Hymnenstreit

Vor rund 50 Jahren zertrümmerte Jimi Hendrix beim legendären Woodstock-Festival die amerikanische Nationalhymne: The Star-Spangled Banner

Woodstock, August 1969: Im Rahmen seines Auftritts beim wohl berühmtesten Festival der Rockgeschichte stimmt Jimi Hendrix auf seiner E-Gitarre plötzlich die amerikanische Nationalhymne an. Hoppla, soll das etwa ein patriotisches Bekenntnis sein? Die Irritation im Hippie-Publikum währt nur wenige Sekunden. Denn dann wird klar, dass Hendrix genau das Gegenteil vorhat. Wir erinnern uns: Die amerikanische Nationalhymne entstand 1814 während des Britisch-Amerikanischen Krieges – Textautor Francis Scott Key soll damals vom Anblick der amerikanischen Flagge, des „Sternenbanners“, inspiriert worden sein, die nach einer Schlacht bei Baltimore immer noch stolz über dem US-Fort wehte. Bei Hendrix jedoch bleibt nichts intakt, und von Stolz kann erst recht keine Rede sein. Der schwarze Ausnahmemusiker reißt die US-Flagge akustisch regelrecht auseinander. Mehr noch: Mit Effekten wie Tremolo, Rückkopplung und extremem Pitching simuliert er Maschinengewehrfeuer, Alarmsirenen und markerschütternde Schreie. So greift er einerseits den martialischen Entstehungskontext der Hymne auf und nutzt sie andererseits zu einer lärmenden Kritik am Vietnamkrieg. Amerika ist in dieser Version nicht das „Land der Freien“ und die „Heimat der Tapferen“ („land of the free“, „home of the brave“), sondern eine kriegstreibende Nation, die sich in ferne Konflikte einmischt, Napalmbomben wirft und unzählige Opfer „produziert“. Der heroische Songtext wird nicht nur vielsagend ausgeblendet, man könnte sogar interpretieren: Er geht im instrumentalen Schlachtenlärm gänzlich unter.

Ein derart destruktiver Akt wird von bedingungslosen Patritoten und vom gesellschaftlichen Establishment natürlich als Verunglimpfung interpretiert. Vor allem in den Südstaaten droht man dem Gitarristen Gewalt an, sollte er seine Version der Nationalhymne dort live spielen. Darüber hinaus polarisiert Hendrix als schwarzer Künstler und als Symbol für Integration: In seinen Bands, zum Beispiel in mehreren Experience-Besetzungen, spielten ganz selbstverständlich auch weiße Musiker. Und in seinem Umfeld tummelten sich viele weiße Frauen, die sich einen Dreck um Rassentrennung scherten. Das rief drastische Reaktionen hervor, führte aber auch zu Haltungsänderungen. In ihrem Aufsatz „Voodoo Child: Jimi Hendrix and the Politics of Race in the Sixties“ erzählt die Historikerin Lauren Onkey, wie der Band samt Entourage vor allem im Süden der USA Hotelzimmer und Restaurantbesuche verweigert wurden. Ihr Status als populäre „integrierte Band“ habe sowohl die Chancen als auch die Grenzen der Rassenintegration offengelegt. Immerhin habe Hendrix in dieser Richtung auch Emanzipationserfolge verzeichnet: „His extensive touring claimed the right of an African American to play with white musicians and consort with white women whenever and wherever he chose.“

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