Werber in der analen Phase

Songs werden gern als Allzweckwaffen missbraucht. Besonders gern nehmen Marketingleute sie zur Untermalung von Werbespots. Aus einem klassischen Lovesong wird dann eine Hommage an ein bestimmtes Automodell, aus einer Ode an die Jugend die Hymne für eine Anti-Aging-Creme. Okay… Aber manche Songs werden derart unglücklich eingesetzt, dass der Spot eigentlich nach hinten losgehen müsste. Nehmen wir Unbelievable, den supereingängigen Dancerock-Track der britischen Gruppe EMF aus dem Jahr 1990. Der Refrain mit dem Ausruf „Unglaublich!“, „Unbelievable!“, soll in dem Werbeclip, den er untermalt, einen schicken Sportwagen charakterisieren, natürlich im positiven Sinne. Dabei meint der Ausruf im deprimierenden Songkontext genau das Gegenteil, etwa im Sinne von: „Du bist so mies zu mir, es ist einfach unglaublich!“ Wer’s nicht glaubt, der höre selber nach.

Ganz anders lag der Fall bei Ring of Fire, einem der größten Hits des amerikanischen Countrysängers Johnny Cash. Hier wollten Werber den Text ganz bewusst in einen provokanten neuen Kontext stellen. Aber von vorn: Der 1962 erschienene Song handelt ganz offensichtlich von einer Liebesbeziehung. Ein Liebender bekundet seine leidenschaftliche Zuneigung, die er in das Bild eines lodernden Feuers kleidet. So heißt es in der zweiten Strophe: „The taste of love is sweet / When hearts like ours meet / I fell for you like a child / Oh, but the fire ran wild.“ – Übersetzt etwa: „Liebe schmeckt süß, / wenn zwei Herzen wie die unseren aufeinandertreffen. / Ich verfiel dir wie ein Kind, / oh, aber das Feuer loderte wild.“ Der Refrain, den auch heute noch fast jeder mitsingen kann, lautet: „I fell into a burnin’ ring of fire / I went down, down, down / And the flames went higher / And it burns, burns, burns, / The ring of fire, the ring of fire.“ Also: „Ich fiel in einen brennenden Ring aus Feuer. / Ich ging in die Knie, / und die Flammen schlugen höher. / Und er brennt, brennt, brennt, / der Ring aus Feuer, der Ring aus Feuer.“ Man kann nach autobiografischen Bezügen im Leben Johnny Cashs suchen oder einen spirituellen Gehalt in den Versen entdecken. Man kann das Feuer einfach als Leidenschaft deuten, aber auch im Sinne der Qualen, die Liebende zu durchleiden haben. Dass „Ring of Fire“ sowohl der geografische Begriff für einen Vulkangürtel im Pazifik als auch der Name eines Trinkspiels ist, das mit Karten gespielt wird, mag dabei jeweils zur Deutung der Metaphorik herangezogen werden. Stets aber beschreibt der Song eine äußerst innige Beziehung zwischen dem Ich und dem angesprochenen Du.

Dennoch war sich die amerikanische Texterin Sula Miller im Jahr 2004 nicht zu blöd, Ring of Fire ausgerechnet als Untermalung eines Werbespots für ein Medikament gegen Hämorrhoiden ins Visier zu nehmen. Den in den Versen besungenen Ring aus Feuer in vollster Absicht als entzündeten Schließmuskel zu interpretieren, das ging allerdings der Familie des ein Jahr zuvor verstorbenen Sängers zu weit. „Die Hinterbliebenen der Country-Ikone haben sich jedenfalls festgelegt, was die Interpretation des Songtextes betrifft“, schrieb SPIEGEL Online damals in einem Artikel über den Fall. „Es gehe um die gestalterische Kraft der Liebe. Etwas anderes werde er für die Familie niemals bedeuten.“ Weshalb der Welt die Umsetzung dieser hirnrissigen Idee letztlich erspart blieb. Eine Songmisshandlung der übleren Sorte bleibt die Attacke von Sula Miller trotzdem – zumal sie dem Klassiker noch heute unangenehm anhaftet und mitverantwortlich sein könnte für die Verbreitung einer weiteren Schwachsinnsthese: Nach wie vor stößt man im Internet auf Songportalen und in Chatforen auf die Mutmaßung, Ring of Fire handele von Analsex.

Diese und weitere Songmisshandlungen in meiner Essayreihe „What have they done to my song?“ auf http://faustkultur.de/, direkter Link:
http://faustkultur.de/kategorie/musiktheaterfilm/behrendt-what-have-they-done-to-my-song-v.html#.UVWHKhkcVEs

 

 

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