Songs im Kreuzverhör: Trio Lescano

Neulich lief sie mal wieder im Fernsehen: die 2010 gedrehte italienische TV-Produktion Die Swingmädchen. Sie erzählt die wahre Geschichte von drei holländischen Schwestern, die Mitte der 30er Jahre, also während der Mussolini-Zeit, in ihrer Wahlheimat Italien entdeckt wurden und zu großen nationalen Stars aufstiegen. Trio Lescano nannten sie sich und wurden als italienische Antwort auf die berühmten amerikanischen Andrews Sisters (Bei mir bist du schön, Rum and Coca-Cola u.a.) vermarktet. Trio Lescano und die Andrews Sisters sind Vorbilder für heutige Gruppen wie die wunderbaren Puppini Sisters. Und über die Andrews Sisters ergibt sich ein weiterer aktueller Anlass für diesen Blogeintrag: Patty Andrews, die jüngste und letzte der berühmten Sisters, verstarb am 30.1.2013 im Alter von 94 Jahren.

Aber zurück zu den Swingmädchen: Der anfangs leichtfüßig daherkommende und später zunehmend Tiefgang entwickelnde Film mit Lotte Verbeek, Andrea Osvàrt und Elise Schaap in den Hauptrollen erzählt zunächst den atemberaubenden Aufstieg der Damen vom Trio Lescano. Sie sangen meist in italienischer Sprache und waren wohl auch deshalb kaum im Ausland bekannt. Obwohl sie sich bemühten, nicht in die große Politik hineingezogen zu werden, konnten sie sich den Umwerbungsversuchen der Faschisten immer schwerer entziehen. Selbst der „Duce“ soll Fan ihrer Musik gewesen sein, was sie letztlich in die eine oder andere kompromittierende Situation brachte.

Das Tragische: Die Mutter der drei, gespielt von der einstigen Emanuelle-Darstellerin Sylvia Kristel, war Jüdin. Und so geriet das Trio Lescano, je enger sich Italien während des Zweiten Weltkriegs mit Deutschland arrangierte, ins Visier der Polizei. Das absurde „Dilemma“ der Faschisten: Sie erteilten Juden alsbald Berufsverbote, liebten aber ihr Trio Lescano, das die italienische Bevölkerung in Kriegszeiten unterhielt und ihr Hoffnung gab. Eine Verhaftung der Sängerinnen, „weil sie Jüdinnen waren“, wäre den Fans und selbst verschiedenen Funktionären kaum vermittelbar gewesen. Ziemlich schizophren… Einen perfiden Ausweg bot der Vorwurf antisemitischer Kreise, ihre Songs enthielten verschlüsselte Botschaften an den Feind. Und so wurden die harmlosen Sängerinnen 1943 während eines Konzerts vor Publikum festgenommen und ins Gefängnis gesteckt. Es folgten der Entzug der gerade erst erworbenen italienischen Staatsbürgerschaft und Rundfunkverbot.

In Die Swingmädchen hält sich Regisseur Maurizio Zaccaro einigermaßen genau an die historischen Fakten und arbeitet in einer interessant geschnittenen Verhörszene das Groteske der Vorwürfe gegen das Trio Lescano und ihre Songs heraus. Aufhänger ist das beschwingte Liedchen Tulipan, die italienische Version des Andrews-Sisters-Hits Tuli-Tulip Time aus dem Jahr 1938. Die Musik stammt von Maria Grever, der italienische Text von Riccardo Morbelli. Geht es im amerikanischen Originaltext um ein holländisches Liebespärchen („little Dutch boy“, „little Dutch girl“), erzählen die italienischen Lyrics eher allgemein von der Liebe wie von der holländischen Heimat der Interpretinnen, und das mit allen dazugehörigen Windmühlen- und Käse-Klischees. In der Verhörszene knöpfen sich der Polizeichef und ein Hauptmann ihre drei Opfer nacheinander vor. Das Ganze ist jedoch wie eine zusammenhängende Sequenz aufbereitet, nur wechselt nach kaum wahrnehmbaren Schnitten jeweils die Sängerin auf dem Verhörstuhl. Während sich Hauptmann und Polizeichef gegenseitig hochschaukeln, antworten die drei Schwestern quasi mit einer Stimme:

