Zum Tod des wunderbaren Kontrabassisten Danny Thompson
Der Begriff des kreativen Grenzgängers ist irreführend. Denn die Persönlichkeiten, die man gern als kreative Grenzgänger ehrt, balancieren auf keiner Grenze. Sie überschreiten auch keine Grenzen. Nein, sie kennen schlicht keine Grenzen. Sie fühlen sich einfach überall zu Hause. Was für andere Menschen verschiedene Welten sind, ist für sie ein riesiger Kosmos mit unendlich vielen Facetten. Vielleicht spricht man eher von kreativen Kosmopoliten.
Einer von ihnen war Danny Thompson. 1939 in eine Bergarbeiterfamilie geboren, wurde er schon früh durch zwei Brüder seines Vaters, die in einer Blaskapelle spielten, an die Musik herangeführt. Nachdem der Vater im Krieg gestorben war, zog die Familie mit dem sechsjährigen Danny nach London, wo er mehrere Instrumente erlernte, darunter Posaune. Schließlich entdeckte er seine Liebe zum Kontrabass, die ihn so sehr packte, dass er sich im Alter von 13 Jahren sein erstes Instrument selbst zusammenbaute – der Legende nach aus einer Teekiste und „zufällig gefundenen“ Klaviersaiten. Den Einfluss der Posaune meinten Kritiker in seinem späteren Bassspiel noch herauszuhören.
Mit Anfang/Mitte zwanzig startete Danny Thompson das, was eine Ausnahmekarriere werden sollte. Er spielte in der Band des Jazz-Saxofonisten Tubby Hayes, schloss sich Alexis Korner’s Blues Incorporated an und gehörte schließlich, 1967, zu den Gründungsmitgliedern von Pentangle, jener britischen Band, die mühelos klassischen Folk mit Jazz mischte. Dass Thompson nebenbei noch Teil eines Trios um den späteren Jazzrock-Giganten John McLaughlin (Gitarre) war, schien nur folgerichtig. Blues, Jazz, Folk und natürlich auch Rock – die Kritik der jeweiligen Puristen scherte Danny Thompson wenig. Er spielte, was und mit wem er wollte. Und diese Einstellung katapultierte ihn in die unterschiedlichsten musikalischen Sphären.
In den Siebzigerjahren durchlebte der längst hochgeschätzte Saitenzauberer schwierige Phasen, war eng verbandelt mit genialen Sonderlingen wie John Martyn und Nick Drake, der 1974 an einer Überdosis Antidepressiva starb, und verfiel dem Alkohol. Ab den Achtzigern, wieder gefestigt, veröffentlichte Danny Thompson auch eigene Stücke und wirkte verstärkt auf Alben von Stars der unterschiedlichsten Genres mit. Nur selten waren Vertreter der leichteren Popmusik darunter, so wie Cliff Richard und Rod Stewart – meist handelte es sich um eigenwillige Künstlerinnen und Künstler, die genauso visionär und experimentierfreudig arbeiteten wie er selbst. Talk Talk, David Sylvian, Peter Gabriel, Shelleyan Orphan und Kate Bush sind nur einige der vielen Größen, die sich seine Dienste sicherten, über Peter Gabriels Real-World-Label wirkte er auch an Weltmusikprojekten wie The Blind Boys of Alabama und S. E. Rogie mit.
Dass Danny Thompson ein Virtuose auf seinem Instrument war, versteht sich von selbst. Darüber hinaus entwickelte er einen wiedererkennbaren eigenen Sound, eine beinahe poetische und immer wieder sehr melodische Spielweise, dazu die Fähigkeit, die Musik, an der er mitwirkte, in sich aufzunehmen und gleichzeitig mit seiner Persönlichkeit zu bereichern. Danny Thompson gehörte nie zum Heer der letztlich austauschbaren Studiomucker, sondern war stets der seelenverwandte Begleiter: ein kongenialer Künstler, von dem man wusste, dass er eine Produktion mit seinem Bassspiel auf die nächsthöhere Ebene heben würde. Man hört es auf vielen Aufnahmen – dieser Bass, von seinem Hüter liebevoll auf den Namen Victoria getauft, ist mehr als ein lediglich dienendes Instrument, Thompson spielt ihn wie ein Soloinstrument, jedoch ohne sich unangenehm in den Vordergrund zu drängen. Eine Kunst, die wenige beherrschen.
Am 23. September ist Danny Thompson im Alter von 86 Jahren gestorben. Mit ihm verliert die Welt einen großen Musiker, dem Weggefährtinnen und -gefährten immer auch ein ebenso großes Herz bescheinigt haben.