So unsexy, sexy zu sein

„Ich kann mich nicht daran erinnern, dich zu vergessen“, singen Shakira und Rihanna in ihrem aktuellen Hit, Can’t Remember to Forget You. Das ist eine ziemlich umständliche Art zu sagen: „Ich kann (oder ich werde) dich niemals vergessen“ – aber der Reiz der Formulierung liegt natürlich im Spiel mit dem scheinbar Paradoxen, der lustvollen Verquickung von Gegensätzen, die sich eigentlich ausschließen. Ein beliebtes Spielchen in Songlyrics, wobei man manchmal den Eindruck hat, dass der Songtext überhaupt erst von einem solchen Effekt inspiriert beziehungsweise nur auf diesen Effekt hin geschrieben wurde.

Zum Beispiel Huey Lewis & The News: Die sangen einst grinsend: „It’s hip to be square“ („Es ist hip, spießig zu sein“) und umgaben den im Grunde blödsinnigen Spruch mit ein paar selbstironische Gedanken zum Älterwerden, à la: Da schau her, auch die, die in ihrer Jugend mal ganz schräg drauf waren, passen sich irgendwann an. Ähnlich tröstlich, wenn auch genau in die entgegengesetzte Richtung, äußert sich Jesse J in Who You Are, wenn sie beteuert: „It’s okay not to be okay.“ Überall Anforderungen und Zwänge, die einem, wenn man ein bisschen anders ist, leicht ein schlechtes Gewissen verursachen. Aber nicht verzagen, so Jesse J, versuch einfach, dir selber treu zu bleiben. „Anders ist das neue gleich“ gewissermaßen.

Etwas krasser auf der Selbstbehauptungsschiene fährt die Hardrockband Poison mit ihrem Song Bad to Be Good: „You gotta be bad to be good“, heißt es da, ”in the dead of the night“ – womit ganz offenbar das Zurechtkommen und Überleben in einer von Dealern, Dieben und Straßengangs beherrschten Umwelt gemeint ist. Ein böser, besser: taffer Junge sein, um etwas Gutes zu erreichen – das schätzen auch die Rockerkollegen von Whitesnake, wenn sie singen: „Sometimes it’s good to be bad.“ Anders als bei Poison geht es bei Whitesnake aber nicht um taffes Auftreten in einer feindseligen Umgebung, sondern schlichtweg um die Lust auf Sex. Der Vers im Kontext: „Anytime you got love on your mind / Babe I got news for you / All I’m gonna say: / Sometimes it’s good to be bad / Bad to the bone.“

So geht das munter weiter in Songtexten. Man denke sich ein sprachliches Gegensatzpaar, und schon finden sich irgendwelche Lyrics, in denen beide Begriffe mehr oder minder geschickt ineinander verwurschtelt werden. Langsam/Schnell? Kein Problem: „Sometimes the fastest way to get there is to go slow“, beschwört uns die Dänin Tina Dico in ihrem wunderschönen Selbstfindungssong Count to Ten. Gewinnen/Verlieren? Aber klar doch: „I went out on a limb again / Guess I had to lose to win.“ Das gesteht uns „Harry Potter“-Darsteller Freddie Stroma in einem Song namens Knockin‘, während Fantasia Barrino, Gewinnerin der dritten Staffel von „American Idol“, der US-Variante von „Deutschland sucht den Superstar“, schmachtet: „Have you ever needed someone so bad / But he ain’t willing to make it last / Sometimes you got to lose to win again.“ Ja, manchmal muss man eben einen schlimmen Partner verlieren, um eine neue Liebe zu gewinnen. Oder, um es mit der Australierin Sia Furler, Solokünstlerin und Songwriterin unter anderem für Rihanna (Diamonds), zu sagen: „It has to end to begin“ (aus dem Song Numb). In jedem Verlust steckt ein Neuanfang. Krise als Chance. Ja, im Lovesong ist man gerne glücklich, so unglücklich zu sein.

Apropos Lovesongs: Am ehesten bietet sich hier natürlich das Spiel mit dem Gegensatzpaar Lieben/Hassen an. Ganz vorn mit dabei ist einmal mehr Rihanna, die in Hate That I Love You hadert: „But I just can’t let you go / And I hate that I love you so.“

Ich hasse es, dich zu lieben. Yo!

