Große Ich-Show eines Show-Ichs: Robin Thicke und „Paula“

Wer zum Teufel ist Paula? Die 2000 an einer Überdosis Heroin gestorbene britische TV-Moderatorin Paula Yates? Die amerikanische Hit-Songschreiberin und Choreographin Paula Abdul? Oder die deutsche Sex-Talkerin und -Kolumnistin Paula Lambert? Fakt ist: Paula heißen viele interessante Frauen. Nur will uns der im letzten Jahr mit dem Monsterhit Blurred Lines berühmt gewordene US-Crooner Robin Thicke weismachen, mit Paula sei unmissverständlich seine Noch-Ehefrau Paula Patton gemeint, die sich Anfang dieses Jahres von ihm trennte.

Paula ist der Titel von Thickes neuem Album. Es enthält eine Flut von Selbstkasteiungen und Selbstbezichtigungen, von Entschuldigungen und Beschwörungen gegenüber einem nicht näher gekennzeichneten Du, das unbedingt zurückgewonnen werden soll. Und selten zuvor hat ein Künstler in der Öffentlichkeit so explizit, so aufdringlich und so exzessiv darauf bestanden, dass nur eine bestimmte Person mit dem Du in den Songtexten gemeint sei. Bei Konzerten in den letzten Monaten wurde Thicke nicht müde zu erzählen, wie sehr er unter der Trennung leide, und während seines Auftritts im Rahmen der „BET Awards“ widmete er den Song Forever Love ausdrücklich seiner Frau Paula Patton. Um auch die letzten Zweifler zu überzeugen, wurde gegen Ende der Darbietung sogar noch ein Bild des Paares mit der Überschrift „Paula“ auf eine Leinwand projiziert.

So weit, so eindeutig? Nur bedingt. Denn in sämtlichen Titeln und Lyrics des Albums werden keine konkreten Namen genannt. Und statt eindeutiger „historisch“ festmachbarer Eckdaten werden pausenlos Lovesong-Platitüden, vage Erzählungen und mal mehr, mal weniger fantasielose Bilder aneinandergereiht, die sich auf der Öffentlichkeit bekannt gewordene Begebenheiten aus Thickes Leben beziehen KÖNNEN, aber nicht MÜSSEN. Forever Love, Still Madly Crazy, Get her Back, Love Can Grow Back – heißen so oder ähnlich nicht auch Millionen anderer Hits? Natürlich wäre es unsinnig zu behaupten, dass ein Song niemals mit dem realen Leben und den persönlichen Gefühlen eines Künstlers oder einer Künstlerin zu tun haben kann. Zweifellos inspirieren einschneidende Erfahrungen auch Songwriter zu bewegenden Werken. Aber für gewöhnlich verändern sie in den Lyrics einzelne Details, verschleiern Bezüge, abstrahieren und spitzen den Song auf einen bestimmten Gedanken zu.

Bei Thicke sind es nicht nur die vielen textlichen Klischees, die Zweifel an der „Authentizität“ seiner Songs angebracht erscheinen lassen, sondern gerade die peinlich-obsessiv anmutenden Bemühungen des Sängers, dem Publikum zu erklären, wer mit dem Du in seinen Lyrics gemeint sei. In der Musik nur anzudeuten und die Phrasenmaschine zu füttern, nach außen aber einen unmissverständlichen Bezug herzustellen – das passt für mich nicht recht zusammen. Es riecht vielmehr nach einer Ich-Show, bei der sich das Show-Ich ziemlich weit aus dem Fenster lehnt.

Im Video zur Single Get Her Back sieht man den Künstler als buchstäblich geprügelten Helden mit blutiger Nase, immer wieder eingeblendet wird eine junge Frau, die Paula Patton ein bisschen ähnlich sieht. Aber: Es ist nicht Paula Patton, womit auch das in den Songlyrics angesprochene Du an Kontur verliert. Hinzu kommt, dass die Videopartnerin in Get Her Back vor allem das ist, was Frauen in so gut wie allen Robin-Thicke-Videos sind: attraktive Hingucker, die den Sänger als begehrenswerten Mann erscheinen lassen und zur Schaffung einer schwülen Softsex-Atmosphäre beitragen. Gerade das Schenkelklopfer-Video zu Blurred Lines mit seiner genüsslichen Zurschaustellung nackter Models hat in dieser Hinsicht ja neue Maßstäbe gesetzt – und schreit damit geradezu nach einer Parodie.