Polizeichef: Wer ist der Verfasser des Liedes „Tuli-Tulipan“?
Sängerin 1:
Wie bitte?
Polizeichef:
Wer hat das Lied „Tuli-Tulipan“ geschrieben? Irgendjemand muss es doch geschrieben haben!
Sängerin 1:
(leise, mit gesenktem Kopf) Riccardo Morbelli und Maria…
Polizeichef:
Wie bitte!!!
Sängerin 1:
Riccardo Morbelli und Maria Grever.
Polizeichef:
Aaaahhhh…
Hauptmann:
Und Sie wussten natürlich nicht, dass der Text des Liedes eine verschlüsselte Botschaft an die amerikanischen Streitkräfte enthielt?!
Sängerin 1:
(lacht ungläubig) Was für eine Botschaft soll das sein? Das ist ein Lied und nichts weiter. Und wir sind Sängerinnen und nichts weiter.
Polizeichef:
(zynisch) Sängerinnen…
(Schnitt, Verhör Sängerin 2)

Halten Sie uns für beschränkt? Das ist doch eindeutig: Landschaft, Illusion, Täuschung. Hier steht wörtlich: (liest von einem Blatt mit den Lyrics ab) „Die Windmühle schläft unter dem silbernen Mond.“ Was ist das für eine Windmühle? Wo steht sie, diese Windmühle, die unter dem silbernen Mond schläft?
Hauptmann:
(auffordernd) Also?!
Sängerin 2:
In Holland.
Polizeichef:
(ächzt ungläubig)
Hauptmann:
Ach so, in Holland. (lacht zynisch) Und wo genau in Holland, Frollein?
2. Sängerin:
Überall. In Holland stehen überall Windmühlen.
Hauptmann:
(haut mit einer Peitsche auf den Tisch) Spielen Sie keine Spielchen mit mir! Ich kann nämlich sehr unangenehm werden.
(Schnitt, Verhör Sängerin 3)

3. Sängerin:
Glauben Sie das wirklich? Sie müssen ja sehr viel Fantasie haben, wenn Sie meinen, dass das ein Code ist. Kompliment, Herr Hauptmann.
Hauptmann:
Wenn ich an Ihrer Stelle wäre, würde ich mir die Ironie verkneifen, Frollein. Auf militärischen Geheimnisverrat steht nämlich die Todesstrafe.
Polizeichef:
(zitiert erneut den Songtext) „Rund am Maihimmel steigt der Mond auf wie ein holländischer Käse. Er beginnt seine Reise und sendet uns seinen Schimmer.“ Ich würde sagen, diese Zeilen dürften auf den Tag und die Stunde einer möglichen Landung der Alliierten an der holländischen Küste hinweisen.
3. Sängerin:
(singt selbstbewusst lächelnd das Lied in italienischer Sprache, der Hauptmann summt ansatzweise mit…) 
Polizeichef:
(unterbricht) Senorina, Sie sind hier, um Fragen zu beantworten, nicht um zu singen.

Wir wissen nicht, ob sich die Verhöre genau so zugetragen haben. Aber die grotesken Vorwürfe gegen harmlos-fröhliche Liedchen wie Tulipan sind historisch verbürgt. Und ein bitteres Exempel dafür, wie ideologischem Wahn auch Lieder zum Opfer fallen können. Für das Trio Lescano ging die Sache glücklicherweise einigermaßen glimpflich aus. Nach überstandenem Zweitem Weltkrieg gelang den Sängerinnen in teils neuer Besetzung ein Neuanfang – in Südamerika. Weitere Beispiele dafür, welchen Unfug Kritiker, Fans und Marketingfachleute, aber auch Soziologen und Politiker mit berühmten Songs treiben können, im soeben erschienenen Beitrag meiner Reihe auf Faust-Kultur: „Die schlimmsten Songmisshandlungen aller Zeiten“ (hier).

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