„Hello…“ Hier kommt nicht Lionel Richie, sondern mein erster Eintrag auf tedaboutsongs. Gleich zu Beginn der Hinweis auf eine Serie von längeren Beiträgen zum Thema Songs, die zeitgleich auf dem Kulturportal www.faust-kultur.de startet. Was wäre, wenn das Leben eine Quentin-Tarantino-Film wäre?, so lautet meine Ausgangsfrage dort. Antwort: Dann würden sich nicht nur Gangster, sondern auch Fußballnationalspieler angeregt über Songs austauschen. Zum Beispiel über Bettina von Fettes Brot. Und vielleicht würden dann Songs auch seltener in die Fänge ignoranter PR-Berater geraten. Mehr dazu hier.
Ein weiterer schöner Aufhänger für diesen ersten Blogeintrag: die MTV Europe Music Awards, gestern Abend in Frankfurt. Erfreulich, dass mit Tim Bendzko ein Künstler als Best German Act ausgezeichnet wurde, der deutsch singt und nicht englisch. Der Endzwanziger aus Berlin fuchtelt mal mehr, mal weniger kunstvoll, aber immer spektakulär mit Worten herum und verschafft sich mit eigenwilliger Stimme und eingängigen Melodien Gehör.
Wenn Worte meine Sprache wären heißt einer seiner Hits aus dem Jahr 2011. Er schildert nicht unbedingt tief empfundenen Liebesschmerz, sondern spielt vor allem mit dem altbekannten „Words“-Motiv. Denn das Paradox, dass das Song-Ich ebenso wortreich wie eloquent mitteilt, einfach keine Worte zu finden oder finden zu wollen, um seine Liebe auszudrücken, das gab es in der Songgeschichte schon das eine oder andere Mal. Man denke nur an Words von F. R. David oder Enjoy the Silence von Depeche Mode. Wesentlich Neues fügt Bendzko eigentlich nicht hinzu. Immerhin gelingt es ihm, das altbekannte Motiv nicht nur höchst verschwurbelt zu präsentieren, sondern auch mit einigem Pathos aufzuladen. „Wenn Worte meine Sprache wären“ – auf diesen larmoyanten Unsinn muss man erst einmal kommen. Denn erstens führt sich die Phrase „Wenn Worte meine Sprache wären“ selbst ad absurdum, weil sie ohne Worte nicht existieren würde – und zweitens wirkt sie auch nicht wirklich sauber formuliert. Denn Worte an sich können keine Sprache sein, sondern sind immer nur Bestandteile, Strukturelemente einer Sprache.
Okay, das Ganze ist natürlich bildlich gemeint, im Sinne von: „Wenn ich mich so ausdrücken könnte, dass ich in jeder Situation die richtigen Worte finde.“ Aber es wirkt eben auch ein wenig schief und überladen. Trotzdem: Die Phrase kommt gut, sie klingt „poetisch“, irgendwie interessant, und sie weckt Neugier: Man bleibt hängen, will wissen, was dahinter steckt. Der Rest der ersten Strophe erschließt sich dann sehr schnell. Das Song-Ich verfügt nicht über ausdrucksstarke, verführerische Worte und kann die geliebte Person immer nur mit Blicken fixieren – es hat Angst, sie anzusprechen: „Wenn Worte meine Sprache wären, / ich hätt dir schon gesagt / in all den schönen Worten, / wie viel mir an dir lag. / Ich kann dich nur ansehen, / weil ich dich wie eine Königin verehr. / Doch ich kann nicht auf dich zugehen, / weil meine Angst den Weg versperrt.“
Auch wenn die Vergangenheitsform im Vers „wie viel mir an dir lag“ dem Reim geschuldet scheint und damit etwas verunglückt wirkt (man darf doch wohl davon ausgehen, dass die Zuneigung auch in der Gegenwart besteht!), bringt Bendzko sein Motiv ganz nett auf den Punkt. Im Refrain wird das Motiv dann noch einmal „wörtlich“ formuliert: „Mir fehlen die Worte, ich / hab die Worte nicht, / dir zu sagen, was ich fühl’. / Ich bin ohne Worte, ich / finde die Worte nicht, / ich hab keine Worte für dich…“
Auf die zweite Strophe und den zweiten Refrain folgt ein Zwischenteil, in dem Bendzko die Lyrics-Maschine noch einmal kräftig befeuert. „Du bist die Erinnerung an Leichtigkeit, / die ich noch nicht gefunden hab“, singt er gleich zu Beginn und stellt damit ein weiteres Paradox in den Raum. Denn erinnern kann man sich nur an etwas, das man einmal gehabt bzw. gekannt hat – nicht aber an etwas, das man noch nicht gefunden hat. Ob hier ein tiefgründiger Philosoph am Werk ist, der bewusst mit Paradoxien arbeitet, oder lediglich ein junger Songwriter, der gute Ansätze zeigt, aber noch ein wenig üben sollte, muss jede Hörerin, jeder Hörer für sich selbst entscheiden. Die übrigen Verse – „(Du bist) der erste Sonnenstrahl / nach langem Regen, / die, die mich zurückholt, / wenn ich mich verloren hab. / Und wenn alles leise ist, / dann ist deine Stimme da“ – sind Zeilen, die auch aus einem Poesiealbum stammen könnten.
Gegen Ende des Songs überrascht Bendzko dann doch noch mit einem kleinen originellen Dreh: „Ich weiß, es dir zu sagen, wär nicht schwer, / wenn Worte meine Sprache wären. / Dir’n Lied zu schreiben, wäre nicht schwer, / wenn Worte meine Sprache wären.“ Bei F. R. David hatte das Ich ebenfalls keine Worte, konnte stattdessen aber ein Lied schreiben, um seine Liebe zum Ausdruck zu bringen: „Well, I’m just a music man / Melodies are so far my best friend.“ Hier dagegen behauptet das Ich, nicht einmal das zu können. Und das ist mit Blick auf den Songautor Tim Bendzko, der – man nehme Nur noch kurz die Welt retten – noch wesentlich schönere, spannendere Lieder als Wenn Worte meine Sprache wären auf Lager hat, natürlich Koketterie in Vollendung.