Frauenfußball-EM 2013: Auf den richtigen Song kommt es an

Deutschland im Fußballfieber. Neben der Bundesliga verspricht auch die Champions League packende Duelle. Und mit der Frauen-Fußballeuropameisterschaft, die im Juli 2013 in Schweden ausgetragen wird, wirft bereits ein weiteres Highlight seine Schatten voraus. Einen etwas bemüht wirkenden Stadion-/Fansong mit prägnanten Zeilen wie „Macht das Ding rein“ gibt es schon für das Team von Bundestrainerin Sylvia Neid – jetzt bin ich gespannt, welchen Ohrwurm sich die deutschen Fernsehsender als Soundtrack für ihre Berichterstattung aussuchen werden. Zum letzten großen Frauenfußballturnier, der WM 2011 „im eigenen Land“, hatte man sich zwar ein starkes Lied herausgepickt, aber mit Blick auf das zu begleitende Sportereignis war das Ganze reichlich fragwürdig.

Bestimmt haben Frida Gold damals die Champagnerkorken knallen lassen, als sie erfuhren, dass das ZDF seine WM-„Bilder des Tages“ mit ihrem dynamischen Dancefloor-Kracher Wovon sollen wir träumen? unterlegen würde. Tatsächlich liefen an allen WM-Übertragungstagen zwischen 26. Juni und 17. Juli immer wieder Schnipsel aus dem Song, und natürlich war es vor allem der höchst eingängige, dramatische Refrain, den man brachte. Die Häufigkeit der Einspielungen und die Kombination mit spektakulären Fußballszenen machten Wovon sollen wir träumen? zur inoffiziellen Hymne des Turniers und Frida Gold, eine Newcomerband aus dem Ruhrgebiet, quasi über Nacht zu Stars.

Natürlich gönnt man dem ungewöhnlichen Quintett den Erfolg, der mit weiteren starken Stücken untermauert wurde. Aber war ihr Erfolgssong überhaupt kompatibel mit dem WM-Turnier? Passte er wirklich zur Erwartungshaltung von halb Fußballdeutschland, dass „unsere Mädels“ daheim den Titel holen würden? Klar, der erste Refainvers schien zu passen wie die Faust aufs Auge: „Wovon sollen wir träumen?“, fragte er fast schon rhetorisch, und jeder deutsche Fußballfan antwortete im Geiste: Natürlich von der WM-Trophäe! Aber das war’s dann auch schon mit eventuellen Bezügen zwischen Lied und Turnier, auch wenn sich die Band selbst in einem ZDF-Beitrag mühte, diese Bezüge zu bestätigen. Fakt ist: Der Einsatz im Rahmen der ZDF-„Bilder des Tages“ riss nicht nur den Refrain aus seinem Kontext, sondern stellte auch den gesamten Song in einen völlig anderen Kontext, mit dem zusammen er in zigtausend Hirnen abgespeichert wurde. Eine Songmisshandlung erster Güte.

Wovon handelt Wovon sollen wir träumen? Auf keinen Fall von Höhenflügen, sondern exakt vom Gegenteil – von Absturz und Hoffnungslosigkeit. Gleich die ersten Verse präsentieren ein Ich, das ausgiebig feiert und das Leben genießt, dabei aber seine Energie verschwendet. Tagsüber ist es müde und antriebslos, die Euphorie der Nacht weicht Traurigkeit, wahrscheinlich auch Schuldgefühlen: „Ich bin mitten drin / Und geb mich allem hin 
/ Aber schaut man hinter die Kulissen 
/ Dann fängt es immer so an / Ich schlafe immer zu lang / Krieg’s nicht hin und fühl mich deshalb beschissen.“ Wahlloser Konsum vorbei an den eigentlichen Bedürfnissen und die sinnentleerte Orientierung an Superlativen sprechen aus den nächsten Versen. Außerdem formuliert das Ich eine kitschige Sehnsucht nach dem Partner fürs Leben: „Ich erkenn mich nicht 
/ In den Schaufensterscheiben /
Entdecke nichts, was mir gefällt /
Ich brauch die schönsten Kleider 
/ Und die stärksten Männer /
Und eine Hand, die meine Hand für immer festhält.“

