„Animals“ von Maroon 5: Eine Frage des Blickwinkels

Songs und Videos haben keine in Stein gemeißelte einzige und endgültige Bedeutung – sie haben mehrere, manchmal unzählige Bedeutungen. Denn se bedeuten das, was jeder einzelne Hörer, jeder einzige Hörerin aus ihnen macht. Und sie ecken an, je nachdem, was man in ihnen zu hören und zu sehen glaubt. Animals, den aktuellen Hit von Maroon 5 zum Beispiel, kann man leicht als frauenfeindliches, sexistisches Pamphlet auffassen, vor allem angesichts von Textzeilen wie: Baby „I’m preying on you tonight / Hunt you down eat you alive … I cut you out entirely / But I get so high when I’m inside you.“ Das männliche Ich jagt anscheinend seine weibliche Beute wie ein Raubtier und verschlingt sie förmlich, das Ganze scheint sogar etwas von einer Vergewaltigung zu haben.

Hört man allerdings den Text als Ganzes, dann löst sich dieser schlimme Eindruck auf, dann bedeutet der Song etwas anderes: „But we get along when I’m inside you / You’re like a drug that’s killing me“, heißt es an anderer Stelle und: „But you can’t stay away from me / I can still hear you making that sound / Taking me down rolling on the ground / You can pretend that it was me / But no, oh…“ In meinen Ohren geht es da wohl eher um eine Art Hassliebe – um zwei durchaus auch leidende Menschen, die nicht voneinander loskommen und sich vor allem sexuell immer wieder voneinander angezogen fühlen. Eine animalische Leidenschaft verbindet sie, und der Sex geschieht einvernehmlich, wie Juristen sagen würden.

Nun liebt es Maroon-5-Sänger Adam Levine, auf solchen erotischen Sprachbildern herumzureiten, und er tut das immer wieder reichlich selbstverliebt. Das kann nerven. Aber etwas Frauenverachtendes ist für mich in den Lyrics zu Animals nicht zu erkennen. Dieser Vorwurf wird aber vor allem dem Video zu dem Song gemacht. Da spielt Levine einen Metzger, der als Stalker eine Kundin verfolgt. Die (verkörpert von Levines Ehefrau Behati Prinsloo) bekommt nichts davon mit, auch dann nicht, als der Stalker nachts in ihre Wohnung eindringt und sie beim Schlafen fotografiert. In einer anderen Szene versucht der Stalker, das Objekt seiner Begierde in einem Club anzusprechen, wird aber entnervt zurückgewiesen. Und das Video zieht die Drastikschraube noch um einiges an: Da schmiegt sich Levine mit nacktem Oberkörper an aufgehängte gehäutete Tierleiber, da hat er als Stalker Sex mit der Frau, die er begehrt, und beide werden mit Blut übergossen.

Für das Rape, Abuse & Incest National Network ist der Fall klar: „Das ist eine gefährliche Darstellung einer Stalker-Fantasie – und niemand sollte den kriminellen Akt des Stalkings mit Romantik verwechseln“, wird die amerikanische Frauenrechtsgruppe auf SPIEGEL Online zitiert. Andere US-Bürgerrechtler lenken den Blick weg von der Fiktion und auf das Darstellerpaar selbst: Levine behandele seine Gattin wie ein Stück Fleisch, so lautet der Vorwurf. Und der britische „Guardian“ ist sich laut SPIEGEL Online sicher, „das Video beleidige jede Frau. … Es sei nichts alternativ daran, zu zeigen, wie Frauen gestalkt, vergewaltigt oder getötet werden.“

Mein Blickwinkel ist wiederum ein anderer. Was wird gezeigt, und wie wird es gezeigt?, frage ich mich und komme zu dem Schluss: Es wird ein ziemlich krankhaftes Verhalten gezeigt, und dieses Verhalten wird nicht entweder beschönigt oder glorifiziert, sondern auch als krankhaft, erbärmlich dargestellt. Die Szenen mit den Tierleibern sind alles andere als anregend, und nicht nur der irre Blick des Stalkers, sondern auch die Abfuhr, die er sich im Club holt, lassen ihn als ziemlich gestörten Mann erscheinen. Das Animalische, das die Textzeilen thematisieren, hat hier etwas zutiefst Neurotisches.

Die Abfuhrszene ist noch aus einem anderen Grund bezeichnend: Das Video zeigt, wie die Frau deutlich Nein sagt. Und die gemeinsamen Sexszenen spielen sich eindeutig in der Fantasie des Stalkers ab. Mitnichten wird hier der Akt des Stalkings mit Romantik verwechselt – die Figur der gestalkten Frau behält in meinen Augen ihre Würde. Allein dass die Themen Stalking und Gewalt gegen Frauen thematisiert werden, scheint besagten Frauen- und Bürgerrechtsgruppen schon Anlass zur Kritik zu geben, ein differenzierter Blick fehlt. Dann müsste man noch einiges mehr verbieten.

Reichlich bizarr wirkt der Vorwurf einiger Verschwörungstheoretiker, auf den das Portal Breathecast.com hinweist: Diese „Theoretiker“, so Breathecast.com, meinen, in den blutigen Szenen irgendwelche satanischen Rituale sowie in Adam Levine einen versteckt agierenden Satanisten zu erkennen. Auch so kann man Animals also sehen. Einen völlig überraschenden anderen Blickwinkel aber steuert schließlich ausgerechnet die Tierschutzorganisation PETA bei: Die nimmt Maroon 5 sogar richtiggehend in Schutz und zeigt sich laut Promiflash.com „sehr angetan davon, wie überzeugend der Sänger einen Fleischer darstellt und damit die Grausamkeit des Schlachtens von Tieren verdeutlicht.“ O-Ton PETA: „Wenn überhaupt, geht das Video nicht weit genug. Wir sind alle Tiere, aber jeder, der sich über die blutigen Video-Szenen aufregt, sollte lieber auch im wahren Leben blutige Gewalt vermeiden, indem er ein überzeugter Veganer wird.“

Wir sehen: Auf den Blickwinkel kommt es an. Und die Blickwinkel auf Animals sind vielfältig. Da kommt vielleicht noch einiges auf uns zu…

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