr zahlen wollten. Oder Costa Cordalis: Lässt sich regelmäßig die Falten wegspritzen und erlitt erst neulich in Chemnitz einen Schwächeanfall, natürlich auf der Bühne. Wolfgang Petry wiederum, einst schwarzgelockter Meister des Schnauzbarts, Herr der schweißgetränkten Freundschaftsringe, trägt heute kaum noch Haar im Gesicht – oh Schreck! Ein Schatten seiner selbst… und dabei eigentlich viel sympathischer als früher. Sympathischer auch als der durchgeknallte Jürgen Drews, von dessen grenzdebilen Interviews wir erst gar nicht reden wollen.

Fest steht: Die Schlagerstars von einst und heute beherrschen immer wieder und immer noch klammheimlich die Medien. Und nirgendwo sonst wird die Diskrepanz zwischen dem jahrelang gepflegten Show-Ich, den aufregenden Song-Ichs und den biografischen Ichs, die den tristen Alltag kaum zu meistern vermögen, deutlicher sichtbar als bei ihnen.

Gewissermaßen zu den Vätern dieses Konflikts gehört ein gewisser Gerd Höllerich. Dem  ehemaligen BWL-Studenten sagte man eine große Unausgeglichenheit nach, und sein überraschender Tod im Jahr 1991 war von Selbstmordgerüchten umweht. Zuvor hatte Höllerich als Schnulzensänger „Roy Black“ jahrzehntelang Frauenherzen betört. „Silke Höllerich“, so das Internetlexikon Wikipedia unter Berufung auf ein Buch der Ehefrau, „beschreibt ihren Mann als einen einerseits phasenweise sehr empathischen, liebevollen Menschen, andererseits als paranoiden, geizigen Egozentriker, der seine Frau vor anderen lächerlich machte, sie betrog, keine Beziehung zu seinem Sohn Torsten aufbauen konnte und im Alltag von seiner Familie und seinem Freundeskreis dieselbe Verehrung erwartete wie von seinem Publikum. Zeit seines Lebens soll Roy Black Probleme gehabt haben, die Gratwanderung zwischen seiner Rolle, dem Produkt ,Roy Black’, und seinem privaten Ich, Gerd Höllerich, zu bewältigen.“ Der Filmproduzent Karl Spiehs wird mit folgender Höllerich/Black-Anekdote zitiert: „Er riss gerne Witze über sich selbst, vor allem wenn er sich unglücklich fühlte. Sein Lieblingswitz: ,Wie bekommt man das Gehirn eines Schlagersängers auf Erbsengröße? – Einfach aufblasen!’“

Fischer, Marcus, Petry, Black & Co sind auf der Bühne und in der Öffentlichkeit lediglich Kunstfiguren. Diese Kunstfiguren haben keine Alltagsprobleme. Sie gehen nicht einkaufen, sie kochen nicht. Und sie müssen auch nicht aufs Klo. Genauso wenig wie Kid Rock, Willie Nelson oder Wolf Maahn. Die können sogar in TV-Serien auftreten und dort des Mordes verdächtigt werden, ohne irgendwelchen Schaden zu nehmen. Mehr dazu in „Bata, Michael, Michaela und ich – Wer spricht eigentlich im Song?“, der neuen Folge meiner Essay-Reihe „What have they done to my song?“ auf Faust-Kultur: http://faustkultur.de/1222-0-Behrendt-What-have-they-done-to-my-Song-VI.html#.UdXanFOPqt8