Aber das geht doch bestimmt auch andersrum, oder? Klar doch, wie Erasure zeigen. In einem ihrer Klassiker aus den frühen Neunzigern schildern sie eine etwas merkwürdige Beziehungskonstellation. „Und die Liebhaber, die du mir schicktest / Kamen leider ohne Befriedigungsgarantie / Also schicke ich sie zurück an den Absender / Mit folgendem Vermerk: / ‚Wie ich es liebe, dich zu hassen’…“ Im Original: ”And the lovers that you sent for me / Didn’t come with any satisfaction guarantee / So I return them to the sender / And the note attached will read: / ‚How I love to hate you’…“

So rätselhaft das auch klingt, das Synthipop-Juwel samt Video macht einen Heidenspaß. Und wer will, kann in folgenden Versen aus der ersten Strophe auch einen Hinweis auf die Gaudi erkennen, die Vince Clark und Andy Bell beim Verfassen des Songs gehabt haben müssen: „Love and hate, what a beautiful combination / Sending shivers up an down my spine.“ Ähnlichen Spaß sollen Rihanna und Shakira beim Dreh des Videos zu Can’t Remember to Forget You gehabt haben. Da räkeln sich die beiden leicht bekleideten Superstars dermaßen bescheuert in „Ruf! Mich! An!“ und „Nimm mich!“-Posen um die Wette, dass man nur konstatieren kann: Es ist so unsexy, sexy zu sein.

 

 

The Bombastics: (Song-)Spaß muss sein

Der vollschlanke Herr am Kontrabass ergeht sich in seltsamsten Verrenkungen, die nicht minder füllige Akkordeonistin würzt ihr präzises Spiel mit grotesken Tanschritten und unvergleichlichem Minenspiel. Der hagere Frontmann schließlich gibt mit elektrisch verstärkter Mandoline nichts weniger als den lässigen Voodoopriester. Der langsam, aber stetig vorwärtswalzende Song The Water Is weg spinnt um das blues- und rocktypische Motiv des ausgetrockneten Flussbetts eine Deutsch und Englisch mischende Nonsense-Geschichte, die das Publikum Tränen lachen lässt.

Da stellt eine gewisse Sabine fest, dass sie kein Wasser mehr hat, und macht sich auf die Suche: „You got to tell me, baby: Where is the water hin?“ Auf ihrer Suche trifft sie das Meer, nur um festzustellen: „There’s no water weit und breit“. Und das Meer? Entgegnet trocken: „Sabine, you’re goddamn right!“

Dieser Coup, der schon 2011 bei „Kein Lied für Germany“ zu bewundern war, stammt von den wunderbaren Bombastics, einem Clown-Trio, das schon jahrelang tourt – das wir aber erst letzten Samstag im Offenbacher Theateratelier Bleichstraße 14 h kennengelernt haben. Clowntrio? Das klingt nur im ersten Moment nach angestaubter Alternativkultur, nach einer längst überholten antiautoritären Kunstpädagogik für eine selbst ernannte freie Szene. Nein, die Bombastics, die man auch für Privatveranstaltungen mieten kann und die – sehr sympathisch – sogar für Kinderstationen im Krankenhaus spielen, sind in Zeiten von Megastars, von Casting-Shows und Justin Bieber aktueller denn je. Zumindest liefern sie ein erfrischendes Kontrastprogramm.

Songs heute haben viel mit prägnanten Bildern und einer schwülstigen Rhetorik zu tun, die Song-Performance lebt von großen und übergroßen Gesten, von der narzisstischen Inszenierung bis an die Grenzen des Erträglichen. Die Bombastics rücken hier einiges wieder gerade, parodieren gnadenlos Genres, Posen und fade Texte. Das geht weit über das hinaus, was einst ein Weird Al Jankovic mit seinen arg offensichtlichen Parodien auf berühmte Hits – etwa Like A Surgeon auf Madonnas Like A Virgin – im Schilde führte. Die Bombastics lassen Blues, Rock, Jodler, Polka, Punk, italienischen Schlager oder Bucovina-Sound auf groteske Weise zusammenfließen und machen sich dabei so gekonnt zum Affen, dass am Ende ein Augen und Ohren öffnendes Programm entsteht – Publikumsbeteiligung inklusive. Wer Zeit und Lust hat: Am 21, Februar treten die Bombastics noch einmal im Offenbacher Theateratelier Bleichstraße 14 h auf.

Wie man sich als Rockstar selbst gekonnt zum Affen macht, das beweist nicht nur das durchgeknallte französische Duo Daft Punk, das bevorzugt mit übergroßen Motorradhelmen auf den Köpfen auftritt. Über Peter Licht zurück bis zu den Residents und von dorthin noch weiter zurück bis zu Bob Dylan reicht das Spektrum der Künstler, die sich kunstvoll vor dem Publikum lächerlich gemacht haben und immer noch lächderlich machen. Freilich steckt dahinter meist keine parodistische Absicht wie bei den Bombastics, sondern eher das Bestreben, eventuelle Rückschlüsse von den Songinhalten auf ihr Prvatleben schon im Keim zu ersticken. Dass viele Rockstars überhaupt nicht gerne von sich selbst singen, unterstrich einst Peter Gabriel, der einen Song von Vampire Weekend coverte, in dem sein Name fällt. In seiner Version fügte Gabriel flugs einen Vers hinzu: „And it feels so unnatural to sing your own name.“ Mehr über die Versteckspiele berühmter Songwriter in Folge 10 meiner Reihe „What have they done to my song?“ auf Faust-Kultur: http://faustkultur.de/1602-0-Behrendt-What-have-they-done-to-my-Song-X.html#.UvlJUl7HQ7A