„Hey, schon länger keinen neuen Post in deinem Songblog gelesen“, sprach mich kürzlich ein Freund am Telefon an. „Was ist denn los?“ Ja holla, gibt’s denn so was? Einerseits hat mich diese Frage sehr gefreut, denn „wenn auch nur ein Leser einen Text von mir vermisst“ – und ich zitiere sinngemäß einen zum Pathos neigenden Frankfurter Clubmacher aus den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts – „dann habe ich nicht umsonst gelebt!“, schluchz…
Andererseits habe ich mich tatsächlich selbst gefragt: Ja, was ist denn los?
Klar, da war das jährliche Sommerloch – Themenflaute vorprogrammiert. Das gibt es auch in der Musik. Was soll man im Juli/August schon über Songs und Interpreten schreiben? Wenn keiner da ist, der einen Aufreger produziert – und keiner, der es lesen möchte? Und dann, als ich dachte, ich könnte langsam wieder auf Themensuche gehen, wurde ich plötzlich von Kundenanfragen überrollt. Auch das eigentlich wie jedes Jahr: Denn irgendwann kommen besagte Kunden hochmotiviert aus besagten Urlauben zurück, und dann wollen sie nicht nur Neues für den Herbst an den Start bringen, sondern gleichzeitig auch noch das aufgearbeitet haben, was durch ihre Urlaube liegen blieb.
Da sind Autoren und Lektoren extrem gefragt. Und die Miete muss man ja auch irgendwie bezahlen…
Aber es gibt noch zwei andere Gründe, warum ich keine Motivation für einen neuen Blogeintrag über Songs verspürt habe: das aktuelle Flüchtlingsthema und die Flut von Hasskommentaren – in den Internetforen etablierter Medien wie in sozialen Medien. Ich hatte immer gedacht, unsere Welt, erst recht Europa und ganz besonders Deutschland seien längst weiter. Aber wie seit Wochen und Monaten auch hierzulande über Flüchtlinge debattiert wird – mal will man übereilt mehr Herkunftsländer als „sicher“ deklarieren, mal durchleuchtet man Flüchtlinge als „Wirtschaftsfaktor“, mal vermutet man hinter jedem zweiten Neuankömmling einen IS-Kämper oder Schläfer – und was irgendwelche Dummköpfe an menschenverachtendem Mist ins Internet stellen dürfen, ohne dafür belangt zu werden, das verschlägt mir schon die Sprache.
Keine Angst, es folgt keine Betroffenheitstirade, nur so viel: Menschen in Not muss geholfen werden, dabei müssen auch minimale Risiken eingegangen werden. Und: Hasskommentare sind inakzeptabel, sie müssen verfolgt und geahndet werden, weil sie nichts mit freier Meinungsäußerung zu tun haben, sondern nur mit unmenschlicher Hetze. Es kann einfach nicht sein, dass Friedensaktivisten und Antikapitalismusgegner regelmäßig mit Hilfe eines immensen Polizeiaufgebots eingekesselt werden und Neonazis, die Flüchtlingsunterkünfte angreifen, Helfer und sogar Odnungshüter verletzen, nicht belangt werden, unter anderem weil angeblich zu wenig Einsatzkräfte zur Verfügung stünden. Auch wenn das demonstrative Flüchtlingsumarmen derzeit ins fast schon Peinliche kippt: Ich finde es grundsätzlich gut, dass allmählich wieder auch solche positive, von Menschlichkeit zeugende Bilder aus Deutschland um die Welt gehen.
Vor diesem Hintergrund erscheint mir das, was die Pop- und Rockwelt so bewegt, gerade mal ziemlich irrelevant und banal. International waren wohl die kürzlich zelebrierten MTV Video Awards der größte Aufreger: Kanye West erklärte dämlicherweise, als Präsidentschaftskandidat antreten zu wollen, und eine unterbelichtete Miley Cyrus machte mit einem bescheuerten Outfit nach dem anderen von sich reden. Wenn das der Hauptgesprächsstoff und die gesellschaftlichen Impulse der Musikwelt sind, dann Gute Nacht. Und hierzulande? Machen gerade K.I.Z. und Schnipo Schranke von sich reden: K.I.Z. mit einem unnötigen Stück namens Ich bin Adolf Hitler, das – wenn man es oft genug dreht und wendet – sicher das Herz am rechten, äh, richtigen Fleck hat, aber doch etwas krampfhaft-pubertär schreit: „Ich will provozieren!“; da war Beate Zschäpe hört U2 von der Antilopen Gang schon deutlich ab- und tiefgründiger. Schnipo Schranke wiederum sind zwei ehemalige Kunstschulstudentinnen, die im späten Fahrwasser von Charlotte Roches Feuchtgebiete klassische Jugendthemen wie Einsamkeit, Beziehungsprobleme und verhasstes Spießertum in einer etwas arg kalkulierten Mischung aus Lo-Fi-Sound und provokantem Fäkalhumor bearbeiten. Ihr Song Pisse weiß ein paar Momente lang zu beeindrucken, vor allem sprachlich, hinterlässt dann aber doch nur ein gelangweiltes Achselzucken. Und spätestens wenn im Video ein Mann an den Frühstückstisch tritt, um in eine Kaffeetasse zu pinkeln – BOAAAAHHHH, ECHT JETZT, VOLL KRASS! – denkt man sich einfach nur: Drauf geschissen!
So deplatziert, selbstverliebt und hermetisch in sich abgeschlossen wirkt das alles vor dem Hintergrund des aktuellen Tagesgeschehens, dass einem die Lust, über Songs zu schreiben, auch mal vergeht. Videos schaue ich trotzdem noch gern, aber mein aktuelles Lieblingsvideo ist eben kein Musikvideo, sondern das von Grünen-Politikerin Katrin Göring–Eckardt, in dem sie nicht nur Stellung bezieht gegen „hate speech“, sondern auch den Internetgiganten Facebook auffordert, endlich etwas gegen entspechende Posts in seinem „SOZIALEN Netzwerk“ zu unternehmen.
(Link zum Video von Katrin Göring-Eckardt:
http://www.gruene-bundestag.de/medien_ID_4387997/videos_ID_4387007/medium/nohatespeech)