Der Refrain umreißt dann die existenzielle Trostlosigkeit, die das Ich empfindet. Es spricht nicht nur für sich selbst, sondern für eine ganze Gruppe von Menschen, womöglich für eine Generation. Diese zeichnet sich dadurch aus, dass sie keine echten Träume, keine Visionen mehr hat und nichts, woran sie glaubt. Und: Diese Generation ist, wie sie ist – sie scheint sich auch nicht ändern zu können: „Wovon sollen wir träumen? /
So wie wir sind, so wie wir sind, so wie wir sind 
/ Woran können wir glauben? 
Wo führt das hin? Was kommt und bleibt? So wie wir sind…“ Diese Verse reichen eigentlich schon, um zu zeigen, wie sehr der ZDF-Einsatz dem eigentlichen Anliegen der Lyrics entgegenläuft. Machen wir trotzdem noch einen Sprung ins letzte Drittel des Songs. Auf die zweite Strophe, die die Grundgedanken fortführt, und einem weiteren Refrain folgt ein Zwischenteil, der die eingangs geäußerte Sehnsucht nach dem Partner fürs Leben als trügerisch entlarvt: „Wir lassen uns treiben durch die Clubs der Stadt / 
Durch fremde Hände, und wir werden nicht satt
/ Wir wachen dann auf bei immer anderen Geliebten /
Von denen wir dachten, dass wir sie nie verlassen.“ Das Ich ist offenbar nur zu kurzlebigen Affären fähig und betrügt sich damit immer wieder selbst. Und es kommt noch düsterer: Eine Atemlosigkeit, mit der auch Asthmaanfälle gemeint sein können, eine mangelnde Ernährung, in der sich auch Magersucht andeutet, dazu ein übertriebener Alkoholgenuss – das alles untermauert die letztliche Orientierungs- und Heimatlosigkeit des Ichs, die völlige Ausweglosigkeit seiner Situation: „Wir können nicht mehr atmen und vergessen zu essen /
Wir trinken zu viel, es bleibt ein Spiel ohne Ziel / Wann hört das auf?
Wann kommen wir hier raus? /
Wovon sollen wir träumen? 
Wo sind wir zu Haus? / Wo sind wir zu Haus? Wo sind wir zu Haus?“

Ich würde mal sagen, euphorische Songstatements, die man mühelos auf den Willen zu sportlichem Erfolg übertragen kann, hören sich anders an. Immerhin erwies sich der ZDF-Einspieler aus deutscher Sicht im Nachhinein als unfreiwillig visionär. Denn Birgit Prinz & Co schieden viel zu früh aus dem WM-Turnier aus, erreichten noch nicht einmal das Halbfinale. Sicher war dabei auch Pech im Spiel. Doch muss man ebenso festhalten, dass die Hoffnungsträgerinnen unter dem immensen Druck der öffentlichen Erwartungshaltung meist verkrampft aufgetreten waren und ihr eigentlich vorhandenes Potenzial nur selten hatten abrufen können. „Wovon sollen wir träumen, so wie wir sind?“ – mit dieser ernüchternden Einsicht in die eigenen Schwächen passte der Frida-Gold-Song nach dem deutschen WM-Aus deutlich besser. Er war jetzt so etwas wie ein trauriger Epilog. Und die nachträgliche Bestätigung dafür, dass Sportteams mit einer derart belastenden Songmisshandlung auf dem Buckel einfach keine Trophäen gewinnen können.

Mehr Songmisshandlungen in meiner Essayreihe „What have they done to my song?“ auf www.faust-kultur.de