Nein, mit Electric Ladyland, dem Doppel-LP-Klassiker von Jimi Hendrix, hat The Electric Lady nichts zu tun. Und doch schafft es Janelle Monáe auf ihrem neuen Album mühelos, musikalische Bezüge zum berühmtesten schwarzen Gitarristen der Rockgeschichte herzustellen. Wenn in gefühlvolle R&B-Balladen plötzlich psychedelische Gitarrensoli einbrechen, dann klingt nicht nur Hendrix an, sondern auch Purple Rain, der 80er-Jahre-Schmachtfetzen des Black-Music-Erneuerers und Hendrix-Epigonen Prince. Dieser Prince wiederum, der sich als Künstler heute rarer und rarer macht, gehört nicht nur zu den Förderern von Janelle Monáe, sondern hat auf The Electric Lady auch einen Gastauftritt, im dramatisch-lasziv vorwärtsgroovenden Givin Them What They Love.
Zwischen Hendrix und Prince liegen 20 aufregende R&B- und Soul-Jahre, die neben Girl-Group-Pop von den Supremes und schweißtreibendem Bläser-Soul à la James Brown auch introspektives R&B-Singer-Songwriting der Marken Marvin Gaye und Stevie Wonder, den knarzenden Space-Funk von George Clinton und Funkadelic mit seiner „Move your ass and your mind will follow“-Philosophie, leichtgängigen Philly-Sound und schwüle Barry-White-Grooves hervorgebracht haben. Nach Prince wiederum, in den 1990er und 2000er Jahren, setzten Hip-Hopper wie A Tribe Called Quest, Jazz-Hopper wie Warren G oder High-Energy-Soulpopper wie Outkast neue Akzente im Black-Music-Sektor, mit teils abgedrehten, teils selbstvergessen groovenden Acts wie Erykah Badu oder D’Angelo etablierte sich das Etikett Neo-Soul. Und wie schon auf dem Vorgängeralbum The Archandroid gelingt es Janelle Monáe auch auf The Electric Lady, all diese Einflüsse zu verbinden, ohne dass irgendwelche Brüche vernehmbar wären. Dass dann auch noch eine Prise Sixties-James-Bond-Soundtrack und eine gehörige Portion Latin Grooves dazukommen, sorgt nicht etwa für endgültige Verwirrung, sondern macht – in Verbindung mit einer fantastischen Produktion und wunderbaren produktionstechnischen Gimmicks – dieses Popalbum nur noch aufregender.
Dabei wirkt vieles auf The Electric Lady im ersten Moment leichtgängig, vertraut, manchmal fast schon belanglos. Doch wenn man die Songs in voller Länge und das Album als Ganzes hört, entdeckt man die vielen überraschenden, ungewohnten Akkordwechsel – stellt man fest, wie Stücke plötzlich eine völlig andere Wendung nehmen, wie sie Klassiker anreißen und zitieren, ins Jazzige hinübergleiten, sich in Sphärenklängen auflösen oder völlig neu zusammensetzen. Auch stimmlich zieht Janelle Monáe alle Register, vom mädchenhaften Trällern über erwachsenes Croonen und beseelten Gospel-Gesang bis hin zum scharfen Rap hat sie die entscheidenden Vocal Moves drauf, und wo vielleicht noch ein Akzent fehlt, helfen Gastinterpreten wie Miguel und Solange Knowles, die kleine Schwester von Beyoncé, gerne aus.
Der gute Groove, die spannenden Vibes, die kompositorischen Finessen sind natürlich das, was den Musikliebhaber am meisten interessiert. Aber es gibt drei weitere Pluspunkte, die Janelle Monáe aus dem Gros der heutigen R&B-Künstlerinnen herausheben: das abgefahrene textliche Konzept ihrer Songs, ihr souveränes Styling und ihre tänzerische Klasse. The Electric Lady knüpft als weiteres Konzeptalbum an The Archandroid an und erzählt von einer nahen Zukunft, in der neben Menschen auch Androiden auf der Erde leben. Letztere haben die Fähigkeit, Emotionen zu adaptieren, doch sind ihnen Liebesbeziehungen zu Menschen strengstens verboten. Die Geheimorganisation The Great Divide wacht über die Einhaltung der Gesetze und wendet dabei auch Mittel wie Zeitreisen an. Eines Tages aber, so ein Mythos in diesem Universum, soll der Erzandroid kommen und die Welt befreien. Cindi Mayweather ist dieser Android, und ihm sind diverse Song-Ichs zuzuordnen. Das Ganze ist allerdings so lose und unaufdringlich konstruiert, dass viele Stücke auch als kleine R&B-Perlen für sich stehen können. Sie erzählen von großen Gefühlen, prangern aber auch soziale Missstände an, thematisieren die Gleichberechtigung der Frau oder zeugen von einer liberalen Haltung gegenüber gleichgeschlechtlicher Liebe. Etwa im Song Q.U.E.E.N., der mit eckigen Riffs und dem Slogan „The booty dont lie“ (sinngemäß: „Ein tanzender Hintern lügt nicht“) alte Funkadelic-Zeiten heraufbeschwört und Neo-Soul-Queen Erykah Badu als Gastvokalistin ein paar zusätzliche politische Statements abfeuern lässt. Die gelegentlich in die Lyrics eingestreuten Roboter- und Zeitreise-Metaphern lassen sich dabei auch ohne den narrativen Hintergrund als einfach überdrehte lyrische Bilder verstehen.
Passend zu diesem eigenwilligen inhaltlichen Ansatz verzichtet Janelle Monáe auf anbiedernde sexy Outfits. Stattdessen kleidet sie sich in strikt schwarz-weiß gehaltene Kombinationen, die mitunter – auch das sehr passend zum musikalischen Konzept – an die „Cotton Club“-Ära der 1920er und 1930er Jahre erinnern. Und wo sich andere weibliche R&B-Stars an grotesken Girl-Group-Moves, absurden Aerobic-Choreographien und – „Sex sells!“ – peinlichen aufreizenden Tabkedance-Posen versuchen, zeigt Janelle Monáe auf verdammt coole Art und Weise, wie zeitgemäße Tanzvideos auszusehen haben. Bestes Beispiel ist das Video zum schweißtreibenden Song Tightrope aus dem letzten Album, das in seiner Intensität an die wilden Swingsequenzen aus dem Filmklassiker Hellzapoppin (1941) erinnert.
Obwohl sie neben Prince auch von Hip-Hop-Guru P Diddy oder den Outkast-Jungs unterstützt wird und obwohl sie Grammy-Nominierungen vorweisen kann, ist Janelle Monáe bei uns noch relativ unbekannt. Was wirklich schade ist, denn auch mit ihrer neuen Platte hat sie ein verführerisches Popjuwel geschaffen – ein Electric Lady-Land, in das man ihr nur zu gerne folgt.