Bezeichnend vor diesem Hintergrund erscheint mir die Art und Weise, wie Herr Thicke seine Ehefrau in früheren Videos eingesetzt hat. Tatsächlich ist Paula Patton mehrmals in der weiblichen „Hauptrolle“ zu sehen, in Lost Without U oder in Love After War. Und in beiden Kurzfilmen tut sie nicht mehr und nicht weniger als das, was die namenlosen Frauen in den anderen Videos ihres Mannes tun: in Reizwäsche posieren, schmusen und auch sonst vollen Körpereinsatz leisten, um Erotik zu beschwören. Alles folgt in erster Linie einer „Sex sells“-Strategie: Hier nach irgendwelchen autobiografischen Bezügen zu suchen, wäre einfach lächerlich. Während Patton in Lost Without U keine namentliche Nennung erfährt, wird sie in Love After War explizit eingeführt, allerdings auf höchst überraschende Weise. Da gibt es nämlich ein bedeutungsschwangeres Intro, bestehend aus einem unbestimmten Klangteppich und einem französisch gesprochenen Text, dessen englische Übersezung am unteren Bildrand eingeblendet wird: „This is a very serious film starring the American pop-star Robin Thicke and the stunning young starlet Paula Patton, written and directed by Hype Williams. Albert Einstein once said: ‚Imagination is much more important than knowledge.‘ Imagine with us now, what it’s like to make Love After War.“ Es geht um Fantasie, die wichtiger ist als Wissen. Es geht um einen Film. Es geht um Rollen, die jemand spielt – ganz vage angedeutet wird ein streitendes und sich wieder versöhnendes Paar. In die männliche Rolle schlüpft „der amerikanische Popstar Robin Thicke“, und die weibliche Rolle bekleidet nicht etwa Robin Thickes Ehefrau, sondern das „atemberaubende Starlet“ Paula Patton.

Oha: Die tun ja gar nichts, die wollen nur spielen. Also Alles Fiktion. Und die Gattin bloß ein hübsches Starlet. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Und so stellt sich natürlich die Frage: Wenn es schon in Zeiten, als die private Beziehung noch intakt zu sein schien, in Songs und Videos nur ums Posieren ging, warum sollen wir Robin Thicke dann heute abkaufen, dass er uns mit seinem neuen Album Paula wirklich etwas über sich und seine Gefühle mitteilen will? Thicke ist ein Showman, auch gar kein schlechter wohlgemerkt! Und so vermuten nicht wenige Kritiker hinter den peinlichen Auftritten des Stars einen längst etwas aus dem Ruder gelaufenen PR-Gag zur Paula-Promotion. In diesem Sinne möchte ich meinen Blogpost mit der Schlusspassage aus Anna Kempers wunderbarem Robin-Thicke-Beitrag in der „ZEIT“-Kolumne „Gesellschaftskritik“ vom 1. Juli 2014 beschließen:

„Am Ende wirkt Thickes öffentliches Zukreuzekriechen wie eine inszenierte Marketingkampagne: Die Werbung um seine Frau als Werbung für das Album. Sie glauben, es ist alles noch viel schlimmer? Thicke und seine Frau sind gar nicht getrennt, sondern es ist alles eine große, schmierige Kampagne, um beide berühmter zu machen? Dass Paula Patton ihn bald erhören wird und beide dann ihre Geschichte in Hollywood verfilmen lassen, mit sich selbst in den Hauptrollen? Sie sind so zynisch, wie es die ‚Gesellschaftskritik‘ nie sein könnte. Aber wir haben das Gefühl, wir könnten vielleicht noch einiges von Ihnen lernen.“

Mehr zu der Frage, was dahintersteckt, wenn ein neues Album als „das bisher persönlichste Album“ des Künstlers oder der Künstlerin promotet wird, in meinem neuen Beitrag auf Faust Kultur: http://faustkultur.de/1840-0-Behrendt-What-Have-They-Done-To-My-Song-XIII.html#.U7Q7x6jO47B

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